2ROG-Weltkarte_der_PF_2015__680x480-cropZensur, Verhaftungen, Mord: Die neue Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen zeichnet ein finsteres Bild für unabhängige Medien. Fast überall auf der Welt hat sich die Lage von Journalisten im vergangenen Jahr verschlechtert. Spitzenreiter für gute journalistische Arbeitsbedingungen bleibt Finnland, Eritrea nimmt erneut den letzten Platz ein.

Das Bild von Raif Badawi, dem zu 1.000 Peitschenhieben verurteilten saudischen Blogger, geht derzeit um die Welt. Er ist nicht allein: 165 Journalisten und fast 180 Online-Aktivisten und Bürgerjournalisten befinden sich momentan in Haft, 66 wurden im vergangenen Jahr ermordet. Staat, Kriegsparteien, Polizei, Religionen, Terrorgruppen und Verbrecherkartelle – sie alle wollen Journalisten in vielen Ländern durch Gewalt und Einschüchterung an der Veröffentlichung von Informationen hindern. Die heute veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit 2015 von Reporter ohne Grenzen zeigt, dass die Lage von Journalisten und unabhängigen Medien im vergangenen Jahr schlechter wurde – weltweit und in der Mehrzahl der 180 bewerteten Länder.

Besonders heikel ist die Lage demnach für Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten. Dass Informationen eine gefährliche Waffe sein können, zeigt die Situation in der Ukraine (Platz 129, -2), in Syrien (177) oder Israel (101, -5), wo bewaffneten Konflikte auch als Informationskrieg geführt werden. Journalisten als neutrale Beobachter sind den Mächtigen laut ROG ein Dorn im Auge, skrupellos wird deshalb versucht, sie auszuschalten oder zumindest abzuschrecken. Die Folge: hohe Zahlen an entführten und getöteten Journalisten und schwarze Nachrichtenlöcher, aus denen praktisch kaum mehr unabhängige Informationen nach außen dringen.

„Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Auch unter diesem Vorwand rechtfertigen viele Staaten Eingriffe in die Grundrechte – so auch in die Pressefreiheit. Das Paradebeispiel Russland (152, -4) verabschiedete während des Ukraine-Konflikts unter anderem ein Gesetz zur Verschärfung des Verbots, öffentlich zur Verletzung der territorialen Integrität aufzurufen. Jegliche Kritik an der Annexion der Krim werde seitdem kriminalisiert, so ROG. Auch Thailand (134, -4) und Ägypten (158, +1) führten Zensurmaßnahmen und willkürliche Festnahmen von Journalisten unter dem Deckmantel des Schutzes der nationalen Sicherheit durch. Doch nicht nur der Staat, auch mächtige nichtstaatliche Gruppen stellen in vielen Ländern eine tödliche Gefahr für Journalisten dar. Neben Milizen wie dem Islamischen Staat in Syrien oder Boko Haram in Nigeria (111, +1) waren auch Paramilitärs und kriminelle Gruppen, zum Beispiel in Mexiko (148, +4) und Brasilien (99, +12), für die Ermordung von Journalisten verantwortlich – meist, weil diese über Korruption oder organisierte Kriminalität berichteten.

Die neue Rangliste zeigt, dass besonders die Berichterstattung im Umfeld von Demonstrationen für Journalisten gefährlich werden kann. Teils gerieten Reporter versehentlich zwischen die Fronten, teils sollten sie gezielt an der Berichterstattung gehindert werden. Nicht nur während der Maidan-Proteste in der Ukraine Anfang 2014, auch in der Türkei (149, +5) und in Venezuela (137, -21) wurden Journalisten bei der Berichterstattung über Demonstrationen beschimpft, angegriffen, bedroht oder getötet. Und in den USA (49, -3) kam es im Zusammenhang mit den Unruhen in Ferguson zu willkürlichen Festnahmen. Geahndet wurden die meisten dieser Übergriffe nie. Auch in Ländern wie Saudi-Arabien (164), dem Iran (173) und Indien (136, +4) wurden Blogger und Journalisten verhaftet – hier allerdings aufgrund von kritischer Berichterstattung über religiöse Gruppen oder religiös legitimierte Staatsorgane. Blasphemie lautete die Anklage.

