Teaser Operation Naked © ZDF und Patrick JasimMichelle Spark erfindet im ZDF-Film „Operation Naked“ eine Datenbrille, die Euphorie, Empörung und sogar Gewalt hervorruft. Regisseur Mario Sixtus vertritt mit der Mockumentary dabei eine eher pragmatische Haltung: Kann der technologische Fortschritt überhaupt aufgehalten werden?

Gesichtserkennung und Datenbrillen. Schon seit Langem kochen die mit ihnen einhergehenden Datenschutz-Debatten immer wieder hoch. Dieser Thematik nimmt sich nun auch ein kleines Fernsehspiel des ZDF an. Die sogenannte „Operation Naked“ spinnt eine fiktive Geschichte um eine Unternehmerin, die eine Datenbrille erfunden hat und sie nun in den Verkauf bringen möchte. Es entsteht eine polarisierte öffentliche Debatte, die eine folgenschwere Verkettung von Ereignissen hervorruft. Das Besondere an der Produktion: der Film wird ausschließlich mit speziell dafür produzierten Ausschnitten aus rund 15 ZDF-Formaten erzählt – eine Art Zapping-Gefühl für den Zuschauer. Mit von der Partie sind unter anderem die heute-show, Dunya Hayali, Claus Kleber, Markus Lanz, der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen, Jan Böhmermann und Rudi Cerne.

Die Wiedergeburt von Steve Jobs

Michelle Spark ist eine Berliner Start-Up-Unternehmerin. Ihre große Erfindung: die sogenannte „Real-o-Rama“, eine Datenbrille, die problemlos Gesichter, Kleidung und Orte erkennen kann. Sie trägt die im Internet verfügbaren Daten hierzu zusammen und präsentiert sie dem Nutzer live. Man sieht jemanden auf der Straße, weiß aber nicht, wie die Person heißt? Kein Problem. Ein Passant hat eine schöne Umhängetasche? Die Datenbrille erkennt sie sofort und durchsucht das Netz nach dem günstigsten Preis. Schnell wird Michelle Spark als die Wiedergeburt von Steve Jobs gefeiert und die Politik freut sich über den immensen Innovationsgeist, der in Deutschland steckt.

Die Unternehmerin wird zum Medienstar, zum gefragten Gast in allen möglichen Fernsehformaten. Um dem Publikum zu zeigen, was die Brille kann, darf sich das ZDF-Morgenmagazin sogar in die Brille der live zugeschalteten Michelle Spark schalten. Die Zuschauer sehen, was sie sieht. Während dieses Experiments erkennt die Brille einen gewissen Pablo Rothmann, der ein Gebäude ohne Schilder betritt. Die Brille erkennt den Ort sofort: der „Golden Gay Club“. Live im Fernsehen wurde das private Geheimnis des Geografielehrers an einem konservativen Internat enthüllt, was ihn seinen Job kostet. Die Stimmung gegenüber der neuen Technologie kippt. Es ist der Beginn einer dramatischen gesellschaftlichen Debatte über Technologiefeindlichkeit und Datenschutz, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken wird – ein stark überspitztes, jedoch kein unrealistisches Szenario.

Die Gesellschaft ist das Problem, nicht die Technik

Michelle Spark – ein Name als Metapher für den überspringenden Funken – geht von nun an in die Offensive. Denn die Unternehmerin möchte nicht einfach nur mit einer Idee Geld verdienen, sondern ein politisches Statement setzen. „Ich weiß, wer du bist“: Wenn jeder alle Geheimnisse eines anderen kennt, so ist niemand mehr in der Lage, mit dem Finger auf die Mitmenschen zu zeigen. Nicht die Technik sei das Problem, sondern die Gesellschaft, die Homosexuelle diskriminiert. Die „Real-o-Rama“ ist also nur der Beginn der sogenannten „Operation Naked“. Natürlich formiert sich hiergegen schnell ein beträchtlicher Widerstand – namentlich in Form des Vereins „Wider der digitalen Entblößung“. Es entsteht im Verlauf dieser Debatte eine regelmäßige Verlagerung der öffentlichen Meinung. Private Geheimnisse werden öffentlich? Mehr Datenschutz! Gewalttaten könnten durch solche Datenmengen aufgeklärt werden? Weniger Datenschutz!

Regisseur und Autor Mario Sixtus nutzt dabei auch überspitzte Metaphern und überzeichnete Figuren. Die Positionen der Debatte werden von Menschen verkörpert, die nur selten die aristotelische Mitte suchen. Entweder, oder. Die Übertreibung ist jedoch auch bewusst gesetzt, schließlich bezeichnet sich „Operation Naked“ selbst als Mockumentary, also als Parodie eines Dokumentarfilms. Doch so spitz die Auffassungen auch sein mögen, so stellt der Film wichtige gesellschaftliche Fragen und spinnt interessante Gedankenspiele. Wie viel dürfen andere über mich wissen? Was gebe ich über mich selbst im Internet preis? Können gewaltige Datensammlungen nicht doch ein adäquates Hilfsmittel bei der Verbrechensaufklärung sein?

Ein kritischer Rundumschlag

Die Argumentation des Regisseurs löst sich dabei aber von diesen Fragen. Schlussendlich ist es egal, ob nun die Datenschützer oder Technologiefreunde im Recht sind: die Technologie an sich lässt sich schlicht und ergreifend nicht aufhalten. „[Wir sehen], wie diese Technologie eine Eigendynamik entwickelt, wie sie damit beginnt, die Gesellschaft zu verändern und sich dabei naturgemäß nicht die Bohne um Politik, Medien oder die Volksmeinung schert – fast so wie ein freigelassener Virus“, so Mario Sixtus. Das hierbei mitschwingende Argument: nicht die Daten an sich sind „böse“, sondern nur jene Menschen, die sie missbrauchen. Oder wie Harald Lesch die Möglichkeiten beschreibt, die hinter dem unbegrenzten Daten- und Informationszugang stecken: „Wir verfügen über Superkräfte, die uns zu fast alles wissenden Superhelden machen können. Oder aber zu Superschurken. Je nach Charakter. Vermutlich werden wir uns an diese Superkräfte genauso schnell wie an Wikipedia und Google gewöhnt haben.“

Technologischer Fortschritt ist unaufhaltsam in seiner Eigendynamik. Dadurch, dass der Film diese sehr pragmatische Haltung einnimmt, kann er zum Rundumschlag gegen alle beteiligten Diskutanten ausholen. Zum Beispiel die Datenschützer einerseits und Verfechter der „Operation Naked“ andererseits, die verbissen auf ihren Positionen verharren, nur wenig Kompromissbereitschaft zeigen und auch zu unfairen Mitteln greifen. Oder die Wendehals-Politik, personifiziert durch den Staatssekretär im Innenministerium, die sich entsprechend der Großwetterlage der öffentlichen Meinung positioniert. Das führt leider dazu, dass manch eine Meinung schlussendlich ins extrem Lächerliche gezogen wird. Schade eigentlich, da die subtile Verspottung der Debatte deutlich besser gewirkt hat als die gegen Schluss gewählte Holzhammer-Methode.

„Operation Naked“ ist ab dem 15. Februar in der ZDF-Mediathek abrufbar. Das ZDF strahlt den Film am 22. Februar um 23:55 Uhr aus.

 

Bild: © ZDF und Patrick Jasim

CC-BY-SA

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