Vor genau einem Jahr, am 26. Oktober 2009, haben CDU/CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag unterzeichnet. Aus diesem Anlass hat politik-digital.de die netzpolitischen Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate einmal genauer unter die Lupe genommen. Welche Themen wurden bereits umgesetzt und wo gibt es noch Defizite?

In Sachen Vorratsdatenspeicherung streiten sich Innen- und Justizministerium seit Monaten darüber, wie weiter vorgegangen werden soll. Laut Koalitionsvertrag sollte die Vorratsdatenspeicherung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts außer Kraft gesetzt werden. Ausnahme: die Abwehr einer „konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit“. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts im Frühjahr 2010 will die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nun abwarten, wie sich die EU-Kommission verhält. Denn das deutsche Gesetz basiert auf einer EU-Richtlinie, die von der zuständigen Kommissarin jetzt noch einmal auf den Prüfstand gestellt worden ist.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hingegen drängt darauf, rasch eine neue deutsche Regelung zu erarbeiten. Schließlich hätten die Verfassungsrichter die Vorratsdatenspeicherung nicht generell abgelehnt, lediglich der Umfang der Speicherung und die Art des Zugriffs auf die Daten seien kritisiert worden, argumentiert der Minister.


Stellungnahme von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts, 2. März 2010.


Dem Drängen des Bundesinnenministers stehen die Zahlen aus der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) für die Jahre 2008 und 2009 entgegen. Diese weisen die bisher niedrigsten Aufklärungsraten bei Internetvergehen auf, seit diese statistisch erfasst werden – und das in den einzigen Jahren, in denen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland angewandt wurde.

Netzsperren auf dem Prüfstand

Weiterhin außer Kraft bleibt auch das “Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“, besser bekannt als das Netzsperren-Gesetz. Im Koalitionsvertrag wurde eine einjährige Frist vereinbart, in der die alternativen Vorgehensweisen des BKA evaluiert werden sollten. Unter den netzaffinen Bundestagsabgeordneten herrscht bereits ein breiter Konsens für das Prinzip „Löschen vor Sperren“. Dies wurde nicht zuletzt auf der Anhörung des Unterausschusses Neue Medien am 25. Oktober 2010 zum Thema "Kampf gegen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet" deutlich.


Aufzeichnung der Anhörung des Unterausschusses Neue Medien, 25. Oktober 2010.

Aber auch in dieser Sache könnte Deutschland die Entscheidung über die Art und Weise der Bekämpfung von kinderpornografischen Inhalten im Internet von der EU abgenommen werden. Denn die EU-Kommissarin für Innenpolitik Cecilia Malmström hatte Anfang des Jahres bereits angekündigt, eine EU-Richtlinie zu Sperrungen bei kinderpornografischen Inhalten einzuführen. Der Vorstoß, stieß allerdings nicht bei allen EU-Kommissaren auf Verständnis:





EU-Justizkommissarin Viviane Reding im Videointerview zum Thema Netzsperren, 20. September 2010.

 

Stiftung Datenschutz

Bisher nicht verwirklicht wurde die von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geforderte Stiftung Datenschutz. Diese hat laut Koalitionsvertrag den Auftrag "Produkte und Dienstleistungen auf Datenschutzfreundlichkeit zu prüfen, Bildung im Bereich des Datenschutzes zu stärken, den Selbstdatenschutz durch Aufklärung zu verbessern und ein Datenschutzaudit zu entwickeln." Gegenüber politik-digital.de erklärte das Bundesministerium der Justiz (BMJ): "Gegenwärtig bemüht sich das Bundesinnenministerium, die Möglichkeiten einer Finanzierung und damit der Errichtung der Stiftung im Jahr 2011 zu klären. Anfang Oktober 2010 hat sich die Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern Cornelia Rogall-Grothe vorsichtig optimistisch geäußert, das dies gelingen wird."

In Expertenkreisen wird eine mögliche Stiftung Datenschutz durchaus kritisch gesehen, so zum Beispiel von Edgar Wagner, Landesdatenschutzbeauftragter von Rheinland-Pfalz. Laut Wagner ist die Unabhängigkeit einer solchen Stiftung nicht gesichert, da sie sich zum Teil durch Geld aus der Wirtschaft finanzieren soll. Durchaus positiv steht Bündnis 90/Die Grünen zu der geplanten Stiftung. "Damit würde eine dringend zu füllende Angebotslücke auf Bundesebene geschlossen, welche die Realisierung moderner Datenschutzkonzepte beinhaltet", sagte der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, gegenüber politik-digital.de.

Gleichheit im Netz

Ein weiterer Punkt aus dem Koalitionsvertrag, die Wahrung der Netzneutralität, wird zur Zeit kontrovers in der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" debattiert. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) legte derweil bereits eine Reformvorlage des Telekommunikationsgesetzes vor, der die Bundesnetzagentur alle Entscheidungsgewalt in Fragen der „Internet-Verkehrsordnung“ zubilligt. Der Entwurf soll noch dieses Jahr vom Kabinett eingebracht werden.