Kulturflatrate, Leistungsschutzrecht oder Three Strikes-Modell – das Urheberrecht hat viele Facetten und wird kontrovers diskutiert. Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse hat erst gestern der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Standpunkt der Verwerter deutlich gemacht. Die Linke diskutierte am Montag in einem öffentlichen Fachgespräch hingegen über Alternativen.

Am Anfang des Abends stand ein Gedankenexperiment: ein Zeitreisender aus den frühen 1960er Jahren befindet sich auf Entdeckungstour durch die Welt des 21. Jahrhunderts mit allen Möglichkeiten mobiler Kommunikation. Aus der Lebenswelt des Zeitreisenden und noch viel weiter zurückliegenden Abschnitten der Geschichte stammen auch große Teile des geltenden Urheberrechts. Der Online-Journalist und Mitgründer des Urheberrechtsblogs irights.info Matthias Spielkamp zitierte auf der von der Linken am Montag ausgerichteten Veranstaltung den britischen Science Fiction- und Fantasy-Autoren Carles Stross. Mit dessen Gedankenexperiment wollte Spielkamp zeigen, dass das Urheberrecht von damals nicht für die technischen Voraussetzungen von heute konzipiert worden ist. Man müsse darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass es sich hierbei nicht nur um einen technischen Wandel handele, sondern auch um einen „von Technologie getriebenen gesellschaftlichen Wandel ungeheuren Ausmaßes“. Diesen neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müsse sich das Recht anpassen. Am Beispiel eines auf Facebook eingestellten Videos verdeutlichte er die Komplexität des Urheberrechts: So kann es beispielsweise einen urheberrechtlichen Unterschied machen, welchem Personenkreis das hochgeladene Video präsentiert wird. Wenn das Video lediglich dem engsten Freundeskreis gezeigt wird, liegt kein Urheberrechtsverstoß vor. Dürfen hingegen alle Nutzer frei auf das Video zugreifen, kann von einer öffentlichen Sphäre gesprochen werden – dann könnte es sich bereits um einen Urheberrechtsverstoß handeln. Das Recht könne daher nicht technikneutral gestaltet sein und ohne gesellschaftliche Anerkennung auf Dauer nicht bestehen.


Das „Stuttgarter Urteil“ im Hinterkopf

Diese Fragen diskutierten Oliver Hinte vom Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft sowie Arne Upmeier, Leiter der Rechtskommission des deutschen Bibliotheksverbandes und Jurist an der TU Ilmenau. „Die Gewichte haben sich verschoben. In den letzten Jahren gab es eine Machtverschiebung hin zu den Urheberrechtshaltern“, stellte Upmeier fest. In der analogen Welt habe der Erschöpfungsgrundsatz kaum eine Rolle gespielt. Was der Nutzer mit einem musikalischen, filmischen oder literarischen Werk angefangen hat, war urheberrechtlich relativ uninteressant. Doch mit der Digitalisierung ergaben sich ungeahnte neue Vervielfältigungsmöglichkeiten – womit die Problematik der Urheberrechtsverletzung erhöhte Aufmerksamkeit erfuhr. Upmeier kam dabei inbesondere auf die Frage zu sprechen, wie mit verwaisten und vergriffenen Werken umzugehen sei. Für verwaiste Werke, deren Urheber nicht mehr auffindbar sind, schlug er die Gründung eines Entschädigungsfonds aus staatlichen Mitteln vor. Fall sich der Urheber nachträglich doch noch melde, könne er aus diesem Topf eine Entschädigung erhalten. Laut Einschätzung von Oliver Hinte könne die Bestandssumme des Entschädigungsfonds gering gehalten werden, da er die Zahl der Urheber bzw. Urheberrechtshalter, die sich nachträglich melden würden, für überschaubar hält. Arne Upmeier verwies darauf, dass eine Digitalisierung bei vergriffenen Werken einer Enteignung nahe käme, weshalb bei diesem Szenario über Entschädigungen für Rechteinhaber nachgedacht werden müsse. Oberstes Ziel müsse nach Meinung von Oliver Hinte die digitale Nutzbarkeit wichtiger kultureller Güter für alle sein. Deshalb plädiert er für die sogenannte Opt out-Regelung. Die Digitalisierung eines Werks solle dem Urheber angekündigt werden, und dieser solle eine Einspruchsmöglichkeit erhalten. Mache er davon nicht Gebrauch, könnte die Digitalisierung vollzogen werden.

