Als am 12. Dezember 2000 der Sturm der Journalisten und
Beobachter aus dem Supreme Court in der US-Bundeshauptstadt Washington die tatsächlich
letzte Episode der mehrwöchigen Wahl-Soap einleitete, hatten die europäischen Beobachter
eine ganze Menge gelernt. Immer neue Vokabeln aus dem Wahl-Latein fanden den Weg in die
Fernseh- wie Stammtisch-Debatten auf dem alten Kontinent. Mit haarsträubenden Geschichten
von "Punch Cards", "Pregnant Ballots", "Butterfly Ballots"
oder dem "Florida Recount" hat sich das US-amerikanische Wahlsystem an den
globalen Pranger stellen müssen. Die "Leading Democracy" (US-Eigenwerbung)
balancierte eine Zeit lang am Rande der Blamage.

Dass die Wahl des 43. US-Präsidenten zu einer solch
nervenzerreißenden Angelegenheit werden würde, ist weniger ungewöhnlich als eine
direkte und selbstverständliche Folge des knappen Wahlausganges. Mit George Bush ist erst
zum vierten Mal ein Kandidat ins Weiße Haus eingezogen, der nicht das "popular
vote" (die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen) gewonnen hatte. Bush war letztlich mit
271:266 Stimmen "nur" der Favorit des "Electoral College", jenes
altehrwürdigen Wahlmännergremiums aus der Gründerzeit, das so stark unter Beschuss
genommen worden war. Doch kritische Stimmen erhoben sich nicht erst in der vermeintlich
unsicheren Zwischenzeit nach dem Wahltag am 7. November und der Zusammenkunft der
Wahlmänner am 18. Dezember, die Tauglichkeit des Wahlsystems der "modernsten
Demokratie der Welt" wurde schon vor der Stimmabgabe angezweifelt. Auf besonders
subtile Art hinterfragten und "hintergingen" das angestaubte Wahlsystem jene
mehreren Zehntausend US-Bürgerinnen und Bürger, die sich in der letzten Oktober- und der
ersten Novemberwoche am so genannten "Vote-Swapping" beteiligten. Dieser via
Internet vermittelte Tausch von Wählerstimmen zwischen Anhängern unterschiedlicher
Kandidaten fand über den Umweg der digitalen, interaktiven Medien eine Lücke im
US-Wahlrecht mit seiner strengen bundesstaatlichen Grenzziehung.

Auslöser für den Start vieler Websites war ein Artikel
des Washingtoner Verfassungsrechtlers Jamin Raskin, der im Online-Magazin Slate vom
24.10.2000
die Möglichkeiten für einen digital vermittelten Stimmenhandel skizziert
hatte. Dabei sollte den beiden "linken" Kandidaten aus dem Dilemma ihrer
direkten Konkurrenz geholfen werden. Potenzielle Wähler des Grünen Ralph Nader sowie
Gore-Anhänger waren die Zielgruppe dieser Aktionen: im Gegenzug für die Unterstützung
des Vizepräsidenten in den hart umkämpften "Battleground States" hatten die
Anhänger des demokratischen Kandidaten in sicher gewonnen oder verloren geglaubten
Bundesstaaten Naders Grünen zum Sprung über die 5%-Hürde helfen sollen. Mit Blick auf
die bevorstehende Vereidigung von George W. Bush am 20. Januar 2000 läßt sich klar
sagen: das Unternehmen ist fehlgeschlagen. Doch ein Streifzug zu den Überresten der
Swapping-Sites zeigt, dass die Stimmung bei den Polit-Brokern nicht ins Bodenlose gesunken
ist.


