Die Überraschungen des Wahlabends haben natürlich auch im Netz ihre Spuren hinterlassen. Geschwindigkeit und Umfang mit der Parteien und Onlinemedien die aktuellsten Ergebnisse und emotionalsten Dankesreden präsentierten, unterschieden sich jedoch von Seite zu Seite.

 

Sonntag, 24. November in Österreich. Um 17 Uhr flimmerte landesweit die erste Hochrechnung des genauso unerwarteten wie sensationellen Wahlergebnisses über die Bildschirme. Wie konnten die Internetuser die Stunden nach den ersten Hochrechnungen erleben. In welcher Form begleiteten die Parteien den Wahlabend im Netz und was berichteten die Online-Medien?

Impressionen eines wahlabendlichen Spazierganges durch die Internetangebote zur österreichischen Nationalratswahl 2002.

Der Sieger

Die
Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel schrieb an diesem Abend Geschichte. Im Vergleich zur letzten Wahl 1999 konnte die ÖVP um mehr als 15 Prozent Stimmen zulegen. Dies ist nicht nur in der österreichischen Nachkriegsgeschichte einmalig.

Das Fernsehen vermittelte erwartungsgemäß ein Bild des Jubels aus der Parteizentrale der Volkspartei. Die Feierstimmung der Funktionäre wurde aber auch ins Internet übertragen: Mit der ersten Hochrechnung um 15 Uhr erschien am Kopf der Seite flashanimiert die ersten Ergebnisse sowie die neuen Mandatsverteilung. Auch wurde nicht vergessen, dem Wähler zu danken und darauf hinzuweisen, dass die ÖVP nach drei Jahren erstmals wieder stimmenstärkste Partei in Österreich ist.

Des Weiteren konnten Internetuser über eine Webcam an der Siegesfeier in der Parteizentrale teilnehmen. Sämtliche offiziellen Reaktionen und Berichte waren sofort auf der Startseite verfügbar. Wer sich darüber informieren wollte, wie die Spitzenfunktionäre der Partei den Wahltag verbrachten, konnte dies ebenfalls auf der Homepage tun.

SPÖ

Die Webseite der
Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) wurde weniger intensiv mit Informationen über den Wahlabend gefüttert. Der Aufmacher der Seite bildete ein Foto des Parteiobmanns Alfred Gusenbauer, der sich mit dem Satz „Ich danke für Ihr Vertrauen“ an die Wähler wendete. Außer offiziellen Reaktionen in Form von Pressemitteilungen und ein Link zu den Wahlergebnissen auf der Seite des Österreichischen Rundfunks, gab es keine weiteren Infos. Das Ergebnis selbst war auf der Parteiseite nicht zu finden.

Die Grünen

Auf der Seite der
Grünen wurde man bereits vor der ersten Hochrechnung von einem Foto der drei Spitzenkandidaten begrüßt, die sich für das Vertrauen der Wählerschaft gegenüber den Grünen bedankten. Das Bundeswahlergebnis fand sich schon kurz nach der ersten Hochrechnung auf der Startseite, die Länderergebnisse folgen später.

Darüber hinaus wurde kein Kontakt zu den Usern gesucht. Offizielle Reaktionen auf das Wahlergebnis waren nicht zu finden. Das Archiv der Pressemitteilungen blieb auf dem Stand von vor der Wahl. Letzte Meldung war die des Vortages: „Grüner Wahlkampf endet zwei Minuten vor Mitternacht“.

