"Die Strategie", wusste
der alte Preußengeneral Carl von Clausewitz, "ist die Ökonomie der Kräfte."
Das gilt ganz besonders für die Kampagne – den kommunikativen Feldzug. Das Herz
einer politischen Kampagne ist die Kommunikation mit dem Bürger.

Eine Kampagne ist im Wesentlichen
eine Serie von Kommunikations-Ereignissen. Sie soll bei den für eine Botschaft
empfänglichen und erreichbaren Menschen eine gewünschte Wahrnehmung schaffen
oder ausbeuten, um eine Mehrheit zu einer politischen Entscheidung zu bringen:
für einen Kandidaten oder eine Partei zu stimmen – oder gegen ihre Gegner. Oder
aber im Fall von Sachkampagnen Unterstützung zu leisten: finanzielle, kommunikative
oder organisatorische Unterstützung, um Entscheidungsgremien unter Druck zu
setzen.

Gute Kampagnen als Kommunikations-Feldzüge
müssen

 

  • geplant Aufmerksamkeit
    erregen,
  • eine einheitliche Botschaft
    in Bild und Wort präsentieren,
  • den Kandidaten, die Partei
    oder die Sache klar von den Wettbewerbern unterscheiden
  • als wichtigstes Ziel die
    Kontakt-Wiederholung anstreben.

    Die Schlüssel zum Sieg
    sind die Intensität einer Botschaft und die Intensität des Kontakts – sprich
    Wiederholung.

    Nach einer intensiven
    Recherche- und Aufbauphase beginnt jede Kampagne mit ihren ersten Versuchen,
    Interesse an ihrem Kandidaten oder für ihre Sache zu wecken und ein Image
    zu formen. Sie muss

     

  • die Menschen mit einem
    Ereignis auf den Beginn der Kampagne aufmerksam machen,
  • ihre Gesichter, ihren Appeal
    und ihre Unterstützer einführen,
  • eine Beziehung mit den
    Medien aufbauen,
  • einen Kampagnen-Stil als
    eine Art Markenzeichen etablieren und
  • ein dominantes Thema in
    den Mittelpunkt rücken.

    Alte Techniken, neue
    Technologie

    Personalisierung, Emotionalisierung, Visualisierung, Ereignismanagement und
    Themenmanagement: das sind alte Techniken für diese Kampagnen mit neuen Schlagworten.
    Wirklich neu ist die Verbindung mit High-Tech: satellitengestützter elektronischer
    Kommunikation, einem schrumpfenden Nachrichtenzyklus und Sofortzugriff auf
    immense Informationsmengen. Dabei beschränkt sich die Medienkampagne längst
    nicht nur auf die TV-gerechte Inszenierung oder das fixe Verteilen von O-Tönen
    über Audio-Servicenummern für Radiojournalisten. Der Computer erleichtert
    die Organisation durch gleichzeitige Briefings regionaler Mitarbeiter, er
    ermöglicht Blitzumfragen, Direktmarketing durch Telefonaktionen aus dem Call-Center
    und Massensendungen, er ermöglicht Web-Wahlkampf und Videoclips von Kandidaten,
    die übers Internet an jeden PC gelangen. Ebenso erlaubt er umfassende Gegnerbeobachtung
    ("Opposition Research") und schnelle, korrektive Reaktion ("rapid reponse",
    "rebuttal"). Die Folge: Das Tempo wird schneller, der Stil härter, die Methoden
    direkter. Rhythmus und Puls des Wahlkampfes folgen den Kandidaten ins öffentliche
    Amt.

    Und je schneller die
    erzielten Umdrehungen, desto mehr Begeisterung lösen die atemlosen Macher
    aus. "Speed kills" – dieses Wort aus dem Mund von Bill Clintons Ex-Strategen
    George Stephanopoulos und James Carville haben viele Kampagneros zu ihrem
    Motto gemacht: Schnelligkeit in Aktion und Reaktion gilt inzwischen als ultimatives
    Symbol der Professionalität. Bei zu hohem Tempo aber, das sollte jeder schon
    in der Fahrschule gelernt haben, kann man in wenigen Augenblicken die Kontrolle
    über das Steuer verlieren. "Speed kills" – das ist ein sehr doppeldeutiges
    Motto. Leider zu oft unverstanden. Tempo und Timing mit Professionalität zu
    verwechseln, ist nur ein häufiger Fehler.

