Nach der Wahlniederlage von 2009 hat die SPD begonnen, sich neu auszurichten – auch in Sachen Netzpolitik aktualisiert die Partei derzeit ihr Programm. Ein "Gesprächskreis" mit Unterstützung der Genossen im Internet soll Impulse liefern. In der neuen Serie "Parteien im Netz" nimmt politik-digital.de in loser Folge die fünf im Bundestag vertretenen Fraktionen unter die digitale Lupe: Wo stehen sie netzpolitisch? Wie organisieren sie sich im Web? Und: Wer sind die Köpfe dahinter?

Neuorientierung im Netz

Aktuelle Beschlüsse der Bundespartei zum Thema Netzpolitik gebe es zur Zeit nicht, so Björn Böhning, netzpolitischer Sprecher des SPD-Parteivorstands. Momentan würden die netzpolitischen Leitlinien "erneuert" und "zum Teil auch revidiert", so Böhning zu politik-digital.de. Auf dem Bundesparteitag im September 2010 wolle man eine neue netzpolitische Programmatik diskutieren.

Laut Böhning fänden sich im Wahlprogramm zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aber bereits "erste Hinweise" zum neuen netzpolitischen Kurs der SPD.

Inzwischen steht der NRW-Koalitionsvertrag (politik-digital.de berichtete). Die SPD in NRW hat große Teile ihres netzpolitisch-reformierten Wahlprogrammes auch im Koalitionsvertrag verankert. Ist das dieselbe Partei, die noch im vorherigen Jahr im Bundestag mit dem Koalitionspartner CDU für das "Zugangserschwerungsgesetz" (Zensursula) stimmte?

Soziale Unterstützung im Internetzeitalter

Perspektivisch will die SPD sich vor allem um "das Soziale in der digitalen Gesellschaft" kümmern, so Böhning weiter. Soziale Absicherungen für "Solo-Selbstständige" und Internetdienstleister sowie die Förderung von "Co-Working-Spaces", also gemeinsam genutzen flexiblen Arbeitsorten, wolle man auf dem Bundesparteitag diskutieren.

Auch "neue Eigentums- und Unternehmensregelungen" oder die freie Verfügbarkeit von WLAN würden thematisiert, erläutert Böhning. Voraussetzung für die Umsetzung dieser Pläne ist natürlich, dass der Bundesparteitag im September 2010 zustimmt.

Bemerkenswert in Sachen elektronischer Demokratie ist der "Applikationswettbewerb", der zuerst im NRW-Wahlprogramm und später auch im NRW-Koalitionsvertrag verwirklicht wurde. Ziel ist, Anwendungen zu entwickeln, die öffentlich zugängliche Daten für mehr "Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit" nutzen. Auf Bundesebene strebe man ein "Konzept zur Verbesserung der E-Partizipation" an, so Böhning gegenüber politik-digital.de.

Netzsperren: Ja oder nein?

In puncto Internetkriminalität verfolge die SPD laut Böhning ein "internationales Vorgehen". Dies müsse von den G20-Staaten übernommen werden, bis es eine "UN-Organisation für digitale Gesellschaft" gebe.

Die Verbreitung von Kinderpornografie wolle man in der SPD mit besser ausgestatteten- und geschulten Strafverfolgungsbehörden bekämpfen, so Böhning. "Sperren" seien nicht mehr als eine "Alibimaßnahme".

Aber: War da nicht mal was? In der Debatte um das "Zugangserschwerungsgesetz" positionierten sich die Sozialdemokraten im Juni 2009 für Netzsperren, indem sie im Bundestag für den Gesetzesentwurf stimmten. Im Dezember 2009, inzwischen Oppositionspartei, war die SPD gegen den umstrittenen Gesetzentwurf.




Lars Klingbeil, Berichterstatter für neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dazu im politik-digital.de-Video-Interview: "Klar ist, wir haben Fehler gemacht." Wichtig sei es für ihn, eine  "Neuaufstellung" der SPD in Sachen Internet vorzunehmen.

Kurs noch schwer einzuschätzen

Es ist der SPD anzumerken, dass sie momentan in einer (netzpolitischen) Umbruchphase ist. Eine klare parteipolitische Leitlinie ist noch nicht zu erkennen.

In der rot-grünen Koalition in NRW vertritt die Partei freiheitliche, fast "netzaktivistische" Positionen, wie man sie sonst von Piraten und Grünen kennt. So soll beispielsweise Open-Source-Software eine "Vorreiterrolle" (Björn Böhning) spielen.

Aber: In der gleichen Woche, in der man den netzpolitisch-ambitionierten Koalitionsvertrag schuf, stimmten Genossen im EU-Parlament für das datenschutzrechtlich umstrittene SWIFT-Abkommen, das die Weitergabe von Bankdaten ermöglicht.