Schweigen im Wald – FPÖ

So wie sich der Jubel um den ÖVP-Sieg auf ihrer Internetseite durch rege Betriebsamkeit widerspiegelte, lässt sich auch die Sprachlosigkeit der
Freiheitlichen (FPÖ), die 16 Prozent ihrer Stimmen im Vergleich zu 1999 verloren haben, in ihrer Internetpräsenz wieder finden. „Jungfräulich unberührt vom Wahltag“ charakterisiert die freiheitliche Seite wohl am besten. Selbst um 0.30 Uhr, also fast acht Stunden nach der ersten Hochrechnung, fand sich auf der FPÖ- Seite noch immer keine Spur, die auf die stattfindende Wahl oder das desaströse Ergebnis hindeutete. Weder ein Wahlaufruf an die Sympathisanten, noch Pressemitteilungen vom Wahltag ließen sich auf der Seite finden. Die letzte Pressemeldung stammte vom 20. November und war vier Tage alt. Lediglich ein kleines, unmotiviertes „Wir danken für ihr Vertrauen!“ vermittelte einen aktuellen Bezug zu den Wahlen. So halbherzig war es wohl in Anbetracht des Ergebnisses auch gemeint.

Zur Bedeutungslosigkeit verdammt – Das Liberale Forum

Bei den Kleinparteien schlug sich der Wahltag weder in Form eines nennenswerten Ergebnisses noch sonstigen Aktivitäten auf deren Internetseiten nieder. Das
Liberale Forum wies als Einzige der kleineren Parteien auf den Wahltag hin. An unauffälliger Stelle wurde ein einladender Link zur liberalen Wahlparty platziert. Aktuelle Pressemitteilungen gab es nicht.

Die Medien

Die Onlineberichterstattung der österreichischen Medien ist vergleichbar mit ihrer Wahlkampfberichterstattung: generell korrekt, aber weder besonders ambitioniert noch innovativ. Die aktuellen Hochrechnungen, Reaktionen der Parteien und Reportagen aus den Parteizentralen waren auf allen Onlinezeitungen vorhanden. Auch die vorläufigen Ergebnisse auf Bundes-, Bezirks- und Gemeindeebene, verglichen mit der Wahl 1999, fanden sich graphisch mehr oder minder kreativ aufbereitet auf allen Seiten.

Einzig
"die Presse“ und die
Kronenzeitung hatten Beachtenswertes zu bieten: bei beiden konnte man neben den Ergebnissen auch die zehn stimmenstärksten und – schwächsten Gemeinden jeder Partei für jedes Bundesland abrufen. Die Kronenzeitung bot sogar ein Ranking der „fleißigsten“ und „faulsten“ Bezirke in Hinsicht auf die Wahlbeteiligung an.

Der
Online-Standard, eine von Europas ersten Onlinezeitungen, bot neben einer flashanimierten Hochrechnung und Mandatsverteilung auch noch eine vom Meinungsforschungsinstitut SORA erstellte, interaktive Wählerstromanalyse. Die Animation präsentierte optional für jede Partei, die dazugehörigen Wähler(ab)wanderungen. Nachdem bekannt wurde, dass die SPÖ nach 33 Jahren nur mehr zweitstärkste Partei des Landes sein würde, ließ es sich der Onlinestandard nicht nehmen, auf die Startseite einen Link auf das Transkript des Standard-Chats von SPÖ-Chef Gusenbauer zu legen. Damit erinnerte die Zeitung an eine Aussage Gusenbauers im Wahlkampf. Jener verlautbarte damals, dass die Sozialdemokraten im Falle eines zweiten Platzes in die Opposition gehen würden. Auf diese Weise demonstrierte der "Standard", dass auch der virtuelle Raum der Onlinemedien, Platz für relevante, politische Geschehnisse bietet.

Technischer Höhepunkt der Onlineberichterstattung am Wahlabend war ein unmoderierter Live-Chat mit vier prominenten (Ex)-Politikern aller Parteien auf der Homepage der Kronenzeitung. Was auf den ersten Blick als Chance erschien, den Mehrwert des Internets zu nutzen, entpuppte sich in der Praxis als weitaus nüchterneres Ereignis: der politische Gehalt der „Diskussion“ war eher gering. Die Politiker bereicherten den Chat kaum und trugen wenig Substantielles bei. Sie fungierten lediglich als prominente Aufmacher.

Anscheinend gelten in den neuen Medium doch noch die alten Gesetze.

 

Erschienen am 25.11.2002