    Eine Strategie – egal
    für was – heißt zunächst einmal, einen Kampagnen-Plan
    zu haben. Ohne einen eindeutig fixierten Plan wird es sehr viel schwieriger,
    dabei auf klarem Kurs zu bleiben. Sowohl Events, Bürgeraktionen und Medienarbeit
    wie auch der zeitliche Verlauf der Kampagne, die Mitarbeiter und die Finanzen
    wollen minutiös geplant sein.

    Botschaft, Medien,
    Adressat und Timing

    Worum es geht, ist eine Grundausrichtung und ein Grundthema. Eine Grundausrichtung,
    die das eigene Ziel klar benennt, eine Art Kompass. Und ein Grundthema, auf
    das man immer und immer wieder zurückkommt, das stur wiederholt wird, bis
    es der letzte kapiert hat.

    Die Botschaft – das ist
    das eine Grundthema, die zentrale Aussage der Kampagne. Diese Botschaft zu
    entwickeln, ist nicht einfach. Sie ist das Ergebnis intensiver Diskussion
    von Recherchen und Forschungsergebnissen, bei denen das Wahlterrain sondiert
    wird, Meinungsumfragen konsultiert und die eigenen Stärken sowie die Unterschiede
    zum gegnerischen Lager analysiert werden.

    Zwei, drei Sätze sollten
    am Ende genügen, um die Antwort auf die Frage zusammenzufassen: Warum soll
    ich euch wählen? Was die Botschaft nicht tun darf: Sie darf keine der notwendigen
    eigenen Wählerblöcke in der anvisierten Allianz der Unterstützer vergrätzen.
    Und sie darf kein Klischee sein, ein künstlicher, abgegriffener Allgemeinplatz.

    Was die Botschaft auf
    jeden Fall tun muss: Das Maximum aus den eigenen Stärken und den Schwächen
    des Gegners herausholen. Die Botschaft muss "groß genug" sein. Wahlen werden
    mit großen Themen und großen Kontrasten gewonnen – Krieg oder Frieden, Wohlstand
    oder Wirtschaftskrise. "Politische Kampagnen sind Musik", heißt es, "und immer
    ist die Tuba lauter als die Klarinette."

    Grünnasen und Lilaohren
    Eine Kampagne kann niemals alle Menschen gleichermaßen erreichen. Die Ressourcen
    sind begrenzt; es gibt niemals genug Leute, die Infostände besetzen oder Telefonlisten
    abtelefonieren, es gibt niemals genug Geld, um noch mehr Hörfunkspots oder
    Zeitungsanzeigen zu schalten. Also muss sich die Kampagne konzentrieren, und
    zwar auf die Gruppen der aktiven Unterstützer und der möglichen Wechsler.

    Der legendäre Politik-
    und Unternehmensberater Matt Reese, einer der Väter des modernen Wahlkampfmanagements
    in den USA, nervte seine Kandidaten, seine Wirtschaftsklienten und seine Studenten
    immer wieder mit seinem Konzept der "Grünnasen" und "Lilaohren". "Ich habe
    immer davon geträumt, dass man den Menschen äußerlich ansehen kann, wie sie
    politisch denken. Diejenigen, die ich nur dazu antreiben muss, etwas für mich
    zu tun, müssten grüne Nasen haben. Und diejenigen, denen ich Argumente füttern
    muss, damit sie ihre Unentschiedenheit überwinden, müssten lila Ohren haben.
    Dann wüsste ich immer auf einen Blick, wen ich wie ansprechen muss."

