wheelchair-538138_1920Wie emotional demokratische Abstimmungen ablaufen können, zeigten in jüngster Vergangenheit die Ergebnisse der US-Wahl und des Brexit-Votums. Bei beiden Sieger-Kampagnen spielten digitale Aspekte eine zentrale Rolle. Brauchen wir verbindliche Regeln für den digitalen Wahlkampf?

Politik findet immer mehr online statt. Nicht nur Meinungsbildung und politische Diskussion verlagern sich in die neuen Medien, nahezu alle Politiker gehen in den sozialen Netzwerken auf Stimmenfang. Die Trumpschen Tweets zeigen, dass dies nicht immer mit fairen Mitteln abläuft. Doch wo liegen die tatsächlichen Gefahren des digitalen Wahlkampfs?

Algorithmus, Filterblase, Dark Ads

Ein reger Gedanken- und Meinungsaustausch ist die Basis einer jeden Demokratie und diesen in den sozialen Netzwerken zu führen, vermutlich die Zukunft der politischen Debatte. Nichtsdestotrotz gibt es Gefahren bei der Meinungsbildung im Internet. So steht die digitale Diskussion im Verdacht, politische Abschottung zu befördern – Stichwort Filterblase.

Doch wie entsteht dieses Phänomen? Ein Grund hierfür ist, dass der individuelle Aufbau der sozialen Netzwerke von einem Algorithmus gesteuert wird. Was einem User beispielsweise auf Facebook angezeigt wird, entscheidet ein Programm danach, wie dessen Interessen und Vorlieben aussehen. Dies führt in einer politischen Debatte dazu, dass nur Positionen angezeigt werden, mit denen man ohne hin schon sympathisiert. Andere Ansichten werden ausgeblendet und es kommt zu einer beschränkten Sicht auf das politische Spektrum.

Demokratie lebt vom Austausch verschiedener Meinungen, nicht dem Bestärken der eigenen. Werden nun ausschließlich innerhalb der eigenen politischen Lager Argumente ausgetauscht, können relevante Gegenpositionen nicht miteinbezogen werden. Dies führt zu einem Verlust an Information und Rationalität und verhindert den Fortschritt der politischen Debatte.

Ein weiteres Problem ist das sogenannte Micro-Targeting. Hierbei werden mit Hilfe gesammelter Daten psychologische Profile von Usern erstellt, welche dann wiederum verwendet werden, um hoch individualisierte Werbeanzeigen schalten zu können. Wie genau diese Persönlichkeitsprofile angeblich sind, ist in einem Bericht über Michal Kosinski, den Entwickler dieser Methode, nachzulesen: „70 Likes reichen, um die Menschenkenntnis eines Freundes zu überbieten, 150, um die der Eltern, mit 300 Likes kann die Maschine das Verhalten einer Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner.” Auf diese Weise wurden in Donald Trumps Wahlkampagne Text, Bildmaterial und sogar die Farbe der Anzeigen auf die individuellen Persönlichkeitsprofile der angesprochenen Wähler abgestimmt.

Dieses Profiling stellt eine große Bedrohung für die Rationalität der politischen Debatte dar. Denn jemand, dessen Neigungen und Vorlieben, aber auch dessen Ängste man kennt, kann man deutlich einfacher beeinflussen. Diese Beeinflussung ist allerdings eine emotionale und keine argumentativ-rationale, wie es eine gesunde Demokratie verlangt. Mit psychologischen Tricks die Meinungsbildung zu beeinflussen, ist ein bewährtes Mittel autokratischer Staaten, um Schwächen des eigenen Regimes zu kaschieren. In modernen Demokratien haben solche Machenschaften nichts verloren.

Zudem haben politische Akteure beispielsweise auf Facebook die Möglichkeit, Werbeanzeigen zu schalten, welche nur einer bestimmten Zielgruppe angezeigt werden und auf den offiziellen Seiten der Politiker oder Parteien gar nicht erscheinen; Anzeigen also, die nicht unbedingt die ganze Wählerschaft sehen sollen.

Diese sogenannten Dark-Ads verletzen das Kriterium der Publizität. Denn was ist der Grund, warum diese Beiträge nicht alle sehen dürfen? Gibt´s da was zu verbergen? Würde es sich um legitime, wohlbegründete Positionen handeln, gäbe es keinen Anlass diese vor der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Um einen Überblick über die im Bundestagwahlkampf eingesetzten Dark Posts zu gewinnen, haben die Journalistin Adrienne Fichter und der Politikberater Martin Fuchs #PolitikAds initiiert: Social Media-Nutzer posten die Anzeigen, die Parteien und Politiker in ihrer Timeline geschaltet haben.