Websites zum Vote-Swapping

Website Ort der
Registrierung
Eröffnung/
Schließung
 

Informationsseiten

greensforgore.org Eugene (Oregon) 29.08.2000
nadersraidersforgore.com Falls Church
(Virginia)
01.09.2000
voteexchange.org Washington (DC) 20.09.2000
voteswap.com Florham Park
(New Jersey)
02.10.2000
nadertrader.org Madison
(Wisconsin)
23.10.2000

Aktive Swapping-Sites

swapvote.com Austin (Texas) 25.10.2000
voteexchange.com Lake Fores
(Kalifornien)
27.10.2000
votetrader.org Oakland
(Kalifornien)
27.10.2000
tradevotes.com Eugene (Oregon) 28.10.2000
voteswap2000.net Seattle
(Washington)
30.10.2000
winwincampaign.com San Francisco
(Kalifornien)
31.10.2000

Geschlossene Swapping-Sites

voteswap2000.com Hollywood
(Kalifornien)
25.10.2000 –
30.10.2000
votexchange2000.com San Francisco
(Kalifornien)
26.10.2000 –
30.10.2000
nadergore.com Seattle
(Washington)
31.10.2000 –
n. bekannt

Im Kern handelte es sich bei den Online-Angeboten um Vermittlungsagenturen, die zumeist
nach Ablauf einer Registrierungsprozedur den Austausch von Adressen tauschwilliger
Wählerinnen und Wähler vornahmen. Als Sortier- und Vermittlungskriterien fungierten
dabei insbesondere die bundesstaatliche Zugehörigkeit sowie die angegebene Wahlabsicht.
Anhand dieser Daten ermittelten die Online-Angebote "passende" Tauschpartner in
anderen US-Bundesstaaten, mit denen ein "produktiver" Stimmentausch
durchgeführt werden könnte.

Durch diese Beschränkung auf die ausschließliche Vermittlung von Kontakten wurde –
zumindest aus Sicht der Betreiber – keinerlei bindender Vertrag über den Stimmentausch
beschlossen, sondern lediglich die Interessenten für eine "strategischen
Stimmabgabe" miteinander in Verbindung gebracht. Dadurch war zwar keineswegs auch das
Einlösen dieser virtuellen Übereinkunft sichergestellt, jedoch eine wichtige
Argumentationshilfe gegen den häufig aufkommenden Vorwurf der Illegalität gefunden: die
"Swapping-Sites" übernahmen im wesentlichen "nur" die Funktion eines
politisch motivierten Diskussionsforums, das um eine technische Vermittlungsprozedur zur
Auswahl der "Diskussionspartner" ergänzt war.

Die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Vermittlungstätigkeit lieferte schließlich
die spannendsten Episoden rund um die "Swapping-Sites". Unmittelbar nachdem die
Online-Angebote national bekannt geworden waren, schalteten sich in einzelnen
Bundesstaaten die Wahlaufsichtsbehörden ein. In mindestens drei Fällen (vgl. Tabelle)
wurde durch die Androhung rechtlicher Schritte gegen die Betreiber von
"Swapping-Sites" eine Schließung der Online-Angebote herbeigeführt.
Hauptargument des kalifornischen Staatsministers und obersten Wahlbeamten Bill Jones war die Anschuldigung, dass jeglicher Handel
mit Wählerstimmen den Tatbestand des Wahlbetruges erfülle und somit gleich mehrere
Paragraphen des Wahlgesetzes verletze. Zudem läge darüber hinaus eine strafrechtlich zu
verfolgende kriminelle Verschwörung vor.

Die direkt beschuldigten Betreiber der Websites Voteswap2000.com und
Votexchange2000.com kamen der Aufforderung zur "Abschaltung" der Websites
schnell nach, obwohl die Anschuldigungen einer eingehenden rechtlichen Prüfung
möglicherweise nicht lange stand gehalten hätten. Als letztliche Begründung führte die
Aufsichtsbehörde an, dass Wählerstimmen nicht gegen etwas Wertvolles ("something of
value") eingetauscht werden dürften.

