1203_VDSVorratsdatenspeicherung, Quick-Freeze oder Digitale Spurensicherung. Viele Begriffe für im Grunde ein einziges Phänomen: die vorsorgliche und dementsprechend anlasslose Speicherung von Daten sämtlicher Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Kommt sie, kommt sie nicht? Hintergrund und Fakten einer seit Jahren anhaltenden Diskussion.

Was genau ist Vorratsdatenspeicherung? – Begriffsklärung

Bei der sogenannten Vorratsdatenspeicherung (VDS) handelt es sich um die vorsorgliche und dementsprechend anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten für einen gewissen Zeitraum. Verkehrsdaten, auch Metadaten genannt, sind Daten, die bei der Durchführung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Unter Verkehrsdaten versteht man nach §96 Telekommunikationsgesetz (TKG) unter anderem E-Mail-Adressen, Datum und Uhrzeit des Zugriffes und der Zustellung der Daten, Routing-Informationen, also den Weg, den Nachrichtenströme in Rechnernetzen nehmen; außerdem Angaben über IP-Adressen, also die Kennung im Internetprotokoll (IP), die einem Gerät zugewiesen wird, so dass dieses adressierbar und damit erreichbar wird. Weiterhin zählen die Nummer oder Kennung beteiligter Telefonanschlüsse, bei mobilen Anschlüssen auch die Standortdaten zu den Verkehrsdaten. Bei einer Protokollierung von Telefondaten wird also gespeichert, wer wann mit wem wie lange telefoniert hat, und das sowohl für einkommende als auch ausgehende Anrufe. Nicht zu den Verkehrsdaten zählen Angaben mit Bezug zum Inhalt.

Im Jahr 2010 hat die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger die Vorratsdatenspeicherung in der Form des Quick-Freeze-Verfahrens vorgeschlagen. Dieses hätte die Speicherung nach richterlicher Anordnung auf sieben Tage beschränkt. Da die Verkehrsdaten aber nur in wenigen Ausnahmefällen überhaupt von den Telekommunikationsunternehmen gespeichert werden dürften, können die Daten ebenso selten eingefroren werden, so dass diese Maßnahme praktisch ins Leere laufen würde.

Seit einiger Zeit wird Vorratsdatenspeicherung auch als „Digitale Spurensicherung“ bezeichnet. Diesen Namen hat unter anderem die CSU im Februar 2015 in die Diskussion gebracht. Am Verfahren ändert sich dabei nichts. Mit dem Begriff wird jedoch eine Analogie zur Spurensicherung, ähnlich der analogen Kriminaltechnik an Tatorten von Verbrechen, hergestellt. Die zuvor gespeicherten Daten dienen dabei nicht der Prävention, sondern sollen lediglich zum Einsatz kommen, nachdem ein Verbrechen geschehen ist, und damit bei der Aufklärung helfen.

Pro und contra Vorratsdatenspeicherung – die wichtigsten Argumente

Befürworter der Vorratsdatenspeicherung argumentieren mit den großen Vorteilen für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr sowie mit der Verhinderung von Straftaten und Terroranschlägen. In vielen Bereichen von Terrorismusbekämpfung oder der organisierten Kriminalität bis hin zu Betrugsdelikten bieten Verkehrsdaten häufig den einzigen Ermittlungsansatz. Nur durch sie sei eine Rekonstruktion der Telekommunikationsverbindungen möglich, erklären die Anhänger der Vorratsdatenspeicherung.

Gegner argumentieren, dass die Vorratsdatenspeicherung das grundlegende Prinzip des Rechtsstaates aushebelt und letztlich ins Gegenteil verkehrt: die Unschuldsvermutung. Denn die Vorratsdatenspeicherung trifft anlasslos jeden Menschen, der sich im Internet bewegt oder ein Telefon benutzt. Damit wären alle grundsätzlich verdächtig. In der analogen Welt ist eine Überwachung nur im Verdachtsfall und auf richterliche Anordnung möglich, bei Internet und Telefonie sei dies durch die Vorratsdatenspeicherung ein Dauerzustand, so die Kritiker. Und das letztlich ohne Not und Bedarf, weil entgegen der Behauptungen der Befürworter keinerlei Erkenntnisse darüber existieren, dass die VDS tatsächlich effektiv und damit notwendig zur Aufklärung von Straftaten sei. Weiterhin ist der Speicherort für die Daten bisher ungeklärt. Zumeist werden sie bei den Anbietern gespeichert, bei diesen bestehen jedoch Sicherheitsbedenken.

