Open SourceKostengünstig, unabhängig und politisch korrekt – Mitte der 2000er Jahre galt Open Source Software als ausgezeichnete Möglichkeit für den öffentlichen Sektor, sich unabhängig von amerikanischen Großkonzernen zu machen. Die erste Euphorie ist längst verflogen. Aktuell geht das Gerücht um, München wolle wieder zurück zu Microsoft wechseln. Das einstige Vorzeigeprojekt und die einzige deutsche Großstadt, die Linux als Betriebssystem für ihre gesamte Verwaltung nutzte. Grund genug, mal einen genaueren Blick in die Mühlen der deutschen Bürokratie zu werfen.
Es hätte alles so schön sein können. Nach mehrfachen Verzögerungen, unzähligen kritischen Stimmen und einer zehnjährigen Migrationsphase erklärte Münchens Zweite Bürgermeisterin Christine Strobl Ende 2013 die Umstellung von 15.000 PC-Arbeitsplätzen in der Münchner Verwaltung auf Linux für erfolgreich abgeschlossen und verkündete, das Arbeiten mit Open Source Software (OSS) sei „für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung längst zur täglichen Routine geworden“. Ein Erfolg mit Signalwirkung, könnte man meinen, schließlich hatte der Fakt, dass die drittgrößte Stadt Deutschlands auf Open Source Software setzt, bis in die USA Schlagzeilen gemacht. Doch die Freude währte nur kurz, denn schon acht Monate später gibt es nun erneut Streit um das Vorzeigeprojekt. Während der Stadtrat das „LiMux“-Projekt – ein Kunstwort aus Linux mit M für München – im Juli noch gegen „sachfremde Einzelmeinungen“ verteidigt hatte, bestätigte der neue Zweite Bürgermeister der Stadt Josef Schmidt der Süddeutschen Zeitung nun die Einsetzung einer Expertengruppe, die die Rückkehr zu Microsoft prüfen solle. Es scheint also wieder alles offen zu sein, und das ausgerechnet in München, das für sein Nein zu proprietärer Software weltweit als Vorbild gelobt und als Vorreiter gepriesen worden war.

Die Liste der Vorteile ist lang

Doch warum setzt sich Open Source Software in Stadtverwaltungen nicht durch? Es scheinen doch so viele gute Gründe dafür zu sprechen. Da ist zunächst die Kostenfrage: Während die Lizenzgebühren für kommerzielle Software in städtischen Verwaltungen schnell mehrere Millionen erreichen, ist OSS kostenlos verfügbar. Viel schwerer als der Kostenaspekt wiegen für Verwaltungen aber häufig die strategischen Vorteile. Die Nutzung von OSS reduziert die Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen und ermöglicht langfristige Planungssicherheit. Im Normalfall sind Stadtverwaltungen gezwungen, jedes Mal neue Software anzuschaffen, wenn die Hersteller alle paar Jahre neue Versionen einführen und den Support für die bisher genutzten einstellen.
Open Source Software und freie Betriebssysteme wie Linux haben hingegen deutlich längere Laufzeiten. Sobald die Mitarbeiter einmal mit den neuen Programmen umzugehen wissen, entfällt der immer wiederkehrende Schulungsbedarf, den die Installation neuer Betriebssysteme verursacht. Unabhängigkeit von Großkonzernen bedeutet auch, dass ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Softwarelösungen möglich wird. In der aktuellen Praxis wird die Auswahl der Software-Werkzeuge, die Verwaltungen nutzen, meist von Microsoft vorbestimmt, denn Microsoft ist das Unternehmen, dessen Produkte die meisten deutschen Städte verwenden. Außerdem erlauben offene Standards es den IT-Abteilungen von Behörden, die Software eigens an die Bedürfnisse der jeweiligen Stadt anzupassen, bei Bedarf Erweiterungen vorzunehmen und Fehler selbst zu finden und zu beheben.
Und nicht zu vergessen: die Datensicherheit. Schon seit Langem wurde vermutet, dass große amerikanische Softwarekonzerne Hintertüren in ihre Betriebssysteme einbauen, die den Geheimdiensten das Spionieren erleichtern. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist nun bekannt, dass Microsoft und andere Großkonzerne eng mit der NSA kooperieren und Informationen aus Cloud und Webmail weitergegeben haben. Das wirft die Frage auf, ob sensible Persönlichkeitsdaten von Bürgern sowie interne Verwaltungskommunikation tatsächlich auf Windows-betriebenen Computern und Servern am besten aufgehoben sind.