Italien und Bulgarien rutschen ab

Dass die Pressefreiheit auch in Europa nicht unverletzlich ist, haben die Anschläge von Charlie Hebdo gezeigt. Obwohl terroristische Anschläge zum Glück eine Ausnahme darstellen – Repressionen und Zensur, die die Arbeit von Journalisten erschweren, gibt es zur Genüge. In erschreckendem Ausmaß hat sich die Pressefreiheit in Italien (73, -24)  verschlechtert, wo viele Journalisten durch Anschläge und Drohungen von der Mafia unter Druck gerieten. Auch Bulgarien (106, -6), das Sorgenkind der EU, verschlechterte seine Position weiter. In einem im Eilverfahren verabschiedeten Gesetz ging die Finanzaufsicht mit Ermittlungen und Geldstrafen gegen Reporter vor, die über Missstände in der Finanzindustrie berichteten.

Der größte Absteiger in der Rangliste stammt ebenfalls aus Europa: Andorra, das mit wirtschaftlicher Konzentration und Interessenkonflikten zu kämpfen hat, rutschte ganze 27 Plätze auf Rang 32. Die Macht von Banken und Anzeigenkunden stellt hier ein ernstzunehmendes Problem für die mediale Unabhängigkeit dar. Die Spitzenplätze des Rankings werden aber ebenfalls von europäischen Ländern eingenommen. Finnland, Norwegen und Dänemark sorgen mit ihren liberalen Regelungen über den Zugang zu Behördeninformationen und den Schutz journalistischer Quellen für gute Arbeitsbedingungen. Finnische Bürger haben seit 2010 sogar ein einklagbares Recht auf eine bezahlbare Breitbandverbindung. Deutschland konnte sich um zwei Plätze auf Platz 12 verbessern und befindet sich damit im oberen Mittelfeld der EU-Staaten.

Am katastrophalsten ist die Situation von Journalisten in den ohnehin repressivsten Staaten der Welt – auch hier wurde der Zugriff auf die Medien weiter verschärft. China (176, -1) verhaftete prominente Blogger und Journalisten, und im Sudan (174, -2) kam es nicht nur zu willkürlichen Festnahmen, sondern auch zur Beschlagnahmung von rund 50 kompletten Zeitungsauflagen. In Aserbaidschan (162, -2) zwang der Staat die verbliebenen unabhängigen Medien zur Aufgabe und trieb dutzende Journalisten ins Exil. Das Schlusslicht der Rangliste bilden – unverändert – Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan. Die Medien werden hier fast vollständig durch Diktaturen kontrolliert. Wo es so viele Absteiger gibt, muss es natürlich auch Aufsteiger geben – die Mongolei konnte 34 Plätze gut machen und befindet sich nun auf Platz 54. Die Umwandlung der staatlichen in öffentlich-rechtliche Medien und die positiven Auswirkungen des 2012 verabschiedeten Informationsfreiheitsgesetzes geben Grund zur Hoffnung.

Grundlage für die Rangliste der Pressefreiheit bildet die Situation von Journalisten und Medien in 180 Staaten im Zeitraum vom Oktober 2013 bis Oktober 2014. Zur Ermittlung dieser schickte Reporter ohne Grenzen Fragebögen an Journalisten, Juristen, Wissenschaftler, Menschenrechtsverteidiger und an ein eigenes Korrespondentennetzwerk. Zudem flossen Übergriffe und Gewalttaten mit in die Analyse ein.

Bild: Reporter ohne Grenzen

CC-Lizenz-630x1101