Neuauftstellung on- und offline

Der Online-Beirat der Sozialdemokraten löste sich aufgrund der Zustimmung der SPD zum Zugangserschwerungsgesetz im Jahr 2009 auf. Das Gremium war 2007 mit dem Ziel gegründet worden, die Partei in Sachen Internet zu beraten. Prominente Mitglieder des rund 20-köpfigen Beirats waren zum Beispiel der Blogger Sascha Lobo oder der Politikwissenschaftler und politik-digital.de-Vorstand Christoph Bieber

 

netzpolitik@vorwärts.de

 

Der in 2010 neu geschaffene „Gesprächskreis Netzpolitik“ ist an die Stelle des Online-Beirats getreten und nach Vorstellung seines Sprechers Björn Böhning kein bloßes Beratungsgremium, sondern hat einen „expliziten Handlungsauftrag“. In ihm sollen „programmatische Leitlinien“ entwickelt und „eine Neujustierung der Internetpolitik der SPD“ vorgenommen werden. Partizipation an der Arbeit des Gesprächskreises soll in „zahlreichen Foren“ möglich sein, wie etwa dem Netzpolitikbereich auf dem Vorwärts-Portal und in der mixxt-Community, so Böhning.

Der Gesprächskreis umfasst 25 Mitglieder mit und ohne Parteibuch. Viele Experten aus dem damaligen Online-Beirat sind auch wieder dabei – darunter alle Unterzeichner der Erklärung gegen Netzsperren des Online-Beirates inklusive später wahr gemachter Rücktrittsdrohung. Der bisher einzige Beschluss des Gesprächskreises datiert vom 10. Mai 2010 – eine Forderung nach Netzneutralität und Billigung des netzpolitischen NRW-Wahlprogramms.

Gerade was die Einbindung der Internetnutzer angeht, musste die Runde Kritik einstecken – noch bevor sie ihren ersten Forderungskatalog aufstellen konnte. Im Vorfeld konnten Interessierte für die Aufnahme in den Gesprächskreis kandidieren . Per Internetabstimmung sollte dann entschieden werden, wer dabei sein darf und wer nicht. Jedoch wurden nur drei Stühle in der Runde auf diese Art besetzt – von 25. 



 

Bemerkenswert sind die Initiativen der SPD auf regionaler Ebene. Vor allem die Kölner SPD versucht, eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Internetpolitik einzunehmen. Sie hat Köln zur Internethauptstadt erklärt und stellt mit Martin Dörmann auch den stellvertretenden Vorsitzenden der Enquete-Kommission. In Köln wurden der „Dialogkreis Netzpolitik“ sowie das „Forum Netzpolitik“ gegründet. Letzteres ist durchaus nicht als lokaler Stammtisch gedacht. Mitbegründerin Valentina Kerst,
die auch (gewähltes) Mitglied im Gesprächskreis Netzpolitik ist, möchte das Forum „über alle Ebenen hinweg etablieren, also kommunal, auf Landes- sowie Bundesebene“, äußerte sie gegenüber politik-digital.de. Know-how für sozialdemokratische Webmaster bündeln seit 2002 die Websozis.

Rote Piraten?

In der SPD machen netzpolitisch vor allem Lars Klingbeil (SPD-MdB) und Björn Böhning (Parteivorstand) von sich reden. Beide leiten gemeinsam den "Gesprächskreis Netzpolitik". Martin Dörmann, Bundestagsabgeordneter der SPD, muss dagegen mit Fehlern aus der Vergangenheit und fehlender Glaubwürdigkeit unter Netzaktivisten leben.

Quelle: www.lars-klingbeil.de

Lars Klingbeil ist seit dieser Legislaturperiode Mitglied im Deutschen Bundestag. Er ist netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied in der Bundestags-Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft sowie im Unterausschuss "Neue Medien". Klingbeil ist "rundum vernetzt". Von Twitter bis last.fm kann man ihn im Netz fast überall finden. Netzpolitische Stellungnahmen bloggt er regelmäßig auf den Seiten der SPD-Bundestagsfraktion.

Quelle: www.bjoern-boehning.deBjörn Böhning ist erster Ansprechpartner, wenn es um die Netzpolitik der SPD geht. Er vertritt den "Gesprächskreis Netzpolitik" nach außen, ist netzpolitischer Sprecher des SPD-Parteivorstandes und gehört der Facebookgruppe "Piraten in der SPD" an. Böhning ist besonders aktiv bei Twitter, weil er sich, wie er im Video-Interview mit politik-digital.de erzählt, dort der Diskussion um politische Inhalte "direkt stellen muss".

Quelle: www.martin-doermann.deDer dritte im Bund ist der stellvertretende Enquête-Vorsitzende Martin Dörmann. Er verlor als Netzpolitiker an Glaubwürdigkeit wegen seines Verhaltens in der "Zensursula-Debatte". Dörmann war damals SPD-Berichterstatter für das Zugangserschwerungsgesetz. In seinem Namen erging eine Pressemitteilung, deren Argumentation Grundlage für den Beschluss des SPD-Parteivorstandes wurde, das Zugangserschwerungsgesetz zu befürworten. Im Nachhinein räumt Dörmann Fehler ein, begründet die damalige Entscheidung aber auch mit parteipolitischen Erwägungen: "Wir haben es als kaum vermittelbar angesehen, wenn wir uns total verweigert hätten.", sagte er der SPD-Parteizeitung "Vorwärts".

 

Unter Mitarbeit von Felix Melching.

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