Oliver Hinte kritisierte auch Teile der derzeitigen Schrankenregelungen für den wissenschaftlichen Betrieb. So können beispielsweise Angebote, die über elektronische Leseplätze zur Verfügung gestellt werden, nicht von außerhalb der Bibliotheken genutzt werden. In Zeiten überfüllter Hörsäle und Bibliotheken sei dies jedoch nicht praktikabel. Hinte sprach sich daher für eine Novellierung der entsprechenden Vorschriften aus. In diesem Zusammenhang sei auch das jüngst vom Stuttgarter Landgericht ausgesprochene Urheberrechtsurteil nicht nachvollziehbar. Der Alfred Kröner Verlag hatte die Fernuniversität Hagen wegen einer zu umfangreichen Bereitstellung eines von ihm vertriebenen geschützten Buches im internen Hochschulnetz verklagt. Das Gericht hatte sich letztlich dazu entschieden, nur zehn Prozent zur kostenfreien Verbreitung an Studierende zuzulassen. „Leider gibt es hier immer wieder lediglich Einzelfallentscheidungen der Gerichte anstelle konkreter Vorgaben durch den Gesetzgeber“, monierte Hinte im Gespräch mit politik-digital.de. Paragraph 52a des Urheberrechts, der den Zugang für Unterricht und Forschung regeln soll, bleibt sehr vage. Demnach dürfen „kleine Teile“ eines Werkes zugänglich gemacht werden. Im täglichen Studienbetrieb sei dies wenig nützlich. Daher fordert Hinte, dass sämtliche Werke „im kompletten Umfang für Forschung und Lehre zur Verfügung gestellt werden“. Gleichwohl sei eine angemessene Vergütung für Verlage und Urheber wichtig. Einzelabrechnungen seien dafür jedoch keine praktikable Lösung.

Arne Upmeier hält die derzeitigen Beschränkungen schlicht für gescheitert. Bibliotheken seien deshalb mit der Digitalisierung von Medien sehr zurückhaltend. Zumal Paragraph 52a sogar nur bis Ende 2012 befristet ist, denn „der Gesetzgeber wollte den Verlagen nicht weh tun.“ Mit einem Zweitverwertungsrecht könnten die Urheber ihre Werke  nach einer Erstverwertung durch einen Verlag bzw. eine Verwertungsgesellschaft selbst anderweitig vermarkten. Im Rahmen der Verwertungsbedatte wird auch immer wieder über die Länge einer Embargofrist, in der eine solche Zweitverwertung noch blockiert werden könnte, diskutiert. Während Oliver Hinte die Frist auf maximal ein halbes Jahr beschränken will, sprach sich Upmeier grundsätzlich gegen Embargofristen aus. Er brachte zudem die Möglichkeit ins Gespräch, die Vergabe von Forschungsmitteln an die kostenfreie und öffentliche Bereitstellung der Forschungsergebnisse zu knüpfen. Im Gespräch mit politik-digital.de bewertete Hinte diesen Vorschlag differenziert. Einerseits müssten sich Wissenschaftler auf die Freiheit der Forschung berufen und damit selbst über die Publikation ihrer Ergebnisse entscheiden können, andererseits sollten drittmittelfinanzierte Projekte zur kostenfrei zugänglichen Publikation verpflichtet werden.


Geistiges Eigentum oder doch eher Wert der Kreativität?

Kontrovers diskutiert wurde am Montag auch der Begriff des geistigen Eigentums. Olaf Zimmermann vom deutschen Kulturrat gab zu bedenken, dass die Frage nach der Rolle eines Akteurs im Kultursektor „gar nicht so einfach zu beantworten“ sei. Wer Produzent, Nutzer oder Verwerter ist, sei nicht immer klar ersichtlich, da die Strukturen häufig sehr  kleinteilig seien. Der Gegensatz zwischen „bösen großen Vermarktern und kleinem armen Künstler“ dürfe daher nicht verallgemeinert werden. Zudem wecke der Begriff des geistigen Eigentums unterschiedliche Assoziationen, weshalb er lieber vom einem „zu schützenden Wert der Kreativität“ sprechen wolle. In seiner Rolle als Filmemacher und Produzent beschwor Cay Wesnigk leidenschaftlich die Bedeutung der Verwertungsgesellschaften. Die Nutzung kultureller Güter solle Geld kosten – einen freien Zugang auf Kosten der Urheber dürfe es nicht geben. Professor Artur-Axel Wandtke von der Berliner Humboldt-Universität sieht den Begriff des geistigen Eigentums in der Netzwelt in Auflösung begriffen. Die Entscheidungsfreiheit über den  freien oder vergüteten Zugang zu einem Werk müsse der Urheber auch weiterhin genießen. Autor und Musikproduzent Tim Renner sieht in der Debatte um das Urheberrecht einen Versuch, etwas zu kontrollieren, was nicht zu kontrollieren sei. Ein Gestaltungs- und Kontrollrecht sei im Internet nicht einklagbar. „Wir können den Wunsch des Nutzers, mit unseren Werken zu experimentieren, nicht übergehen“, antwortete er auf die Frage nach der urheberrechtlichen Zulässigkeit von Mashups und und anderen technischen Möglichkeiten des Eingriffs in ein Werk. Dennoch hält auch er die Schaffung funktionierender Vergütungsstrukturen für essentiell.

