BlogTalk, die erste europäische Weblog-Konferenz , fragte nach Formen und Perspektiven von Online-Tagebüchern in Politik und Privatleben.

Dave Wineberger, erster Redner der
Konferenz, bringt es auf den Punkt: “Ein Weblog ohne Links ist kein Weblog”. Damit grenzt
Wineberger die täglich aktualisierten Weblogs von Online-Tagebüchern à la “so-war-mein-Urlaub-und-hier-ist meine-Katze” ab. Blogs leben von den virtuellen Streifzügen ihrer Verfasser im Netz; sie sind in sich und untereinander verlinkt.

Die ersten Weblogs entstanden Mitte der Neunziger Jahre in den USA; nach dem 11.9.2001 widmeten sich zahlreiche Warlogs (Kriegstagebücher) der Aufarbeitung des Anschlags und den Anti-Terror-Maßnahmen. Der Weblog-Boom wurde durch eine vergleichsweise einfache Technologie befördert: Mit Software von Anbietern wie
Weblogger,
Radio Userland oder
Movable Type sind die Einträge in den virtuellen Notiz-Blocks auch ohne HTML-Kenntnisse schnell verfasst. Zudem kostet der Spaß wenig oder gar nichts. In Deutschland wurden Weblogs Anfang des Jahres auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: Im Februar kaufte Google den populären Anbieter von Weblog-Software, Pyra Labs. Das Interesse des Suchmaschinen-Tycoon an den Webloggern liess alle diejenigen aufmerken, die Weblogs bisher für ichbezogene Nebensächlichkeiten gehalten hatten, und das Ereignis wurde nicht nur in der
Szene ausführlich erörtert.

“Kriegstagebücher”

Nach dem Angriff auf den Irak waren von Journalisten verfasste
Kriegstagebücher.

Thema; viele Weblogs diskutierten über Legitimität und Folgen des Krieges. Wie kein anderes Online-Format bieten sich Weblogs für eine lebendige, spontane Diskussion an.

Schon Monate vor Beginn des Krieges hatte ein junger Iraker unter dem Namen Salam Pax auf seiner Seite ”
Where is Raed?” den Alltag in Bagdad beschrieben und damit so viele Leser in seinen Bann gezogen, dass zeitweilig der Server zusammenbrach. In vielen Foren wurde über die Identität des Irakers spekuliert. Während des Kriegs nicht “auf Sendung”, berichtet Salam Pax nun wieder regelmäßig über die Post-Saddam-Ära, inzwischen auch in einer Kolummne der britischen
Zeitung Guardian . Einer
Studie zufolge machten Weblogs während des Kriegs vier Prozent der Webseiten aus, auf denen US-Amerikaner nach Information und Kommentar suchten.

Im deutschsprachigen Raum denken viele bei dem Begriff “blogging” eher an einen neuen Trendsport. Thomas Burg, Leiter des Zentrums für Neue Medien an der Donau-Universität Krems und Organisator der ”
BlogTalk“: “Wir befinden uns in einer Eisbergsituation. Ein Spitze schaut heraus – die Warblogs -, der massive Teil ist noch unsichtbar” . Mit 150 Besuchern und 20 Rednern machte sich die Konferenz in Wien daran, die Basis zu erforschen.

Sag mir wo du herkommst, und ich sage dir ob du bloggst…

“United Nations of Blogs”, überschrieb Hossein
Derakshan treffend seinen Eintrag über die Konferenz. Der seit zwei Jahren in Kanada lebende Iraner meinte damit weniger den Tagungsort – die UNO-City am Ufer der Donau – als die internationale Besetzung des Podiums, die überraschende Einblicke in die Blogosphäre garantierte. Denn so sehr sich Blogs ähneln, so unterschiedlich sind die jeweiligen kulturellen Ausprägungen.