In der Praxis hakt es oft

Es gibt also einige gute Argumente, die für die Nutzung offener Software in Stadtverwaltungen sprechen. Und dennoch finden sich in Deutschland nur wenige Kommunen, die sich nachhaltig von dem Microsoft-Monopol gelöst haben. Versuche, zu offener Software zu wechseln, gab es einige, doch häufig wurden nach wenigen Jahren wieder kommerzielle Lösungen angeschafft, wie etwa vor anderthalb Jahren in Freiburg. Die Stadt im Breisgau hatte 2007 eine Strategie offener Standards beschlossen und ODF als Standardformat für Dokumente innerhalb der Verwaltung festgelegt. Im Zuge dieses Strategiebeschlusses wurde OpenOffice als Nachfolger für das bislang verwendete MS-Office 2000 eingeführt. Die offene Software konnte sich in der Praxis jedoch nie nachhaltig durchsetzen. Denn aufgrund von Kompatibilitätsproblemen mit Fachanwendungen und Problemen beim Dokumentenaustausch mit externen Stellen wurden Open Office und MS-Office vielfach parallel betrieben. In einem Gutachten zur Situation in Freiburg wurde schließlich eine Abkehr von Open Office sowie die Anschaffung von Office 2010 empfohlen und im November 2012 mit knapper Mehrheit im Stadtrat beschlossen. Damit war die Open Source-Strategie der Stadt gescheitert.
Rüdiger Czieschla, der IT-Leiter der Stadt Freiburg, beschreibt in einem Beitrag zum Buch „Open Source im öffentlichen Sektor“ ausführlich die Gründe für dieses Scheitern. Man habe sich zu sehr auf die technische Umsetzung der Migration konzentriert und den Schulungsaufwand zunächst unterschätzt. Die unterschätzten Probleme hätten wiederum zu Verärgerung bei den Mitarbeitern und Produktivitätseinbußen geführt. „Technische Schwierigkeiten und Kompatibilitätsprobleme mit Fachanwendungen waren Wasser auf den Mühlen von Skeptikern und Verweigerern“, stellt Czieschla enttäuscht fest. Zudem kritisiert er das „behördliche Beharrungsvermögen“, also den Unwillen im Mitarbeiterstab, sich auf Neues einzustellen sowie eine „kritikfixierte Haltung“ in der Führungsebene.
Auch der Freiburger Stadtrat Timothy Simms konstatierte einen mangelnden Rückhalt seitens strategischer Akteure. Open Office sei zu einem Sündenbock für alles geworden, was zwischen Verwaltung und IT falsch lief. Für Simms ist nicht die Open Source Software gescheitert, sondern der Weg der Einführung, den Freiburg gewählt hat.
Von offizieller Seite wird die Rolle rückwärts mit technischen Problemen, einer geringen Akzeptanz bei den Mitarbeitern und Leistungsschwächen im Vergleich zu Microsoft-Pendants begründet.
Mit diesen Argumenten steht Freiburg nicht alleine, in München gibt es ähnliche Kritikpunkte. Mitarbeiter seien unzufrieden, den OSS-Programmen fehlten gängige Funktionen und die Einrichtung der Smartphones der beiden Bürgermeister der Stadt habe fast vier Wochen gedauert, heißt es aus der Rathausspitze.

