"Natürlich sind wir eine Bedrohung für die old-boys-networks in den Parteien
und ihre Hinterzimmerpolitik", beschreibt Arne Brand vom
Virtuellen Ortsverein
der SPD die Bedeutung von digital vernetzter Politik. Der 23jährige gehört zum
deutschen Polit-Nachwuchs, der mit den eingespielten Bonner Regeln brechen will:
Die next gener@tion steht bereit, die Alten in Bonn und Berlin abzulösen.

Arne Brand

Arne Brand

Knatternd fährt er mit dem SPD-Wahlkampf-Bus zum Interviewtermin vor. "Wir sind bereit"
steht in fetten roten Lettern auf der Seitentür des VW-Busses. Bereit war Arne Brand
nicht nur im Internet-Wahlkampf für den Virtuellen Ortsverein der SPD, sondern auch
als Wahlkampfmanager seiner Partei in Westfalen Lippe.
Für die SPD-Bundestagsabgeordneten
Rainer Brinkmann und Karl-Herrmann Haak spielte er das "Mädchen für Alles" (Brand),
organisierte Auftritte im Wahlkreis, trommelte die Presse zusammen, schrieb Reden
und brachte die Genossen auf Linie, wenn Streit drohte. "Das kann dann schon ziemlich
ernüchternd sein, wenn man in den Ortsvereinen vor Ort erlebt, wie Politik letztlich
im Hinterzimmer ausgekungelt wird", seufzt er. Sein Jura-Studium an der Universität
Bielefeld lag in dieser Zeit zwangsläufig brach: "Ich hatte dicke Ringe unter den
Augen und schlief nur noch mit meinem Fotoapparat", aber andererseits schon im Mai
war ihm klar "im Herbst ist die SPD wieder am Ruder".
Doch die Bonner Wende hat ihn nicht in Ihren Sog gezogen: "Es gab zwar mehrere konkrete
Jobangebote aus der Partei, aber ich will mir erst einmal ein berufliches Standbein
aufbauen", erklärt Brand. Jetzt büffelt er wieder für das 1. Staatsexamen und will
ein erfolgreicher Multimedia-Anwalt werden "so wie der Tobias Strömer
in Düsseldorf".
Gleichzeitig baut er mit einem Freund ein Multimedia-Unternehmem auf. Zwar noch ohne
Eintrag ins Handelsregister, aber nicht mehr namenlos (Double II) und mit ersten
Kundenaufträgen gesegnet wird seine Detmolder Start-up-Company ein "Mittelding
zwischen Werbeagentur und Unternehmensberatung" sein, die Firmen bei der betrieblichen
Neuorganisation durch den Einsatz neuer Medien hilft. Trotz dieser Mehrfachbelastung
will Brand an seinen politischen Ambitionen festhalten – zunächst aber im Kleinformat.
Im kommenden Jahr will er sich um einen Sitz im Stadtrat seiner Heimatstadt Detmold bewerben.
Arne Brand als Multimedia-Anwalt, als Unternehmer oder Politiker- viele Szenarien sind
denkbar, die mentale Klammer von allem: "Selber etwas auf die Beine stellen". So ist
seine größte Sorge auch, "vor die Wahl gestellt zu werden, mich für eine Sache allein
entscheiden zu müssen", so Brand.

Mit dieser Haltung ist Arne Brand ein exemplarischer Stellvertreter der next generation
in der bundesdeutschen Politik: Junge, engagierte Menschen, die anders als ihre politischen
Ziehväter nicht zu fulltime Parteisoldaten mutieren wollen und die davon überzeugt sind,
daß es ein Leben nicht nur vor und nach der Politik, sondern auch daneben gibt. Ihre
Lebensplanung ist mehrgleisig angelegt. Vielfältige Qualifikationen und frühzeitige
Existenzgründungen sichern dabei die Unwägbarkeiten der politischen Lebensplanung ab.
"Letztlich ist doch eine sichere Existenz außerhalb der Partei der zentrale Garant
für berufliche Unabhängigkeit, urteilt Katherina Reiche.
Die 25jährige CDU-Abgeordnete
aus dem brandenburgischen Luckenwalde ist ein weiteres Beispiel aus der Bonner Nachwuchsriege.
In nur neun Semestern hat sie ihr Chemiestudium an der Universität Potsdam absolviert,
war für Forschungsstudien in den USA und Finnland und schaffte es gleichzeitig als
Bundestagskandidatin auf den dritten Listenplatz ihres Landesverbandes. Auch als Neuparlamentarierin
will die Leistungsträgerin nicht auf eine berufliche Fortentwicklung verzichten, und
promoviert parallel in analytischer Biochemie und ist zugleich als Geschäftsführerin
eines Familienunternehmens aktiv. Ebenso die frischgewählte Vorsitzende der Jungen Union,
Hildegard Müller, die auch neben ihrem Amt an einer Banklaufbahn festhalten will.
Auch der 21jährige Parlamentsbenjamin Carsten Schneider (SPD), der vor seiner Bundestagszeit
eine Banklehre absolviert hat und heute Mitglied des Bonner Haushaltsausschusses ist, will
in Bonn nicht "als Vorzeigejugendlicher sein Fraktion herumgereicht werden".