In Spanien etwa wird wenig gebloggt –
Fernando Tricas berichtet von ca. 2000 Webloggern – und wenn, dann vor allem mittwochs. In Polen sind Weblogs Teil des Jugendkults: 100.000 Weblogger, darunter sehr viele junge Frauen, wollen sich regelmässig mitteilen. Anders als der typische Weblog beinhalten die polnischen Varianten wenig oder keine Links.
Maria Milonas charakterisierte die polnischen Weblogs als C-Logs im Sinne von Community, Communication und Conversation. Milonas führt das Interesse am Webloggen nicht zuletzt auf die langen polnischen Winter zurück. Blogging – ein Schlechtwettersport?

An der Witterung allein kann es nicht liegen – eher am politischen Klima. In Iran gibt es laut Derakshan 12.000 aktive Blogger, angesichts einer halben Million Internet-Nutzer eine beeindruckende Zahl. Derakshan sieht darin eine Reaktion auf die eintönige Medienlandschaft: Das gegenwärtige Regime verbot in den letzten fünf Jahren 90 Zeitungen. Die Blogs dienen nun als alternative Nachrichtenkanäle; darüberhinaus ermöglichen sie im Exil lebenden Iranern einen engen Kontakt mit Freunden in der Heimat. Ebenso wie in Polen erfüllten sie eine wichtige soziale Funktion. Zwar seien nur sieben Prozent der Inhalte politischer Natur, allerdings tauchen aus politischen Gründen viele Weblogs nicht in der Statistik auf.

In Nordamerika hat sich eine community von ambitionierten Bloggern zusammengefunden, die oft schneller auf News oder Trends reagiert als die traditionellen Medien.

Dan
Gillmor, Technik- und Business Kolumnist der San Jose Mercury News und renommierter Weblogger, erinnerte an die Affäre um den ehemaligen Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Trent Lott. Lotts rassistische Auslassungen waren dem Fernsehen nur einen kurzen Bericht wert gewesen, viele Weblogger aber blieben so lange am Ball, bis die Medien den Fall wieder aufgriffen. Lott musste schliesslich seinen Sitz aufgeben – für Gillmor ein Indiz, dass Berufsjournalisten an den Weblogs als Nachrichtenquellen und Trendscouts nicht vorbeikommen: “My readers know more than I know”. Auf diesem Prinzip basiere auch die sehr erfolgreiche südkoreanische Online-Zeitung Ohmynews, die einen Grossteil des Inhalts von
Bürger-Journalisten bezieht.



Quo vadis, Weblog?


Neben kritischer Zuarbeit für die Medien sind vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Weblogs denkbar: Politiker etwa könnten Weblogs als PR-Mittel einsetzen. Durchaus möglich, dass es für die Kandidaten des nächsten Bundestagswahlkampf zum guten Ton gehören wird, ein Weblog zu führen. Oder das Seminare standardmässig von Weblogs begleitet werden.

Insgesamt war die Konferenz von einer Aufbruchsstimmung geprägt, die an die Anfangszeit des Internets erinnerte. Dass es auch riskant werden könnte, wenn Millionen von Menschen öffentlich ihre Meinungen und Vorlieben verbreiten, klang nur kurz an:
Hossein Derakshan erinnerte an seinen Freund Sina Motallebi, der im April dieses Jahres im Iran verhaftet wurde . Und Dann Gillmor riet allen Teilnehmern, von der Möglichkeit zu bloggen Gebrauch zu machen – irgendwann bräuchte man vielleicht eine Erlaubnis dazu.

Noch, so war man sich einig, ist Blogging keine Massenerscheinung, sondern eine Domäne der “early adopters”. Kein Wunder – bisher verfügt in vielen Ländern nur die Bildungselite über PC und Internetanschluss – da bringen auch noch so nutzerfreundliche Publishing-Systeme nichts. Dennoch hätten sicher viele der Anwesenden eine ähnliche Prognose abgegeben wie der Weblog-Pionier Dave Winer. Der
wettete nämlich im März letzten Jahres mit Martin Nisenholtz, Chef der “New York Times” online, wer wohl 2007 bei google höher im Ranking liegen wird: Weblogs oder die Seiten der NYT? Sollte sich Webloggen tatsächlich von einer Nischenbewegung zum Breitensport entwickeln, hat Winer gute Chancen, die Wette zu gewinnen.

Erschienen am 12.06.2003