Es gibt Hoffnung

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Treuchtlingen. Die 12.500-Einwohner-Gemeinde in Mittelfranken ist eines der wenigen Positivbeispiele für die umfassende Anwendung von Open Source Software auf Verwaltungsebene. Der Wechsel zu OSS wurde hier jedoch nicht aus ideologischen oder finanziellen Motiven in Angriff genommen, am Anfang standen handfeste IT-Probleme: Bevor Treuchtlingen im Jahr 2002 beschloss, die gesamte Verwaltung auf OSS umzustellen, hatten die Mitarbeiter mit schwerwiegenden Kompatibilitätsproblemen zu kämpfen, die dazu führten, dass sie ihre PCs herunter- und mit einer anderen Windows-Version wieder hochfahren mussten, um zwischen verschiedenen Anwendungen zu wechseln. Zur Beseitigung dieser Missstände wurde die Hardwarestruktur der Verwaltung neu aufgestellt, für OSS entschied man sich aufgrund der langen Laufzeiten.
Doch obwohl die Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Open Source-Lösung durch eine Umfrage belegt ist, wird die Nutzung von OSS intern und extern immer wieder in Frage gestellt, erzählt der Treuchtlinger Systemadministrator Heinz-M. Graesing. Ein immer wiederkehrender Vorwurf in der Öffentlichkeit laute, es würden durch die interne Weiterentwicklung und Anpassung der Open Source-Programme Steuergelder verschwendet und man nehme der freien Wirtschaft Aufträge weg, berichtet Graesing. In kommunalen Führungsebenen tendiere man häufig dazu, lieber fertige Produkte zu kaufen, statt selbst Lösungen zu entwickeln. Die zu erwartenden Kosten für eine Rückmigration zu kommerzieller Software hätten derartige Pläne in Treuchtlingen bisher jedoch immer gestoppt. Und so tüftelt das Treuchtlinger IT-Team weiter daran, den Einsatz von OSS zu verfeinern. Mit Erfolg. Die Gemeinde betreibt einen Großteil ihrer Anwendungen autark und entwickelt mit internem Know-How Fachanwendungen für den Eigenbedarf.
So begeistert Graesing von den Möglichkeiten von OSS ist, so ist er sich aber auch im Klaren darüber, dass Treuchtlingens Erfolgsgeschichte ein Sonderfall ist, der sich heute, mehr als zehn Jahre nach der Einführung, nicht einfach auf andere Städte übertragen lasse. In Treuchtlingen habe der Umstieg auf OSS eine so massive Verbesserung der bisherigen Arbeitsqualität bedeutet, dass die Mitarbeiter die Veränderung bereitwillig angenommen hätten, erzählt Graesing. Inzwischen hätten aber auch kommerzielle Anbieter ihre Produkte verbessert und ein Systemwechsel sei heute viel schwieriger durchzusetzen.

Dogmatik hilft nicht weiter

Die Beispiele aus der Praxis zeigen: Während in privaten Haushalten oder kleineren Unternehmensstrukturen der Gebrauch von einzelnen Open Source-Anwendungen keine Seltenheit mehr ist, stellt ein Programmwechsel oder gar der Umstieg auf ein anderes Betriebssystem im öffentlichen Sektor eine große Herausforderung dar. Die Mitarbeiter müssen das neue System akzeptieren und sich umgewöhnen. Durch Schulungen und vorzunehmende Anpassungen der Software an die jeweiligen Bedürfnisse entsteht in den IT-Abteilungen zunächst ein höheres Arbeitsaufkommen.
Zudem gilt es, politischen Rückhalt zu sichern, denn in städtischen Führungsriegen bestehen häufig Zweifel über die technische Ausgereiftheit alternativer Betriebssysteme. Außerdem müssen für Probleme mit Fachanwendungen, die nur für proprietäre Software ausgelegt sind, kreative Lösungen gefunden werden. Nicht zuletzt betreiben große Technologiekonzerne massive Lobbyarbeit gegen den Einsatz von Open Source Software in Verwaltungen. Im Fall von München verbreitete Microsoft beispielsweise eine Studie, die unter Verwendung strittiger Annahmen immense Mehrkosten der Linux-Migration im Vergleich zu einer Umstellung auf Windows XP errechnete.Und wie es der Zufall will, hat der jetzige Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter in seiner vorherigen Position als Wirtschaftsreferent entscheidend daran mitgewirkt, dass Microsoft seinen Deutschlandsitz in die Münchner Innenstadt verlagert.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass hehre Ideale allein im bürokratischen Arbeitsalltag keine Veränderung bewirken. Auch wenn die Nutzung von Linux und Open Source Software in politischen Debatten gern als Akt der Befreiung aus dem festen Griff eines Monopolisten verkauft wird, muss OSS sich der Realität der Märkte stellen und sich im Hinblick auf Funktion und Kosten bewähren. Systemwechsel aus rein ideologischen Motiven können sonst früher oder später nur allzu leicht am „behördlichen Beharrungsvermögen“ scheitern.
Auch der Treuchtlinger Systemadministrator Graesing hält nichts von ideologischen Grabenkämpfen zwischen proprietärer und offener Software und setzt, ganz IT-Fachmann, auf Pragmatik. Sein Rat: „Man darf nicht den Fehler machen, das gesamte System auf einmal umzustellen, vor allem wenn es davor gut funktioniert hat. Dann wird die Umstellung nicht angenommen. Stattdessen muss man schauen, in welchen Bereichen sich welche Lösungen anbieten, wo OSS konkret etwas verbessern kann, und dann muss man sicherstellen, dass das neue System tatsächlich besser funktioniert als das alte.“
 
Foto: opensource.com
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