Der Irakkrieg ist offiziell längst für beendet erklärt und dennoch dominieren Tag für Tag Schlagzeilen über Attentate und Auseinandersetzungen in Bagdad und Umgebung die Nachrichten. Stoff genug also, um die Seiten der vielen kriegsbezogenen Weblogs zu füllen, die vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entstanden sind. Warblogs – ein Kunstwort zusammengesetzt aus „War“ (Krieg) und „(B)log“ (Logbuch, Tagebuch) – haben aufgrund des anhaltenden Konfliktes im Irak und des drohenden Streits mit Iran nach wie vor uneingeschränkte Aktualität.

Eine Erfolgsgeschichte wie diese gibt es nicht oft: Ein junger Iraker kehrt nach dem Abschluss seines Auslandsstudium in die Heimat zurück. Das Land steht vor einem Krieg, doch anstatt zu flüchten, verbringt der Mann mehrere Stunden täglich an seinem PC in der Bagdader Wohnung seiner Eltern oder in diversen Internetcafés der Stadt. Wie in einem Tagebuch notiert er regelmäßig seine Eindrücke, Gefühle und Erlebnisse öffentlich im Internet und schon bald klicken Tausende User tagtäglich auf die Seiten des unbekannten Bagdader Bürgers. Schnell wird sein Kriegstagebuch – ein sogenanntes Warblog – in den unterschiedlichsten Medien thematisiert und es häufen sich die Interview-Anfragen großer Sender. Salam Pax, so das Pseudonyms des Irakis, wird daraufhin als Kolumnist beim Guardian angestellt und bringt einige Monate später sein Warblog in
Buchform auf den Markt. Ein
Film über sein Leben folgte kurz darauf – der Warblogger aus Baghdad ist berühmt geworden, weil er als einer der ersten etwas bis dato vollkommen Neues ausprobiert hat: das Bloggen zum Krieg. Die uralte Maxime ‘cogito, ergo sum’ – ‘ich denke, also bin ich’ – scheint in Zeiten von World Wide Web, Email und weltweiter Vernetzung nicht mehr zu gelten. ‘Ich blogge, also bin ich’, lautet der Trend im Internet.

Besonderes Merkmal: der persönliche Stil

Natürlich ist eine Karriere wie die von Salam Pax auch in der Warblogger-Szene eher die Ausnahme, dennoch haben sich die Kriegstagebücher gerade während des Dritten Golfkriegs zu einem wichtigen Internet-Angebot entwickelt. Für Lasica repräsentieren sie gar den „
Ground Zero of the personal webcasting revolution” und auch Stefan Krempl urteilt nicht zurückhaltend, wenn er etwa Salam Pax zur „einzigen authentischen irakischen Stimme aus dem bombardierten Bagdad“ erklärt.

Ähnlich positiv berichten auch die Massenmedien über den neuen Angebotstyp, den sie schnell zu DEM Phänomen des Irakkriegs küren. Dennoch liest während des Bombardements nur ein sehr überschaubarer Kreis an Usern regelmäßig Warblogs (
PEW). Erst nach und nach werden die Nutzer auf den neuen Angebotstypen aufmerksam und auch die klassischen Medien beginnen, sich mit Warblogs zu befassen. Einige Medienunternehmen adaptieren sogar den Stil der Kriegstagebücher und lassen ihre Reporter selbst als Warblogger zu Wort kommen (
BBC Reporter’s Log).

Bei einem Großteil der Nutzer hinterlassen der persönliche Stil und der saloppe Ton der Warblogger eine anhaltende Begeisterung. Eine Alternative zur regierungstreuen Kriegsberichterstattung vieler Massenmedien scheint gefunden. Doch können die Warblogger wirklich durch ihre Augenzeugenberichte ein ‚wahrhaftiges’ Bild vom Krieg liefern? Oder betätigen sie sich nicht eher als Propagandisten ihrer eigenen Ideologien? Welchen Mehrwert bieten die Kriegstagebücher im Internet?

Antworten auf diese Fragen kann eine Kurzstudie geben, in der die Berichterstattung über den neuen Angebotstypen in den Jahren 2003 und 2004 untersucht wurde.

Die Ergebnisse zeigen, dass es trotz des relativ hohen Bekanntheitsgrads der Warblogs immer noch keine einheitliche Definition gibt. Einigkeit scheint einzig darüber zu herrschen, dass Warblogs sich durch die gleichen Merkmale auszeichnen wie Weblogs, aus denen sie hervorgegangen sind: Die Beiträge werden in umgekehrt chronologischer Reihenfolge tagebuchartig präsentiert; sie sind darüber hinaus datiert und befassen sich thematisch mit dem Irakkrieg, seinen Folgen oder Ursachen.