Gefragt, ob ihn es ihn angesichts soviel junger Parlamentsgesichter nicht auch in den Bundestag
zieht, schüttelt Brand entschieden den Kopf. "Der Carsten Schneider ist doch arm dran,
der steht unter einem tierischen Druck und muß jetzt im Hauruckverfahren die Spielregeln lernen,
und wenn er dann im richtigen Alter ist, ist er schon ein alter Hase." Wenn ins Parlament dann
gleich nach Brüssel, "dort werden doch in Zukunft die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen."

Eigentlich war der politische Weg für den Detmolder vorgezeichnet: Seine Großvater hatte die SPD
in Süd-Lippe gegründet und auch sein Vater war ein überzeugter Parteigänger. Doch erst durch das
Internet kam der 23jährige Detmolder letztlich zur sozialdemokratischen Partei: "1995 habe ich
begeistert das Abgeordnetenprojekt an der FU Berlin verfolgt", erzählt er. "Im IRC-Channel habe
ich dann mit einem der ersten Mitglieder vom VOV geplaudert, zwei Stunden später war ich dann Mitglied."
In die SPD selber ist er Anfang 1996 eingetreten. Schnell wurde er bei den "Virtuellen" einer der
Haupaktiven und ist seit zwei Jahren Sprecher des VOV. Am virtuellen-Parteinetzwerk schätzt er
das versammelte, geballte Expertenwissen, und den offenen Dialog . "Da sind viele dabei, die
politisch sehr interessiert sind, jedoch durch die Art von Politik in den Parteigliederungen
abgeschreckt sind", so Brand.
Dennoch kann auch er sich den Regeln des Systems nicht verschließen. "Um Gestaltungsspielräume
zu haben, muß ich zwangsläufig auch in Seilschaften drinhängen", räumt er kritisch ein.

Fernab der visionenbehafteter Cyberpolitik ist die Parteiarbeit in real-life für Brand immer
wieder ein frustrierendes und deshalb auch notwendiges Erlebnis. "Auf der Straße immer wieder
zu hören ‘Die in Bonn wirtschaften doch nur für die eigene Tasche’, ist schon deprimierend",
bekennt er. Mit dem Internet verbindet er deshalb die Hoffnung auf mehr Transparenz. Einen
ersten Schritt der innerparteilichen Öffnung sieht er deshalb mit der Vernetzung via Intranet,
auch wenn der letzte Netzknotenpunkt die Hauptamtlichen sind und das einfache Mitglied immer
noch vom internen Parteiinformationsfluß ausgeschlossen bleibt. An der die revolutionären Kraft
des Mediums, die langfristig zur Erosion und Reform der traditionellen Parteistrukturen führen
wird, besteht für ihn kein Zweifel. Brand: "Da werden künftig viele Verwalter von Herrschaftswissen
überflüssig", lautet seine Prophezeiung.

Doch bis dahin ist es noch ein ganzes Stück digitaler Wehstrecke. Nach dem öffentlichkeitswirksamen
Einsatz der Neuen Medien im SPD-Wahlkampf ist Brand heute enttäuscht, daß die Möglichkeit
Neuer Medien für Politik, Wirtschaft und Bildung keine Rolle zu spielen scheinen. "Es war schon schade,
daß im rot-grünen Koalitionsvertrag die Begriffe Internet und Multimedia kein einziges Mal auftauchten.
Besonders bedauert der VOV-Sprecher, daß neben der wirtschaftspolitischen Diskussion über
Neue Märkte und Jobbboom und technische Fragen die gesellschaftspolitische Diskussion über
die Auswirkungen der Neuen Medien in Deutschland bislang nicht stattfinde.

Den Schritt zum fulltime Politiker möchte er möglichst vermeiden. Der Grund: "Wenn man das Hobby
Politik zum Beruf macht, schmort man im eigenen Saft." Ein Leben ohne die Politik kann er sich
aber auch nicht vorstellen. Was ihn reizt? "Etwas gestalten zu können". Das klingt nach wie die
routinierte Umschreibung von politischem Machthunger, doch Brand scheint es Ernst zu meinen.
Soziale Sicherungssysteme sind dabei fest einkalkuliert. "Dafür habe ich doch so viele Freunde
außerhalb des politischen Umfelds, damit die mich rechtzeitig warnen, wenn ich abhebe", erklärt er.
Darüber seine Freundin nicht der SPD beitreten wollte, ist er letztlich dankbar: "Dann würden wir
doch Tag und Nacht politisieren." Im Rampenlicht zu stehen hat für ihn keinen Selbstzweck, sondern
geschieht um der Sache Willen. Daß er diese schönen Worte auch im Ernstfall beherzigt zeigt eine
schöne Begebenheit aus dem Wahlkampf: Auf dem Leipziger Parteitag hatte sich Kanzlerkandidat
Schröder am Stand des VOV angesagt, ein kleines Interview zum Thema Neue Medien sollte für die
Journalisten inszeniert werden. Von der Online-Verantwortlichen der Partei gefragt, wer den Part
des Moderators übernehme gab Brand das Mikro an einen Kollegen. "Das gibt mir nichts. Ich gehöre
auch nicht zu denen, die beim Gruppenfoto mit Schröder plötzlich neben dem Kanzler stehen",
bekennt er und schüttelt energisch den Kopf.