Stimmgewicht ist kaufbar

Nicht selten wird vor Wahlen das politische Klima rauer, nicht selten wird zu unsauberen Mitteln gegriffen, um die letzten Stimmen noch ins eigene Lager zu holen. Doch müssen trotz alledem demokratischen Grundbedingungen gewahrt bleiben. Eine dieser Grundbedingungen ist das Prinzip der Gleichheit. In den sozialen Medien besteht nun allerdings die Möglichkeit eigene politische Positionen in Beiträgen zu bewerben und sich auf diese Weise erhöhtes Stimmgewicht zu erkaufen. Dies gefährdet die Ausgewogenheit der Debatte.

Zunehmend wird nun auch der deutsche Wahlkampf in die neuen Medien verlegt. Nicht nur in Talkshows und Zeitungsberichten werben Politiker um die Gunst der Wähler, sondern längst auch auf Facebook, Twitter oder YouTube. Während nun allerdings die klassischen Medien (teils aufgrund staatlicher Auflagen) um eine ausgeglichene Abbildung der politischen Landschaft bemüht sind, fehlt in den neuen Medien ein Mechanismus, welcher die Wahrung des Prinzips der Gleichheit garantiert. Ist es einer Partei oder einem Politiker möglich, die eigene Ansicht zu bewerben und so gegenüber den Meinungen politische Gegner hervorzuheben, kommt es zu einer Wahrnehmungsverzerrung des politischen Spektrums.

Es ließe sich einwenden, dass auch konventionelle Wahlwerbung eine solche Verzerrung erzeuge. Hierbei wird allerdings nicht beachtet, dass mittels Wahlplakaten und Handzetteln nur indirekt in die politische Debatte eingegriffen werden kann, während durch Beiträge in den sozialen Netzwerken die Möglichkeit besteht, direkt an einer Diskussion teilzunehmen.

Ein möglicher Ansatz, die oben genannten Gefahren des digitalen Wahlkampfs anzugehen, ist in meinen Augen ein von Experten erarbeiteter Ethikkodex, anhand dessen einzelne Vergehen explizit angeprangert werden können. Denn kein Politiker lässt sich gerne unsauberes oder unethisches Verhalten nachsagen. Ein Imageschaden bedeutet nicht selten das Ende der politischen Karriere. Zudem würde eine solche Leitlinie für den Online-Wahlkampf die Bürger für Übertretungen der Politik sensibilisieren.

Monopolisiertes Internet

Ein großes Problem, dem sich der Wahlkampf in den sozialen Netzwerken stellen muss, ist das monopolisierte Internet. In den vergangenen Jahren hat es die Politik versäumt, den Vertreibern dieser neuen Technologie demokratische Grenzen zu setzen; mit der Folge, dass die gesamte digitale Infrastruktur von wenigen Konzernen bereitgestellt wird, deren Ziel vorrangig die eigene Gewinnmaximierung ist.

Dadurch entstehen für die politische Diskussion schwerwiegende Probleme. Konzerne haben an sich kein Interesse an einem funktionierenden Meinungsaustausch. Verständlicherweise stehen bei einem Wirtschaftsunternehmen wie Facebook ökonomische Aspekte im Mittelpunkt. Gesellschaftliche Interessen sind, wenn überhaupt, nur nachrangig von Bedeutung. So arbeitet Facebook Berichten der New York Times zufolge momentan an einem Zensurtool, welches dem Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt eröffnen soll.

Ein weiteres Problem, welches durch fehlende Konkurrenz im digitalen Sektor entsteht, ist die Möglichkeit politischer Beeinflussung durch Monopolisten und Lobbyisten. Wird die digitale Infrastruktur von einigen wenigen Anbietern zur Verfügung gestellt, vereinfacht dies politische Einflussnahme, da im Zweifelsfall nicht auf andere Plattformen ausgewichen werden kann. So soll Google eine AfD-Kampagne nicht genehmigt und auf diese Weise massiv in die Wahlkampfstrategie der Partei eingegriffen haben.

Den politischen Einfluss der Internetriesen zu begrenzen, muss Aufgabe des Staates oder eines Staatenbündnisses sein und sollte in Zeiten der Digitalisierung zu einem Kernthema deutscher und europäischer Politik werden.

Titelbild: by Arnaud Jaegers, on unsplash

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