Politik in der digitalen Gesellschaft ist ein heißes Pflaster: Nicht zuletzt der arabische Frühling und der Aufstieg der Piratenpartei sind Beispiele für den grundlegenden Wandel, der sich durch die Verbreitung von Online-Kanälen in der politischen Kommunikation vollzieht. Eine Konferenz in Arizona beschäftigte sich mit diesen Phänomenen und den Folgen des Wandels.

„Online-Forschung ist wie Schießen auf ein bewegliches Ziel“, leitete Hajo Boomgarden von der Universität Amsterdam seinen Vortrag auf der ICA-Preconference „Political Communication in the Online World” ein. Die Konferenz war Teil des Vorprogramms der Jahrestagung der International Communication Association (ICA), die bis zum 28. Mai 2012 in Phoenix stattfand. Unter der sengenden Sonne Arizonas lieferten sich bei bis zu 38 Grad über 50 internationale Online-Forscher spannende Diskussionen zu den Fragen: Wie verändert sich die politische Kommunikation durch Online-Medien? Und welche politischen Folgen hat dies?

Macht es einen Unterschied, ob sich junge Wähler auf YouTube statt in den TV-Nachrichten über Politik informieren? – Ja, sagen Hans-Bernd Brosius und Till Keyling von der LMU München, denn die Entstehung der Themen-Agenda auf YouTube folgt anderen Regeln: Es gibt hier keinen Journalisten, der als „Gatekeeper“ fungiert. Stattdessen formen Nutzerverhalten und Metadaten, z. B. die Anzahl von Views, die individuellen Suchergebnisse. David Tewksbury von der Universität Illinois sieht diese Machtverschiebung bei der Themensetzung ambivalent: So berge sie zwar Chancen für mehr Bürgerbeteiligung, da sie das mediale Informationsmonopol aufweiche. Sie trage aber auch zu einer zunehmenden Segmentierung (Ausdifferenzierung von Nutzergruppen und Inhalten), Fragmentierung (Herausbildung unterschiedlicher, in sich homogener Nutzergruppen) und Polarisierung (Isolierung dieser Nutzergruppen voneinander) bei. Tewksbury betonte, dass die Varianz zwischen Nutzergruppen für die politische Kommunikation unproblematisch sei, solange es gemeinsame Referenzpunkte gebe. Die drastische Form der Fragmentierung, die Polarisierung, führe jedoch dazu, dass interessenspezifische Echo Chambers entstünden. In diesen Online-Resonanzräumen kann der Nutzer Informationen ausblenden, mit denen er sich nicht konfrontieren möchte.

Doch hat die Nutzung von Online-Medien tatsächlich Auswirkungen auf das politische Wissen, die Einstellungen und das Engagement von Bürgern? Martin Emmer, Kommunikationswissenschaftler an der FU Berlin, zeigte auf, dass trotz  des neuen Politikverständnisses wie es etwa die Piratenpartei vertritt, nur wenige Personen online politisch aktiv sind. Bei seiner Analyse der Zusammenhänge zwischen politischer Kommunikation, Partizipation und Einstellungen zeigte sich, dass die Online-Kommunikation die politische Einstellung der Befragten verändert. Auch Hajo Boomgarden stellte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene moderate Effekte der politischen Online-Kommunikation fest. Sobald sie zur Gewohnheit wird, könnten positive Spiraleffekte entstehen. Diese lassen sich nach der Politikwissenschaftlerin Pippa Norris von der Harvard University als Virtuous Circles, also Tugendkreise, bezeichnen.

Was charakterisiert nun die politische Kommunikation in der Online-Welt? Dietram Scheufele von der University of Wisconsin-Madison wies in seinem Statement auf die wachsende Bedeutung der Social Contextualization hin. Der soziale Zusammenhang, in dem die politische Information präsentiert werde, sei inzwischen wichtiger als die Information selbst. Dadurch entstehe eine vollkommen neue Mediennutzungssituation, in der dem Publikum eine aktive Rolle zukomme. Kampagnen wie KONY 2012 zeigten, dass politische Online-Kommunikation einerseits starken Steuerungsmechanismen unterliege, die Nutzer andererseits eine sehr mächtige Position einnehmen. Das bisherige Top-Down-Medienmodell müsse daher um eine Bottom-Up-Komponente ergänzt werden.

Welche Wege müssen beschritten werden, um fokussiert und effizient Big Data, also große Mengen von Online-Daten, zu analysieren? Michael Xenos (University of Wisconsin-Madison) referierte zu den Potenzialen einer softwaregestützten Analyse, bei der auf Basis menschlich generierter Datenbeispiele Algorithmen entwickelt werden. Die Qualität der menschlichen Voranalysen sei essenziell, um den Algorithmus richtig „anzulernen“. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, will die Kommunikationsforschung in Zukunft Erkenntnisse zur Mensch-Computer-Interaktion systematisch integrieren. Bruce Bimber (University of California) warnte jedoch davor, dem Rausch großer Datenmengen erliegen. Während Betrunkene bei Nacht zunächst unter einer Straßenlaterne nach einem verlorenen Geldstück suchten, dürfe die politische Kommunikationswissenschaft ihre zentralen Fragenstellungen keinesfalls aus den Augen verlieren, nur weil sie derzeit noch „im Dunkeln“ liegen.

Die Preconference geht auf die Initiative von Gerhard Vowe, Marco Dohle und Patrick Rössler zurück. Die Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der DFG-Forschungsgruppe “Politische Kommunikation in der Online-Welt”, deren Sprecher Prof. Vowe (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) ist, gehen der Frage nach, wie sich die politische Kommunikation zwischen Bürgern, politischen Organisationen und Medien durch die allgegenwärtigen Online-Medien verändert. Daran schließt sich die Frage an, welche politischen Folgen dieser Wandel hat  – etwa für die Mobilisierungsfähigkeit politischer Gruppen oder für die Präferenzen von Wählerinnen und Wählern oder für das Tempo des Themenwechsels in der öffentlichen Diskussion.