Amerikanischer Wahlkampf auch in Österreich

Unabhängig vom Wahlausgang lässt sich feststellen, dass sich der Wahlkampf ähnlich der vergangenen Bundestagswahl stark am amerikanischen Vorbild orientiert. Auch in Wien haben die „Spindoctors“ Einzug gehalten. Letzteres gilt vor allem für die SPÖ, die sich tatkräftige Unterstützung in den USA geholt hat. Aus dem einstmals biederen und chancenlos geglaubten Alfred Gusenbauer, wurde der optisch umgestylte und überraschend angriffslustige Kanzlerkandidat der SPÖ. Frei nach Clinton/Gore´s „Putting People First“ ist auch der leichtabgewandelte Slogan der Sozialdemokraten: „Weil der Mensch zählt.“ Ohne professionell gestaltete Homepage geht es auch bei
Gusenbauer und seiner
Partei nicht. Neben zahlreichen brauchbaren Informationen finden sich hier nach dem Motto „Rot is(s)t gut“ Rezepte von Prominenten zum Nachkochen. Wirklich neu ist die Möglichkeit für Sympathisanten, sich für eine aktive Mitarbeit im Wahlkampf zu melden. Die Rekrutierung von Freiwilligen über das Internet (Stichwort:
eVolunteers) steht unter dem Motto: “Mitmachen im Container“, da sich die Wahlkampfzentrale der Partei in eigens aufgestellten Containern befindet. Eintragen können sich hier auch Nicht-Parteimitglieder.

 

Mehrsprachige Märchen

Auf den Vorteil des Kanzlerbonus´ setzt die ÖVP. „Wer, wenn nicht er“, heißt es auf der
Homepage von Wolfgang Schüssel. Auch hier lohnt ein Besuch, wenn man sich ein Bild von der Partei und ihrem Kandidaten machen will. Positiv fallen Informationen in serbischer, bulgarischer, kroatischer, englischer, polnischer, türkischer und englischer Sprache auf. Sicher zum Nachahmen empfohlen ist dieser Service für andere Kampagnen und Parteien. Bemerkenswert ist, dass man im Forum der ÖVP Homepage Hinweise auf der Webseite
www.werwennnichter.at findet, die Wolfgang Schüssel in witziger Art und Weise verspottet. Im Gegenzug gibt es aber Zensurvorwürfe von Seiten der Partei an die SPÖ. Kritische Beiträge würden aus dem Forum der SPÖ Homepage gelöscht und die IP-Adressen kritischer Autoren gesperrt. Der Initiator einer sogenannten
Fake-Seite werde sogar mit einer Klage bedroht. Nicht zu vergessen ist der Onlineshop. Hier können die üblichen Werbeartikel erworben werden, beispielsweise eine CD für 14,53 € mit dem Titel „Märchen für Europa“. Wolfgang Schüssel und seine Freunde lesen 15 Märchen aus EU-Ländern vor.

Grüne und die FPÖ mit ihrem Spitzenkandidat
Herbert Haupt treten vergleichsweise bescheiden im Netz auf. Im Gegensatz zur bundesrepublikanischen Bundestagswahl können sich die beiden kleinen Parteien jedoch nicht über mangelnde Präsenz in den Medien beklagen. Auch im Wahlkampf zum Nationalrat gibt es TV-Duelle, die als Konfrontation bezeichnet werden. Im Unterschied zu
Deutschland tritt jeder gegen jeden an, nicht nur die beiden Vertreter der großen Parteien. Wer die Sendung verpasst hat, kann das Versäumte später im Internet anschauen oder anhören. Gerade beim Zusammentreffen des Amtsinhabers mit Herbert Haupt zeigten sich die wachsenden Differenzen der Noch-Koalitionspartner. Am Donnerstag vor der Wahl treffen sich dann zum Abschluss Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer, Herbert Haupt und Alexander van der Bellen nochmals zu einer Konfrontation im TV-Studio. Sicher eine letzte Entscheidungshilfe für die auf etwa 1 Millionen geschätzten unentschlossenen Wähler.

 

Erschienen am 21.11.2002