Targeting, TV und Türschwellen-Wahlkampf: Mit einer internationalen Konferenz warf die Konrad-Adenauer-Stiftung einen intensiven Blick auf die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen und die Kampagnen der beiden großen Kandidatenlager. Eine Vielzahl internationaler Referenten fing aktuelle Entwicklungen beim Online-Wahlkampf ein und diskutierte das Potenzial sozialer Medien.

“Ground War” vs. “Air War” lauten die beiden Schlachtfelder, auf denen vor einer US-Wahl leidenschaftlich um Wählerstimmen gekämpft wird und die am ersten von zwei Konferenztagen genauer unter die Lupe genommen werden sollten. “Ground War” als Arena, in der sich verstärkt die Aktivitäten des “Tür-zu-Tür”-Wahlkampfs abspielen. “Air War” als Kommunikationsraum, der vor allem durch das Fernsehen, Radio oder Internet strukturiert wird.

“Ground War” – personalisierte Kommunikation in politischen Kampagnen

Rasmus Kleis Nielsen, Assistenzprofessor für Kommunikation an der Roskilde Universität in Dänemark, machte gleich zu Beginn seines Vortrags deutlich, worauf es bei einer guten Kampagne ankommt. Entscheidend sei die erfolgreiche Verzahnung unterschiedlicher Kommunikationskanäle. So sei es wichtig, die eigene politische Botschaft über alle verfügbaren Kanäle an den Wähler zu bringen – sei es über TV, Radio, via E-Mail, per Telefon oder eben auch durch den klassischen “face to face”-Kontakt mit dem Wähler auf der Türschwelle seines Hauses. Stets gelte es, geeignete Kanäle zu identifizieren und sinnvoll in einen Medienmix zu integrieren.

Nielsen verdeutlichte, dass im Wahljahr 2004 rund 45 Prozent aller amerikanischen Wähler persönlich von einem Volunteer, also einem freiwilligen Wahlkampfhelfer, kontaktiert wurden. Eine beeindruckende Zahl, die klar macht, welch großen logistischen Aufwand es braucht, um einen solchen Wahlkampf zu koordinieren. Insgesamt seien zur Wahl 2004 rund 1,4 Millionen ehrenamtliche Helfer unterwegs gewesen, die versucht hätten, neue Wähler zu gewinnen.

    
In den USA finden am 6. November 2012 Wahlen statt. Lesen Sie weitere Beiträge zum US-Wahlkampf in unserer Reihe #US2012
Ihre Erfolgsquote ist dabei gar nicht so hoch, wie man annehmen könnte: Nur etwa jeder 14. Kontakt zwischen ehrenamtlichem Helfer und Bürger führte zu einer neuen Wählerstimme. Zudem muss man die Zeit für eine solch intensive Überzeugungsarbeit mit etwa fünf Stunden kalkulieren. Ein mühsames Unterfangen also, das sich aber dennoch lohnt. Nielsen wies darauf hin, dass die Mobilisierung der eigenen Sympathisanten nach wie vor die zentrale Herausforderung im amerikanischen Wahlkampf sei. Und dabei spiele die persönliche Ansprache eine zentrale Rolle, wenn es darum gehe, den Bürger Richtung Wahlkabine zu bewegen. “Wahlmüde Bürger erreichen Sie nur sehr schlecht über die sozialen Netzwerke”, lautete die Einschätzung des dänischen Wissenschaftlers. Denn um mit Bürgern auf Facebook in einen Dialog zu treten, bedürfe es bereits einer virtuellen Freundschaft. Unentschlossene Bürger erreiche man auf diesem Weg also nur unzureichend.

US-Wahlkampf auf Deutschland übertragbar?

Spannend in diesem Kontext ist auch die Frage, ob die Erfahrungen aus dem amerikanischen Wahlkampf für deutsche Kampagnen relevant sein könnten. Oder ob der persönliche Wahlkampf an Haustür und Telefon dann doch eher eine spezifisch amerikanische Disziplin ist. Nielsen konstatierte, dass zwar bestimmte datenschutzrechtliche Voraussetzungen hierzulande einem Telefonmarketing – wie in den USA praktiziert – im Wege stünden, es aber an belastbaren Daten bislang fehle. Solange wir in Europa nicht mehr direkte Kommunikation ausprobierten, solange könne man auch kein abschließendes Urteil fällen, resümierte der Wissenschaftler.

Negative Botschaften dominieren amerikanische Wahlwerbespots

Aufschlussreiche Ergebnisse hatte auch Travis N. Ridout, Politikprofessor an der Washington State University, im Gepäck. In seiner Präsentation beschäftigte er sich mit Wahlwerbung im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf. “Air War – The New Wild West” so sein pointierter Vortragstitel. Ridout hat untersucht, wie sich politische Wahlwerbung über die vergangenen Jahrzehnte verändert hat, und kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil von “Negative Campaigning” seit Jahren stets erhöht hat. So sind im aktuellen Wahlkampf rund 60 Prozent aller untersuchten Werbespots mit einer negativen Botschaft versehen, lediglich 12 Prozent weisen einen positiven Grundton auf. Das liege nicht zuletzt an einer veränderten Gesetzeslage, die den Super-PACs neue Spielräume eröffnet habe, erklärte Politikprofessor Ridout. So gehen mittlerweile über ein Drittel aller Werbespots auf das Konto dieser Unterstützerorganisationen, denen damit ein wesentlicher Einfluss bei der Kampagnengestaltung zukommt.