Juristischer Hintergrund

Im Nachhall der Terroranschläge von Madrid im Jahr 2004 und London 2005 hatte die Europäische Union mit der Richtlinie 2006/24/EG eine Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten verabschiedet. Die Richtlinie sah eine Speicherung von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren vor. Sie legte fest, welche Daten von den Telekommunikationsunternehmen gespeichert und nur in bestimmten Fällen und in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht an die zuständigen nationalen Behörden weitergegeben werden dürfen. Zu speichern seien dabei die IP-Adressen beim Zugangsanbieter, Telefondaten, E-Mail-Daten und Standortdaten beim Mobilfunk (für genauere Erläuterungen siehe oben).

Bereits am 2. März 2010 hatte das Deutsche Bundesverfassungsgericht sein Urteil über diverse Verfassungsbeschwerden, unter anderem vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, einer Gruppe von FDP-Politikern und Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, gesprochen und das geltende deutsche Gesetz für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass das Gesetz gegen Artikel 10, Absatz 1 des Grundgesetzes (Fernmelde- und Telekommunikationsgeheimnis) verstoße. Alle bis dato gesammelten Daten mussten daraufhin gelöscht werden. Das Gericht urteilte, dass Daten maximal sechs Monate gespeichert, Daten hinreichend gesichert und Geheimnisträger wie Journalisten und Anwälte von der Überwachung ausgenommen seien. Weiterhin dürften die Daten nur nach richterlicher Genehmigung für die Verfolgung schwerer Straftaten genutzt werden.

Am 8. April 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in seinem Urteil der Großen Kammer C-293/12 und C-495-12 die bis zu diesem Zeitpunkt gültige EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig und markierte damit einen Wendepunkt in der Debatte über die Datenspeicherung in Europa. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass die Richtlinie gegen Artikel 7 und 8 der Europäischen Grundrechte-Charta verstieß, also gegen die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten. Die Pflicht zur Datenspeicherung hielten die RichterInnen für einen „besonders schwerwiegenden Eingriff“ in die besagten Grundrechte. Sie betonten in ihrem Urteil, dass Datenspeicherung grundsätzlich legitim sei, mit dem Ziel, schwere Kriminalität zu bekämpfen. Die bisherige Richtlinie sei jedoch viel zu weit gefasst und überschreite die Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Die Richtlinie regele darüber hinaus keine Pflicht, den Zugang zu den Daten (also den „zweiten Schritt“) auf die Verfolgung schwerer Straftaten zu beschränken, außerdem gebe es keine Pflicht zur gerichtlichen Kontrolle des Zugriffs. Die Dauer der Speicherung (zwischen sechs und 24 Monaten) sei viel zu undifferenziert geregelt, und die Missbrauchsrisiken bei den speichernden Telefonunternehmen würden nicht wirksam bekämpft. Zudem schreibe die Richtlinie nicht vor, dass die Daten im Gebiet der EU gespeichert werden müssen.

Situation in Deutschland

In Deutschland ist die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung weiterhin möglich, jedoch durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH stark eingeschränkt. Nach den Anschlägen von Paris auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ wurde von PolitikerInnen der CDU und CSU die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gefordert. Aktuelle Presseberichte, nach denen das Bundesinnen- und das Justizministerium zurzeit an einem neuen Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung arbeiten würden, dementierte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) postwendend. Es gebe zwar Gespräche zwischen den Ministerien, jedoch bisher ohne neue Ergebnisse. Die Schwierigkeit besteht darin, die Auflagen der Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes zu erfüllen.

Und wie geht es weiter?

In Frankreich und in Großbritannien werden Verkehrsdaten aktuell weiterhin für zwölf Monate, in Polen sogar 24 Monate lang gespeichert. Auch Tschechien und Rumänien haben die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, dort zweifeln die obersten Gerichte jedoch an der Rechtmäßigkeit der Gesetze. In Schweden wurde die EU-Richtlinie zwar umgesetzt, jedoch erst nach einem EuGH-Urteil im Jahr 2012, das sie zur Umsetzung der Richtlinie verurteilte. In den Niederlanden wurde die Vorratsdatenspeicherung vor wenigen Tagen  von einem Gericht in Den Haag außer Kraft gesetzt.
Durch das Urteil des EuGH wurde nur die Pflicht der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in den EU-Mitgliedsstaaten außer Kraft gesetzt. Es kann jedoch eine neue Richtlinie verabschiedet werden, wenn sie den Kriterien des Urteils entspricht. Seitens der EU-Kommission wurde jedoch betont, man plane zurzeit keine neue Initiative zum Protokollieren von NutzerInnendaten. Auch in Deutschland besteht die Möglichkeit, dass die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt wird, jedoch müsste eine neue Gesetzesvorlage die Auflagen des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts erfüllen.

Bild: Martin Abegglen

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