Bislang wurde diese Bestimmung stets auf materielle oder finanzielle Gegenleistungen
angewendet, ob darin jedoch auch der "ideelle" Tausch Stimme gegen Stimme
eingeschlossen werden kann, ist mehr als unklar. Unmittelbar nach der
Unterlassungsaufforderung Anfang November legte eine Gruppe von Bürgerrechtlern,
Studenten und Online-Nutzern unter Anleitung des Anwaltes Peter J. Eliasberg eine formelle
Beschwerde gegen den Bescheid des Ministeriums ein. Die Gegenargumentation berief sich –
wie so oft – auf das "First Amendment", das Recht auf freie Meinungsäußerung,
die in den besonderen Fällen der "Swapping-Sites" eben auf eine zwar besondere,
aber legale Art und Weise durchgeführt werde (Volltext der Beschwerde im
pdf-Format). Der Beschwerde wurde bis zum Wahltermin nicht entsprochen – ein weiteres
juristische Zeitspiel in diesem denkwürdigen Wahlkampf.

Kaum eine der zahlreichen Stimmentauschbörsen hat die Arbeit seit dem 7. November
vollständig niedergelegt – ganz im Gegenteil, die Betreiber bieten Informationen über
die Resultate der Wählervermittlung an, beschreiben ihre Erfahrungen mit der
unkonventionellen Netznutzung oder führen Umfragen über die Akzeptanz der Angebote
durch. Die bisher vorliegenden Resultate sind nicht uninteressant: Der Blick auf die
zeitliche Entwicklung der Zugriffsdaten weist auf ein stetig wachsendes Interesse an den
"Swapping-Sites" hin. Durch das Aufkommen immer neuer Angebote und insbesondere
auch die Diskussion um Schließungen von Tauschbörsen verzeichneten die aktiv gebliebenen
Anbieter gerade in der Zeit zwischen dem 31.10. und dem 2.11. einen starken Nutzerzuwachs.
Nach deutlichen "Einbrüchen" über das Wochenende vor der Wahl (4.11./5.11.)
kam es zu einem Endspurt mit nochmals höheren Beteiligungsraten.

Methodisch verlässliche Ergebnisse zur Nutzung der "Vote-Swapping"-Sites
liegen bislang nicht vor, zu verweisen ist lediglich auf vereinzelte Server-Statistiken,
die von einigen Administratoren geführt wurden. In einer Auflistung der Nutzerdaten von zehn
"Swapping-Sites" wird eine Gesamtzahl von 16.024 digital vermittelten
Tauschaktionen errechnet. Die Anzahl der daran beteiligten Wählerinnen und Wähler wird
mit 36.025 angegeben. Angesichts von mehr als 100 Millionen abgegebener Stimmen mutet
dieser Wert verschwindend gering an, aufgrund der bundesstaatlichen Aufteilung der Stimmen
und angesichts des überaus knappen Wahlausgangs hat die Gesamtzahl digital vermittelter
Tauschaktionen jedoch nur eine geringe Aussagekraft. So lag die für den Bundesstaat
Florida ermittelbare Minimalzahl von "Swaps" bei 991 – und war damit größer
als die im offiziellen Wahlergebnis auf 573
Stimmen bezifferte Differenz zwischen Bush und Gore.

Wesentlicher Effekt des "Vote-Swapping" ist also die Ausbildung eines
Netzwerks von Online-Angeboten, die sich auf je verschiedene Art und Weise mit dem
Stimmenhandel auseinandergesetzt haben. Nicht zu unterschätzen ist zudem die
flächendeckende Diffussion der Idee des Stimmentauschs durch die landesweiten Medien.
Daher ist es wichtig, den Prozess des "Vote-Swapping" nicht allein auf die
tatsächlich aktiven Tauschbörsen zu reduzieren, sondern auch das Umfeld dieser
Kern-Angebote zu berücksichtigen. Auch wenn die Zahl der letztlich aktiv gewordenen
"Swapper" relativ gering ausfällt, ist das "Vote-Swapping" als
politisches Thema und alternative Methode zur Willensbildung auf die nationale Agenda
gesetzt worden. Dadurch erhielt die schon länger schwelende Diskussion um eine
Aktualisierung des indirekten, föderalen Wahlsystems zugleich eine praktische Dimension
und eine neue Dynamik. Und wie immer heißt es nach erfolgter Stimmabgabe: Die nächste
Wahl ist immer die schwerste…