Für den Nutzer: alternative Stimmen jenseits des Mainstreams

Jenseits dieser Gemeinsamkeiten jedoch gehen die Meinungen auseinander: einige Experten halten es etwa für wichtig, dass Warblogs von Autoren verfasst werden, die sich selbst in einem Kriegsgebiet befinden. Andere erweitern den inhaltlichen Fokus und schließen die Themen Terror, Folter und politische Konflikte aller Art mit ein.

Für den Warblog-Leser sind jedoch nicht die vielfältigen Definitionsmöglichkeiten entscheidend, sondern es ist vor allem die persönliche Sichtweise, die die Nutzer immer wieder vor die Monitore lockt. Jenseits der journalistischen Professionalität präsentieren die Warblogger ganz bewusst ihre eigenen Eindrücke und eröffnen dem Leser dadurch eine neue Sichtweise auf das Kriegsgeschehen. Ihre Unabhängigkeit macht die Kriegstagebücher deswegen zu einer echten Alternative zu den regierungstreuen Medien.

Die Unzufriedenheit mit den klassischen Medien ist eines der Hauptmotive für die Warblog-Nutzung. Auf den Webseiten findet sich ein kritischer Blick auf die Medienlandschaft, der woanders kaum angeboten wird. Salam Pax beispielsweise nimmt gerne amerikanische oder arabische Sender aufs Korn:

„’Umm Kasr ist unter Kontrolle’. ’Umm Kasr ist gefährdet’. ’Basra ist kein Angriffsziel’. ’Basra wird bombadiert’. ’Nassirija wird schwer umkämpft’. Könnten die Nachrichtenfuzzis sich vielleicht auf irgendwas einigen? Die neueste Fortsetzung der Kriegsberichterstattungsabsurditäten ist der ‘Aufstand in Basra’.“ (26.03.2003)

Ihrer Watchdog-Funktion kommen die Warblogs während des Konflikts immer wieder nach. Sie korrigieren die Berichterstattung der US-Medien, indem sie beispielsweise eigene Augenzeugenberichte veröffentlichen. Die Berichte ‚aus erster Hand’ vermitteln dem Leser Glaubwürdigkeit und viele Zusatzinformationen. Das Konzept der Augenzeugenberichte wird zunehmend auch von traditionellen Medien adaptiert. So suchte die BBC Anfang 2004 in einem Online-Artikel nach Augenzeugen für ein Bombenattentat in Syriens Hauptstadt Damaskus. Da offizielle Informationen kaum zu bekommen waren, rief die
BBC mögliche Augenzeugen dazu auf, ihre Berichte zu senden und veröffentlichte die Statements auf der Nachrichtenseite.

Reizvoll für die Leser ist dabei das Gefühl, zumindest indirekt ins Geschehen involviert zu sein.

Propaganda, Pseudonyme und andere Probleme

Angesichts der vielen Leistungen in eine Warblog-Euphorie zu verfallen, wäre jedoch überstürzt. Problematisch am neuen Angebotstypen ist, dass sie häufig keiner redaktionellen Kontrolle unterliegen. Was veröffentlicht wird, gilt als unfertig und wird häufig erst im Nachhinein durch Beiträge von Lesern oder Meldungen in klassischen Medien bestätigt – wenn überhaupt. Die fehlende Überprüfung der Inhalte ist ein wesentlicher Kritikpunkt an Warblogs, weil dies zu Missbrauch verleiten kann. Beiträge mit subtiler Propaganda wird der ungeübte Leser schwerlich von ernst gemeinten Kommentaren unterscheiden können.

Hinzu kommt, dass Warblogger sich selten an journalistische Regeln halten. Quellen werden oft nur sporadisch genannt, was eine Prüfung der Inhalte zusätzlich erschwert. Auch der Autor selbst ist in einigen Fällen ein ‘Buch mit sieben Siegeln’. Warblogger vor Ort schreiben häufig unter einem Pseudonym, um politischer Verfolgung zu entgehen. Zweifel an der Identität eines Autors können aber zugleich alle seine Inhalte in Frage stellen. Salam Pax, selbst hinter einem Pseudonym verborgen, hält dieses Problem für nichtig:

„Bitte, hört auf, mir E-Mails zu schicken, in denen ihr mich fragt, ob es mich wirklich gibt. Ihr glaubt’s nicht? Dann lest einfach nicht weiter.“

So muss der Leser letztlich selbst entscheiden, welche Warblogs er für vertrauenswürdig hält. Insgesamt sollten die Inhalte der Kriegstagebücher nicht unhinterfragt ‘für bare Münze genommen’, sondern mit einem gesunden Maß an Skepsis rezipiert werden – wie jedes andere Medium auch.