Die Partei der änderungswilligen Freibeuter ist nicht zuletzt durch die prominente Verteidigungsschrift für die Nerd-Kultur („Revolution der Piraten“) in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im politischen Feuilleton angekommen. Inzwischen sind aber auch einige Kurzuntersuchungen aus der Politikwissenschaft eingetroffen, die allmählich die diffuse „Partei für die Nerds, nicht für die Massen“ (Die Welt) etwas klarer einsortieren. Unser Autor gibt einen Überblick.

 

Im lesenswerten Politologen-Blog "Wahlen nach Zahlen" haben sich Marc Debus und Thorsten Faas mit der programmatischen Positionierung der Piratenpartei auseinandergesetzt und kommen dabei zu dem Schluss, dass in der dichter und differenzierter gewordenen Parteienlandschaft eigentlich kein Platz mehr für diese Gruppierung ist – zu nahe lägen die Piraten mit ihren Zielen (nicht nur, aber vor allem) an den Grünen, zu begrenzt sei ihr Themenspektrum. Eine gute Vertiefung zu den netzpolitischen Positionen der fünf Bundestagsparteien und der Piratenpartei befindet sich im übrigen bei Netzpolitik.org.

Wohin gehört die Piratenpartei?

Doch zurück zur Eingangsfrage – wohin mit den Piraten im Parteienspektrum? Gerade mit Blick auf die bei Netzpolitik.org präsentierten Antworten zeigt sich auch eine Schwachstelle der Analysen von Debus und Faas – die Erklärungen der Parteien lesen sich mitunter so, als hätte es die ebenso gereizt wie engagiert geführte Debatte um zensursula, eine überaus populäre Online-Petition, das Pirate-Bay-Urteil, zahlreiche Netz-Initiativen oder eher traditionelle Demonstrationen in diesem Jahr gar nicht gegeben. Das Auslesen und Einsortieren von programmatischen Positionen könnte an dieser Stelle tatsächlich etwas zu kurz greifen – denn gerade mit Blick auf die Diagnose des „fehlenden USP“ (Faas) stellt sich erst recht die Frage, warum es die Piratenpartei dann überhaupt bis zur Zulassung zur Bundestagswahl geschafft hat? Und warum steigen die Mitgliederzahlen mit einer nicht unerheblichen Dynamik an?

„Unique Selling Proposition“ und „Quest for Votes“

Mal abgesehen von der längst nicht abschließend behandelten Frage, ob die Piratenpartei mit einer Fokussierung auf das Kernthema „Internet“ zwingend als Single-Issue-Partei zu klassifizieren ist  –  könnte es nicht sein, dass in der netzbasierten Parteiorganisation außerhalb des etablierten Spektrums ein genuines Alleinstellungsmerkmal der Piratenpartei liegt?

Beim Blick auf den Online-Wahlkampf bleibt häufig außen vor, dass die Piratenpartei eine völlig andere Strategie verfolgt als die multimedial hochgerüsteten Wahlkämpfe der Bundestagsparteien. Das textlastige Piratenwiki fungiert als eine „digitale Wirbelsäule“, umgeben von einer Vielzahl dezentraler Organisations- und Kampagnenplattformen, ergänzt um die schnellen Eingreifmedien Blog und Twitter (und ja: innerhalb dieses manchmal gewöhnungsbedürftigen und eigenwilligen Kosmos herrschen andere Kommunikationsregeln als an populäreren Plätzen im Netz).

Der selbstauferlegte Transparenzanspruch der Piratenpartei treibt dabei bisweilen interessante Blüten: so scheinen sich die einzelnen Landesverbände in einer Art Mobilisierungs-Wettstreit zu befinden, die offen einsehbare Materialsammlung zur Kampagnenorganisation auf lokaler Ebene bietet zugleich Anlass für Jubel und Verzweiflung. Die in der Tat „nerdige“ Form der Organisation lässt manchmal den Eindruck aufkommen, als könne man hier einer gut vernetzten Gemeinschaft von Rollenspielern bei der termingerechten Erledigung von „Quests“ zuschauen, stets das nächste Level im Blick. Gelöst wurden bisher die Aufgaben „Europawahl“, „Zulassung zur Bundestagswahl“, „Übernahme der Mehrheiten in Sozialen Netzwerken“, das Extra-Level „Gewinnung von öffentlicher Aufmerksamkeit“ wurde etwas holprig erreicht, vielleicht auch unter Zuhilfenahme von „Cheats“.

Über die Bewältigung einer der größeren Herausforderungen, die Organisation eines Offline-Wahlkampfs zur Verbreiterung von Unterstützer- und Wählerbasis, hört und liest man nur gelegentlich – und wenn man nicht in einer der urbanen, studentischen Piratenhochburgen lebt, kommt man außer über die eher konventionellen Kleinplakate außerhalb des Netzes kaum mit der Partei in Berührung.

Doch nun steht das vorerst letzte Level mit dem Endgegner Wahlurne an: „Bundestagswahl am 27.9.“.

Wohin segeln die Piraten?

Die nächste spannende Frage reicht über die Bundestagswahl hinaus: wie sieht der weitere Kurs der Piratenpartei aus? Als relativ sicher gilt die Annahme, dass bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreicht werden kann. Zu kurz war die Vorlaufzeit, bundesweit eine effektive Parteiorganisation aufzubauen, um die nötige Breitenwirkung für einen solchen Wahlerfolg zu erzielen. Gleichwohl benennt das Piraten-Wiki sorgfältig aufgeschlüsselt nach Bundesländern genau jene Kennzahlen, die einen solchen Erfolg an der Urne Realität werden ließen. Realistischer erscheint die Annahme eines Wahlergebnisses, das die Piraten aus der Schar der Kleinstparteien hervorhebt und zu einer sichtbaren Kleinpartei macht. Der eigene Prozent-Balken in einem Diagramm zum Wahlausgang wäre sicher ein großer Erfolg.

Damit verbunden wäre natürlich auch die Ausschüttung der Parteienzuschüsse für eingesammelte Wählerstimmen, auch hierzu gibt das Piraten-Wiki ausführlich Auskunft. Doch wie geht es weiter – die (voraussichtliche) Planung der weiteren Wahlen in Deutschland zeigt, dass das „Möglichkeitsfenster“ für einen Wahlerfolg im nächsten Jahr zwar noch offen steht – allerdings nur ein einziges Mal, nämlich bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010. Und bei dieser Wahl sollten die Piraten mindestens an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen oder sie gleich übertreffen – gelingt dies nicht, scheint die Abwanderung von Führungspersonal und Unterstützern in andere Parteien nicht unwahrscheinlich.

Dieser Text ist zuerst erschienen im Blog "Internet und Politik" von Christoph Bieber und wurde für politik-digital.de leicht gekürzt.

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