Beim Thema Vergütung wurden unterschiedliche Positionen vertreten und diskutiert. Während sich Professor Wandtke gegen eine Kulturflaterate aussprach und für Möglichkeiten individueller Abrechnungsmöglichkeiten votierte, beklagte Cay Wesnigk die Untätigkeit des Gesetzgebers, der „schon längst eine entsprechende Infrastruktur“ hätte schaffen sollen. Er brachte das Modell einer Haushaltsabgabe, die der Branche der Kulutrschaffenden jährlich insgesamt eine Milliarde in die Kassen spülen könnte, in die Debatte ein. Im Gegenzug solle dann aber auch die kostenfreie Publikation sämtlicher Werke im Netz gewährleistet werden. Tim Renner ergänzte, dass Menschen durchaus bereit seien, für vollständige und qualitativ hochwertige Angebote zu zahlen. Für staatliche Regulierungsaktionen wie jüngst in Frankreich zeigt er jedoch kein Verständnis. Die in Deutschland von Siegfried Kauder ins Gespräch gebrachte „Three Srikes“-Lösung werde nicht zum Schutz der Urheber beitragen.

Und wie stehen die großen Verwertungsgesellschaften zu einer potenziellen Reform des Urheberrechts? Leider war kein großer Verlagsvertreter zum Fachgespräch eingeladen worden, so dass die selbst gestellte Vorgabe der Linken, einen Dialog unter Einbeziehung aller Interessen zu veranstalten, verfehlt wurde. Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Gottfried Honnefelder warnte in seiner gestrigen Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse vor dem wachsenden Einfluss der Piratenpartei – denn deren Forderungen nach einer umfassenden Urheberrechtsreform seien bei denjenigen beliebt, „die nicht davon leben, mit Texten, mit Literatur, mit Inhalten – so genanntem geistigen Eigentum – umzugehen”.


Leistungsschutzrecht und weitere Initiativen

Als eine Spielart des Urheberrechts wurde schließlich die Idee des Leistungsschutzrechtes diskutiert. Die Presseverleger klagen dieses seit langem ein, da sie sich „gegen eine unentgeltliche Ausnutzung ihrer Angebote im Internet zur Wehr setzten müssten“. Matthias Spielkamp betonte die Gefahren, die dieses Recht berge. Vor allem die Verlage wollten sich laut Spielkamp damit schützen – die Chance, dass es den eigentlichen Urhebern zugute käme, sei hingegen gering. Das Leistungsschutzrecht wäre daher in letzter Konsequenz nur schwerlich mit dem Urheberrecht in Einklang zu bringen. Thierry Chervel, Leiter und geistiger Vater des Kulturmagazins perlentaucher.de, erinnerte daran, dass sich Autoren beim Zitieren „immer aufs Glatteis begeben“. Er weiß, wovon er spricht: Seit 2007 befindet sich das von ihm gegründete Magazin wegen seiner Rezensionen im juristischen Dauerstreit mit der Frankfurter Allgemeinen sowie der Süddeutschen Zeitung, die ihm Diebstahl geistigen Eigentums vorwerfen. Rechte an Texten glaubhaft zu machen, sei jedoch ein schwieriges Unterfangen. „Sprache braucht Spielraum, sonst läuft sie Gefahr, monopolisiert zu werden“, so Chervel. Damit wolle er jedoch nicht als Fürsprecher der Guttenbergs dieser Welt verstanden werden. Das Leistungsschutzrecht wäre auch seiner Einschätzung zufolge lediglich ein Recht für die Verlage.

Die Interessen beim Thema Urheberrecht sind und bleiben widersprüchlich. Während das Thema im Bundestag von der Linken forciert wird, wollen auch die Grünen im Europäischen Parlament das Recht grundlegend reformieren. Sie wollen das Filesharing ohne Gewinnabsichten grundsätzlich für legal erklären, da dieses Recht auch für die Medien der „analogen Welt“ gegolten habe. Ferner sollten nach Meinung der Grünen auch Mashups oder Parodien erlaubt sein. Für den Fall, dass dadurch die „Produktion kultureller Güter beeinträchtigt“ werde, sollten Überlegungen zur Einführung einer Kulturflaterate angestellt werden. Modelle zur Sanktionierung von Urheberrechtsverstößen wie das „Three Strikes-Gesetz“ seien dagegen ineffizient und zu kostenintensiv. Durch die Sperrung eines Internetanschlusses würden auch Unschuldige bestraft. Zudem können Sperrungen spielend umgangen werden. In diesem Zusammenhang wird auch das kürzlich verabschiedete Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) kritisiert, welches nach Ansicht der Grünen die Rechte der Verwerter geistigen Eigentums stärke, während es Grund- und Freiheitsrechte der Nutzer missachte. Sie wollen sich dafür einsetzen, dass das Abkommen von der EU nicht unterzeichnet wird. Derweil wird auch in Deutschland über den so genannten „dritten Korb“ der Urheberrechtsreform gestritten. Ein Referentenentwurf des Bundesjustizminsteriums war ursprünglich für das zweite Quartal dieses Jahres angekündigt. Ein Ende der Diskussionen ist derzeit jedoch nicht absehbar.