    "Grünnasen" und "Lilaohren"
    sind danach tatsächlich die einzigen Gruppen, für die eine Kampagne Geld ausgeben
    und Mühe verwenden darf. Aber was ist mit den anderen – sollte man nicht auch
    diejenigen zu überzeugen versuchen, die mehr oder minder fest im anderen Lager
    sind? Oder diejenigen zu mobilisieren versuchen, die sich bisher politisch
    nie beteiligt haben? Die professionelle Antwort: absolut nein. Solche Konsequenz
    erst macht Strategie aus.

    Targeting
    Aus dieser Konsequenz entsteht Targeting (engl. Target = Ziel), das Erfassen
    und Bedienen der gewünschten und notwendigen Zielgruppen, die wir geographisch
    und demographisch verorten können. Die Faustregel: Sechs bis zehn Zielgruppen,
    um die man sich intensiv oder vielleicht ausschließlich kümmert.

    Direktmarketing unter
    Erfassung von einzelnen Personendaten (Individual-Targeting) ist aufwändig
    und teuer, weil es gut gepflegte Datenbanken erfordert, die nur kommerzielle
    Adressenhändler anbieten – in den USA gibt es darunter sogar Politik-Daten-Spezialisten.
    Aggregat-Targeting hingegen ist jederzeit auch als Bordmittel möglich: nämlich
    mit Hilfe der offiziellen Wahlstatistik, also einem Aggregat aus Daten, das
    nicht weiter bis hinunter zu einzelnen Haushalten oder Personen aufgeschlüsselt
    werden kann. Wahlbezirk für Wahlbezirk, Straßenzug für Straßenzug weist die
    Statistik aus, wie jeder noch so kleine Ort in der Vergangenheit abgestimmt
    hat – wo die Hochburgen liegen, vor allem aber wo die Wechselwähler und Stimmensplitter
    wohnen, und wie hoch die Wahlbeteiligung jeweils war. Das sind eminent wichtige
    Informationen, und sie sollten eigentlich genau ausgewertet werden, um bei
    jeder Kampagne die "Grünnasen" und "Lilaohren" früh zu verorten.

    Immer wieder kommen gute
    Polit-Manager zurück zu Zahlen und zum Zählen. Wahlkampfberaterlegende Matt
    Reese meinte, dieses Gebot gehöre in Stein gemeißelt: "Wenn du es nicht zählen
    kannst, tu’s besser nicht. Wenn du es zählen kannst, und du tust es nicht,
    schäm dich: Du weißt nicht, was du bisher erreicht hast, du weißt nicht, was
    funktioniert hat und was nicht, was in die Hose gegangen ist und was nicht."

    Negativkampagnen
    Wahlkämpfe und andere politische Kampagnen sollen dem Wähler eine Chance bieten,
    sich über politische Köpfe, Themen und Argumente zu informieren. Darüber hinaus
    suchen Wahlkämpfer und andere Kampagneros – völlig legitim – die Auseinandersetzung
    mit dem Gegner. Kampagnen übertreiben, vergröbern, polemisieren und verhöhnen.
    Diese geplante Konfrontation erfüllt einen klaren Zweck, nämlich Zweifel am
    Gegner zu wecken.

    Vor einigen Jahren noch
    sprachen Wahlkampfprofis von der Faustregel, während der ersten Monate einer
    Kampagne eine positive Grundlage zu schaffen, bevor man sich auf Schmutzgefechte
    mit dem Gegner einließ. Das Rezept hat inzwischen seine Gültigkeit verloren.
    Sogar Regierende neigen dazu, aus der Position relativer Stärke ihre Herausforderer
    frontal anzugreifen, statt sie zu ignorieren.

    Negative Botschaften
    kommen an. Sie erregen zwar Unmut, aber das ist erst einmal irrelevant: Die
    Menschen nehmen diese Art der Information auf, sie absorbieren sie. Besonders,
    wenn sie durch Symbole, Schlagworte und Emotionen übermittelt wird.