Verblüffend scheint jedoch die Erkenntnis, dass negative Wahlwerbung dabei nur vergleichsweise geringe Auswirkungen auf die politische Willensbildung hat. Ihre Stärke liegt vielmehr darin, Aufmerksamkeit zu erzeugen und mit hohen Verbreitungsraten in kurzer Zeit viele Wähler zu erreichen.

TV dominiert weiterhin die Kampagnenarena

Zum Konferenzschwerpunkt “Social-Media” plauderte Vincent Harris, Experte für Online-Videos, aus dem Nähkästchen eines Kampagnenmanagers. In seinem Vortrag “Digital 2012: The 24 Seconds News Cycle” stellte Harris das Potenzial sozialer Medien für den amerikanischen Wahlkampf heraus. Seine klare Einschätzung: In einem TV-dominierten Land wie den USA könne man zwar keine Wahl mit dem Internet alleine gewinnen. Aber sehr wohl könne eine schlechte Onlinekampagne eine Wahl verloren gehen lassen. So kritisierte Harris – der u.a. im Kampagnenteam der beiden republikanischen Präsidentschaftsbewerber Rick Perry und Newt Gingrich tätig war -, dass die Republikaner noch immer zu wenig in die Kommunikation via Internet investieren. Zwar gebe es in der Frage der Internetnutzung keine Unterschiede zwischen demokratischen und republikanischen Wählern, dennoch sei Obamas Online-Kampagne dem Konkurrenzangebot deutlich überlegen. “Laden Sie sich die aktuelle Obama Wahlkampf-App herunter. Es ist das derzeit beste Kampagnentool der Welt”, lautete deshalb auch die ungewöhnliche Empfehlung des überzeugten Republikaners.

Lachen müsse er immer dann, wenn Kunden zu ihm kämen und verlangten, er solle ihnen ein “virales Internetvideo” produzieren. In solchen Momenten gelte es darüber aufzuklären, dass man den Erfolg eines Internetvideos nur bedingt steuern könne. Vielmehr müsse man seine kostbare Zeit auf gute Botschaften und kreative Ideen verwenden, lautete der Rat des Texaners.

Social Media in deutschen Kampagnen

Den Abschluss der Konferenz bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema: “Social Media in den deutschen Kampagnen”. Unter der Moderation von Adrian Rosenthal diskutierten der Google-Berater Carsten Grueber, Eva Maria Kirschsieper, Managerin Privacy und Policy bei Facebook, und Andreas Jungherr, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bamberg.
Kirschsieper erklärte, dass es auf Facebook derzeit über 20 Millionen deutsche Nutzer gibt, von denen rund 10 Millionen täglich auf ihr Profil zugreifen. Diese Zahlen böten Politikern ein großes Potenzial, um sich in dem sozialen Netzwerk zu präsentieren und mit ihren Wählern Themen zu diskutieren. Aber nur etwa 60 Prozent der Bundestagsabgeordneten seien 2011 mit einem eigenen Profil in dem sozialen Netzwerk gezählt worden, erklärte Kirschsieper. Für die bevorstehende Bundestagswahl 2013 plane Facebook kein eigenes Angebot, vielmehr verstehe man sich als eine Plattform, die zwar ein Kommunikationsinstrument bereit halte, sich inhaltlich aber nicht einmischen wolle.

Google mit eigenem Angebot zur Bundestagswahl 2013

Anders hingegen sieht die Planung im Hause Google aus. Dessen Vertreter verkündete, dass der Suchmaschinenbetreiber derzeit an einer “Election-Site” für die Bundestagswahl 2013 arbeite. Wie die am Ende genau aussehen werde, wollte Grueber noch nicht verraten. Man sei noch in der Konzeptionsphase. Gleichzeitig ermahnte er deutsche Kampagnenmanager, nicht nur neidisch in die USA zu blicken, schließlich gebe es auch in Deutschland bereits innovative Kampagnen. Dennoch wünschte er sich mehr Experimentierfreude, die es erlaube, neue Formate einfach mal auszuprobieren.

Auf die Frage von Moderator Rosenthal nach dem Erfolgsgeheimnis amerikanischer Wahlkämpfe attestierte Andreas Jungherr den Kampagnenmachern jenseits des Atlantiks ein gutes Gespür für den kreativen und effizienten Einsatz von Online-Instrumenten, um Unterstützer zu organisieren. Den entsprechenden Organisationsebenen deutscher Parteien stellte Jungherr hingegen kein gutes Zeugnis aus: “Wir müssen noch stärker lernen, wie man Unterstützer auf die Straße bringt.” Das gelänge den Kampagnenmachern deutscher Parteien nämlich noch viel zu wenig.

Zielgenaue Wähleradressierung als Herausforderung

Möchte man ein Fazit über die beiden Konferenztage ziehen, lässt sich festhalten, dass das Thema “Targeting”, also die zielgerichtete und maßgeschneiderte Wähleransprache, die große Herausforderung amerikanischer Kampagnen ist. Dabei geht es darum, den Wähler mit gezielten Botschaften zu erreichen und so mit ihm individuell in Kontakt zu treten. Und dafür bietet das Internet mit seiner Vielzahl an kreativen und innovativen Formaten beste Voraussetzungen. Ebenso herrschte große Einigkeit unter den Referenten darüber, dass trotz ständig wachsender Bedeutung von Onlinekommunikation das Fernsehen noch lange nicht tot ist. Vielmehr wird man künftig eine stärkere Verschmelzung von TV und Internet beobachten können. Auch wird sich das Smartphone als “dritter Bildschirm” dauerhaft etablieren, bietet es doch den Kampagnenmachern neue und spannende Möglichkeiten, die Wähler individuell und zielgerichtet zu erreichen.