Gestern Abend traf Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut 100 ausgewählte Bürger, diesmal in Heidelberg. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage „Wie wollen wir lernen?“. Themenschwerpunkte waren Bildung, der Einfluss der Medien und des Internet sowie der Gemeinsinn der deutschen Bevölkerung. politik-digital.de hat zugeschaut.

Abermals konnten die Bürger bereits im Vorfeld ihre Fragen und Vorschläge zu den genannten Themenschwerpunkten auf der Internetseite des Bürgerdialogs einreichen. Am meisten interessierten sich die Deutschen für ein neues Verständnis von Schule, für Hochbegabtenförderung und das Verlangen nach mehr Empathie im Alltag. Der insgesamt 90-minütige Live-Stream als weiterer Bestandteil von Angela Merkels „Dialog über Deutschland“ war in die drei vorgegebenen Themen untergliedert, die  jeweils von einem Einspielerfilm eingeleitet wurden.

 

Eingeladen waren gestern Abend Heidelberger Bürgerinnen und Bürger, die zur einen Hälfte aus regionalen Verbänden, Vereinen und Organisationen der Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kultur und zur anderen Hälfte aus einem offenen Bewerbungs- und Losverfahren der regionalen Rhein-Neckar-Zeitung stammten. Ihre Fragen und Probleme wurden durch Witzeleien auf beiden Seiten aufgelockert, die etwas aufgesetzt wirkend heitere Stimmung ließ anfangs die Ernsthaftigkeit der Veranstaltung anzweifeln. Schnell machte Merkel dann aber klar, dass es ihr vor allem darum ging, möglichst viele Vorschläge der Gäste zu sammeln, die zu einem späteren Zeitpunkt von Experten ausgewertet und beantwortet werden sollen. Das führte dazu, dass die Gäste nur sehr knappe Antworten von der Kanzlerin erhielten, teilweise auch gar keine, da sie in Gruppen zusammengefasst wurden. Dadurch glich das Beantworten der Fragen zeitweise einer Fließbandarbeit, doch im Vergleich zum letzten Live-Dialog in Erfurt machte Angela Merkel einige Zugeständnisse und zeigte bereits vorhandene Bestrebungen und Maßnahmen der Bundesregierung auf.

 

Die Rolle des Bayern 1-Radiomoderators Tilman Schöberl wurde bisweilen überflüssig, denn die Kanzlerin ließ es sich nicht nehmen, die fragenden Bürger selbst auszuwählen. Streckenweise unterbrach Merkel den Moderator auch oder bremste ihn, was dieser mit einem Schmunzeln hinnahm.

 

„Das Lernen voneinander wird bedeutsamer“

 

Im ersten Teil der Diskussion sprachen Familienväter, Handwerker, Studenten, Schüler und Lehrerinnen die Probleme ungleicher Chancen in der Bildung, aber auch das Fehlen qualifizierter Bewerber, eine mangelhafte Integration von Migranten und die alt bekannte Forderung an, dass Bildung endlich „Chefsache“ werden solle. Angela Merkel nahm sich jeweils eine bis zwei Minuten Zeit für ihre Antworten, um schlussendlich mit den immer wiederkehrenden Versprechen „Das nehmen wir auf“ und „Ja, das ist wichtig“ abzuschließen. Bei redundanten Wortmeldungen gelang es der Kanzlerin meist, schnell zu unterbrechen oder gezielt nachzuhaken und somit das Diskussionsniveau auf einem gewissen Level zu halten.

 

„Wie bereiten wir uns auf die digitale Zukunft vor?“

 

Der zweite Teil thematisierte die Rolle des Internet für die Bildung. Dabei wurden einige Fragen der ersten Phase mitgeschleppt, was dazu führte, dass das Thema Internet etwas vernachlässigt wurde. Konkret schlugen die Anwesenden vor, das Internet für jedes Alter zugänglich zu machen, Bürgerhäuser mit freiem Internetzugang zu errichten, generell öffentliche Gebäude und Behörden besser zu vernetzen und die Neuen Medien strukturierter in die Erziehung einzubinden. Dabei äußerten einige Gäste aber auch Bedenken und Kritik. Ein Lehrer erklärte, dass die Internetangebote für die Kinder zwar toll seien, sie aber von den Eltern kontrolliert werden müssten.  Vereinzelt wurde der absurde Wunsch geäußert, Kinder per staatlicher Regulierung vom Computer wegzuholen. Gefordert wurde auch ein sparsamerer Umgang mit der Technologie und stattdessen eine bessere Ausbildung der Lehrkräfte im Umgang mit dieser. Insbesondere den unteren Bildungsschichten solle ein problemloser Zugang zum Internet ermöglicht werden. Mit Reaktionen wie: „ Ja, das ist ‘ne gute Sache. Daran arbeiten wir bereits“ erreichte Merkel es durchaus, einige der Fragenden zufriedenzustellen.

 

„Die Menschlichkeit geht verloren“

 

Um den etwas schwammigen Begriff Gemeinsinn ging es im letzten Teil: das Bedürfnis nach einer „Wir-Gesellschaft“, die Forderung nach mehr ehrenamtlicher Arbeit und die grundlegende Verbesserung der sozialen Gemeinschaft waren die angesprochenen Probleme. Nach bereits einer Stunde Diskussion schien allerdings allen Beteiligten langsam die Luft auszugehen. Die Wortmeldungen wurden weniger und die Unterbrechungen durch Angela Merkel nahmen deutlich zu. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die Fragen zunehmend unkonkret formuliert, dies merkte man auch an den Reaktionen der Kanzlerin, die zwar insgesamt ihre Anerkennung für das Engagement aussprach, aber  ihre Antworten immer knapper und zugespitzer formulierte.

 

Und was hat die Kanzlerin die Bürger gefragt? Zwar hat sie bei dem einen oder anderen noch einmal nachgebohrt, aber eine echte Diskussion kam, wie schon beim letzten Mal, nicht zustande. Das scheint aber Teil des Programms zu sein.  Das Bestreben, eine größtmögliche Zahl an Fragen aufzunehmen, und der Zeitdruck führten zu wenig mehr als der letztlich wenig befriedigenden ständig wiederkehrenden Erwiderung „Das nehmen wir auf“.