Im Wahlkampf drehten Parteien und Politiker online auf. Inzwischen fristen viele Seiten ein tristes, ungepflegtes Dasein. Bei Hubertus Heil, einem fleißigen Online-Wahlkämpfer, werden nur noch die Pressemitteilungen auf der Homepage aktualisiert. Immerhin. Jürgen Trittin befindet sich laut Facebook weiterhin auf Wahlkampftour. Und Franz Müntefering lädt zur Wahlkampfkundgebung nach Berlin ein.

Vielen Politikern scheint nach der Bundestagswahl das Interesse am Internet und insbesondere am Dialog mit den Wählern verloren gegangen zu sein. Dies ist das Ergebnis einer Stichprobe von politik-digital.de auf den Parteiseiten, Politiker-Homepages und Profilen in Sozialen Netzwerken wie studiVZ und Facebook oder Plattformen wie Twitter, Flickr und Youtube. Zudem werden die Personalressourcen für Online in den meisten Parteizentralen derzeit zurückgefahren.

Die Flickr-Seiten mit aktuellen Fotos aller Parteien kamen exakt am 27. September 2009 zum Stillstand. "Das wirft das Bild auf: ‘Vielen Dank, dass Sie uns gewählt haben, aber jetzt machen wir erst mal wieder Unseres’,“ kritisiert Patrick Brauckmann, Experte für Online-Wahlkampf und Autor bei politik-digital.de, dieses Verhalten der Parteien.

So nicht

Genau solch ein Verhalten demonstriert der Ex-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in seinem Blog. Im Oktober schrieb er, wie sehr er den Austausch mit den Bürgern und seine täglichen Reflektionen im Wahlkampf genossen habe. Weiterschreiben will er dennoch nicht. Er dankt seinen Lesern und verabschiedet sich: „Der Wahlkampf ist zu Ende. Deshalb muss auch der Wahlkampf-Blog seinen Schlusspunkt finden.“ In den Kommentaren wünschen sich Steinmeiers Leser jedoch eine Fortsetzung.

Inspiration für neue Themen könnte Frank-Walter Steinmeier sich bei der FDP holen. Denn die 93 liberalen Bundestagsabgeordneten schreiben mehrmals in der Woche aus persönlicher Sicht über Themen wie Demokratieverständnis und die Finanzkrise. Die User werden zum Diskutieren angeregt. Nicht alle, aber einige Kommentare werden beantwortet.

Schwarze Schafe 

Außer Steinmeier gibt es auch andere schwarze Schafe, besonders unter den prominenten Politikern. Jürgen Trittin sei seit der Trittin TerminkalenderBundestagswahl einfach zu beschäftigt gewesen, um seine Facebook-Seite zu aktualisieren, sagt sein Berliner Büroleiter. Die pflege er nämlich selbst, nicht die Mitarbeiter. Aus Termingründen hat er seit dem 28. September 2009 wahrscheinlich auch mit dem Twittern aufgehört. Obwohl, laut Terminkalender seiner offiziellen Webseite, hat er seit dem 20. April nichts mehr zu tun. 

Bei Franz Müntefering ist nach der Wahl jegliche Internetkommunikation zum Erliegen gekommen. Nicht nur der echte Müntefering hat Facebook und Flickr aufgegeben,  sogar sein unter falschem Namen twitterndes Online-Alter-Ego  lässt seit Oktober das Zwitschern. SPD-Kollege Hubertus Heil war in der Wahlkampfzeit in vielen sozialen Netzwerken unterwegs. Seit dem 27. September 2009 hat er es nur vier Mal geschafft, seinen über 4000 Followern bei Twitter eine Nachricht zu twittern. Die regelmäßigen Statusmeldungen samt Smileys auf Facebook sind den trockenen Nachrichten seiner Webseite gewichen.

Gruscheln ja – Dialog nein

Zum gelegentlichen Anstupsen und Gruscheln in den Sozialen Netzwerken ließen sich viele Politiker in der Stichprobe von politik-digital.de noch animieren. Ein wahres Interesse an ihren Freunden aus dem Wahlkampf zeigen sie bei Facebook und StudiVZ aber nicht. Dialog findet selten statt. Oft diskutieren die Anhänger untereinander, beispielsweise über den Mindestlohn und Atompolitik.

Merkel fbookEinen guten Willen demonstrieren einige Politiker durch regelmäßige Status-Updates. Mit 420 Zeichen gewährt zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer Profilseite bei Facebook einen kleinen Einblick in ihre Arbeitswelt. Und der neue Außenminister Guido Westerwelle zeigt, wie sehr ihm die neue Rolle des Außenministers gefällt. Er veröffentlicht ein Video nach dem anderen, mit ihm und anderen hochrangigen Volksvertretern in der Hauptrolle.

Erschlaffender Youtube-Elan

Immerhin: Alle Parteien und die meisten Politiker haben ihre Webseiten und Profile während der vergangenen sieben Wochen seit der Bundestagswahl aktualisiert. Etwas verschlafen wirken viele im Vergleich zum Wahlkampf dennoch. In der Multimedia-Datenbank der CDU, die mit aktuellen Fotos, Audio-Dateien und Videos zum Downloaden wirbt, ist der neueste Eintrag bereits zwei Wochen alt. Die Highlights des Youtube-Kanals der SPD beschränken sich auf historische Wahlwerbespots, das Angebot für Gehörlose verwaiste schon im August.

Anders sieht es bei den Grünen aus. Kanal Grün stellte allein am 9. November 2009, passend zum Mauerfall-Jubiläum, zwei neue Videos ins Netz. Dabei handelt es sich um Interviews mit Renate Künast und Steffi Lemke. Das Gegenbeispiel bildet die Linkspartei: Sieben Wochen brauchte die Partei, um drei neue Videos hochzuladen.

Plätscherndes Gezwitscher

Bei Twitter sind viele Politiker und Parteien weiterhin mehr oder weniger aktiv. Es scheint, den meisten fehlt eine konkrete Informations- oder Mobilisierungsstrategie sowie ein Gespür für spannende Inhalte. Miriam Meckel und Katarina Stanoevska-Slabeva, Professorinnen für Medienmanagement an der Universität St. Gallen, fordern „gezielte Informationen mit Vertiefungshinweisen oder Mobilisierungscharakter zu senden, die einen Nutzwert für die Bürger haben.“

Um eine treue Mitgliedergemeinde aufzubauen, müsse regelmäßig getwittert und mit den Menschen kommuniziert werden, meinen die Professorinnen. Dazu gehören auch gezielte persönliche Ansprachen und konkrete Aufrufe genauso wie das Interesse an den eigenen Followern.

Aktive Kleinparteien

Die FDP macht es richtig. Während der Koalitionsverhandlungen konnten die Liberalen einen sprunghaften Anstieg an Followern bei Twitter registrieren. Die Partei informierte Interessierte kontinuierlich über den Verlauf der Gespräche.

Kindler TwitterAuf die Grünen wirft Sven Kindler, jüngster grüner Oppositionsabgeordneter, ein gutes Licht. Er twittert mehrmals täglich über sein Leben als Abgeordneter. „Jetzt bis halb elf Konstituierung des Arbeitskreises I. Ab elf dann Regierungserklärung und Aussprache dazu“ beginnt sein stündliches Gezwitscher-Update am 10. November.

Sie kennen noch ein besonders gutes oder schlechtes Beispiel für Online-Elan von Politikern? Schreiben Sie uns gerne in den Kommentaren!

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