    Auch mit Fakten lässt
    sich lügen. Man kann ehrlich sein, aber zugleich unfair. Das systematische
    Graben nach verwertbarem Kontrast-Material (Profis sprechen von "Opposition
    Research") ist legitim. Entscheidungen und Versprechungen des Gegners, seine
    Geldquellen und Unterstützer werden genauso unter die Lupe genommen, wie sein
    Abstimmungsverhalten oder seine Bereitschaft zur Auseinandersetzung.

    Wer den Grundsatz missachtet,
    Vorwürfe zu belegen und mit Details zu unterfüttern, tut das auf eigene Gefahr.
    Die schnelle Reaktion mit überraschendem Gegenangriff kann zum Desaster für
    den ursprünglichen Angreifer werden. Smarte Kampagnenmacher locken den Gegner
    darum, an falscher Stelle zur falschen Zeit loszustürmen. Ein gefährlicher
    Hinterhalt.

    Keine Verpackung ohne
    Inhalt

    Und die Inhalte? Amateure – und manchmal leider auch Profis – glauben gern:
    "Wahlen werden nicht mit Inhalten gewonnen." Die schöne neue Welt der kampagnenorientierten
    Politik funktioniert aber nicht ohne Inhalte. Gewiss, Positionen werden ausführlich
    demoskopisch vermessen, strategisch clever eingesetzt und virtuos verpackt,
    aber es sind letztlich konkrete, auf Herz und Nieren getestete Inhalte, keine
    heiße Luft, die den Wahlsieg sichern. Erst wenn man etwas zu sagen hat, ist
    es auch wichtig, wie man es sagt – und eine zentrale "Botschaft" formuliert.
    Eine gute Medienkampagne ist nichts ohne ein effektives, immanentes Themen-Management
    (Issues Management).

    Diese Themen gilt es
    zu finden, denn Issues Management beginnt mit einem Frühwarnsystem, das frühe
    Reaktion ermöglicht – mit dem Ziel, das positive Potenzial eines Themas zu
    verstärken oder das negative Potenzial abzuschwächen. Je früher ein Issue
    identifiziert wird, desto erfolgreicher wird das Issues Management sein. Dabei
    sollte das Thema nicht als unveränderliches Ding angesehen werden – eher wie
    Waren, Unternehmen, Parteien oder die Gesellschaft als ein dynamisches, organisches
    Lebewesen, es unterliegt einem Zyklus, bis es den Themen-Tod stirbt.

    Für jedes Thema muss
    eine klare Einschätzung getroffen werden, ob die eigene Position und Argumentation
    tragfähig und geeignet ist, eine öffentliche Auseinandersetzung in dieser
    Frage erfolgreich zu bestehen und zu gewinnen.

    Alle Konzentration gilt
    den von Anfang an klar definierten Gewinnerthemen, die sowohl in der Stärken-
    und Schwächenanalyse eine klare Vorteilssituation versprechen, die aber auch
    in der Prioritätenanalyse einen entsprechend hohen Stellenwert einnehmen.
    Hier muss der Gegner unter Druck gesetzt, zu Fehlern gezwungen und gleichzeitig
    die eigene Kompetenz und Souveränität heraus gestrichen werden.

    Gerade in weltanschaulich
    geprägten Kampagnenapparaten wie Parteien oder Verbänden ist es nicht immer
    leicht, diese kühle Ökonomie der Kräfte konsequent durchzuhalten, weil an
    vielen Themen oftmals mehr Herzblut hängt, als es einer nüchternen Chancen-Analyse
    gut täte. Neben der Ökonomie der Ressourcen gibt es aber auch eine Ökonomie
    der Wahrnehmung beim Endverbraucher. Das heißt: Man wird niemandem den Themenpark
    in vollem Umfang verkaufen können. Drei Kernthemen sind für die meisten Kampagnen
    das Maximum.

    Dr.
    disc. pol. Marco Althaus, M.A. (USA), Diplom-Politologe, ist Leiter der
    Pressestelle des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft,
    Technologie und Verkehr.