Der "First Tuesday" der New Economy bekommt Konkurrenz. Seit letztem
Monat trifft man sich im Berliner _lab zum "Last Tuesday". Sebastian
Luetgert, einer der "Last Tuesday"-Gruender, sprach mit politik-digital
über Sinn und Zweck der Veranstaltung und die Zukunft des Internet.
Ein Gespräch mit Sebastian Lütgert, Mitbegründer des "Last Tuesday"

Eine leere Fabrikhalle, ein paar PCs, ein Kaffeautomat: Das ist das _lab in Berlin. "Keine
Scholz&Friends -Etage" wie es Sebastian Lütgert, Berliner Kulturwissenschaftler, formuliert.
Trotzdem – oder gerade deshalb? – arbeiten hier einige der hellsten Köpfe, die die Internetszene
in Deutschland hervorgebracht hat.

Vor kurzem hat man den "Last Tuesday" ins Leben gerufen. Anders als beim ungleichen
Zwillingsbruder, dem"First Tuesday", wo sich die new economy regelmäßig zum Monatsanfang selber
auf die Schulter klopft, geht es hier nicht um’s Geld verdienen. Außer beim Getränkeverkauf.
Ansonsten kann man laut Einladung"mp3-cds mitbringen und tauschen", "neue viren aus asien testen"
oder einfach nur "den duemmsten dotcom brand waehlen".

Was die Macher des "Last Tuesday" ein wenig verblüfft hat, ist die starke Presse-Resonanz auf
die Veranstaltung. Es scheint, als sei die Medienwelt die immer neuen Jubelmeldungen aus der
Start-up-Branche müde. Der SPIEGEL zum Beispiel richtete bereits hämisch einen
"Friedhof der dotcoms" ein. Folglich stürtzt man sich jetzt auf
jene, die scheinbar das Gegenteil der aalglatten dotcom Karrieristen verkörpern. Aber war das
wirklich so gemeint? Sebastian Lütgert sieht die ganze Angelegenheit, wie überhaupt die Euphorie
um Internet und co, eher unaufgeregt.



politik-digital:
Wo ist die Idee zum "Last Tuesday" geboren worden?

Lütgert: Also, wenn ich mich nicht ganz täusche ist es mal geboren worden in irgendeinem
nächtlichen Gespräch in irgendeinem Hof. Da war einfach die Idee: was gibt es im Moment für
Optionen Veranstaltungen in Zeiten von "First Tuesdays" zu machen. Man hört ja auch schon, dass
diese ganze First Tuesday-Sache niemanden mehr so richtig begeistert und man konnte schon fast
so ein bisschen mitleidig beobachten, wie schlecht das in Deutschland geht, wirklich Erfolg zu
haben im Netz. Die Überlegung war: man müßte wirklich mal was Kaputtes machen. Es ist auch aus
so einem Gedanken heraus, dass es für die kritische Debatte über Netzthemen eigentlich gar
keinen Ort in Berlin gibt, wo man das offline machen kann. Man kann toll im Netz debattieren,
aber so einen offenen, etwas formalisierteren Ort, wo das nicht ständig über Präsentationen
läuft, gibt es noch nicht.


politik-digital:
Was steht denn eher im Vordergrund, sich mit anderen austauschen oder
soll "Last Tuesday" auch ein Zeichen setzen gegen den Kapitalismus im Netz?

Lütgert: Gegen den Kapitalismus im Netz Zeichen zu setzen ist, glaub ich, ein bisschen
schwierig. Und andererseits wäre bloß Zeichen zu setzen auch wieder nicht genug. Ich bin selbst
ziemlich mißtrauisch gegenüber allen, die versuchen sich zu schmücken mit Oppositions- oder
Widerstandsbegriffen, solche angeblichen Netz-Medien-Guerillas. Zumindest wäre es mir in
unserem Fall ziemlich suspekt, weil ich glaube, dass Opposition oder Guerilla oder gegen den
Kapitalismus zu sein etwas anderes bedeuten würde, als hier einmal im Monat den Leuten ein paar
Bier zu verkaufen. Aber ich denke schon, dass es natürlich um eine Beschreibung oder Kritik von
kapitalistischen Zuständen geht.


politik-digital:
Waren sie schon mal auf einer "First Tuesday" – Veranstaltung? Haben
sie da Kontakte?

Lütgert: Nein, da war ich noch nicht. Kontakt…ist ein bisschen viel gesagt. Aber diese
ganzen Felder sind ja unglaublich dicht benachbart. Von daher ist auch jetzt dieser "Last Tuesday"
keine Bastion gegen etwas anderes. Also das ist jetzt nicht so scharf gegen den "First Tuesday"
gerichtet. Vielleicht eher am "First Tuesday" vorbei.


politik-digital:
Steckt eine bestimmte politische Richtung hinter dem "Last Tuesday"?

Lütgert: Da verbindet sich schon eine politische Richtung mit, aber jetzt nicht so im
klassischen Sinne. Ich glaube, dass es so einen linken Affekt gibt gegen Risikokapital und gegen
Spekulation, der dann auch Internetökonomie als Spekulationsblase beschreibt und zu ehrlicheren
Formen von Arbeit zurück will. Der ist mir einerseits völlig fremd und den halte ich andererseits
auch nicht für links. Ich glaube eher, wenn das etwas politisches hat, dann auf einer formalen
Ebene. Dass man sich natürlich keine farbigen Sticker ans Revers heftet und über Geld, Ideen und
Kontakte redet, sondern sich hin setzt und guckt: was ist in der letzten Woche im Netz passiert,
was ist interessant? Wie schafft man es, keine Mysterien aufzubauen um dieses Ding "Internet"?
Wie zeigt man das Netz auf eine Art und Weise wie es ja auch eigentlich ist: schmutzig und kaputt
und oft funktioniert es nicht und ist langsam. Das finde ich dann eher politisch oder links.


politik-digital:
Der "First Tuesday" wird ja eher aus dem liberalen Spektrum heraus
unterstützt. Wenn jetzt hier einer reinkäme von den Grünen oder von der PDS, die sich ja auch
gerne mit solchen Projekten schmücken, und würde sagen: ‘Wir promoten das’, würdet ihr darauf
einsteigen?

Lütgert: Das würde keinen Sinn machen, weder für uns noch für die Partei. Es kann
natürlich jeder kommen, weil ihn das Thema interessiert, aber zur Parteipolitik, ich glaube
nicht, dass es da auch nur irgendeinen Link gibt. Ich halte jetzt auch die Grünen nicht für
weniger liberal als die FDP oder die SPD für weniger rechts was netzpolitische Vorstellungen
angeht als die CDU. Ohne gleich sagen zu wollen: das ist alles gleich. Es gibt schon noch
Unterschiede, aber der Last Tuesday ist viel zu brüchig und viel zu fragil und wir können ja
auch ganz schnell wieder verschwinden. das ist politisch einfach auf einer Ebene, die mit
Parteipolitik nichts zu tun hat.


politik-digital:
Was ist denn eure Vorstellung vom Internet, wenn man kein Geld damit
verdient?

Lütgert:Ich finde es gibt einfach unglaublich viele interessante Dinge, die man mit dem
Internet machen kann. Und nur bei ganz wenigen davon fällt Geld ab. Ich finde es frappierend,
und das ist in Deutschland vielleicht noch stärker als in den USA, was für ein konzeptuelles
Elend herrscht bei Buisiness-Ideen fürs Internet. Ich finde das nicht interessant. Ich glaube
unsere Vorstellung vom Netz wäre dann schon, die von Sachen, die ziemlich interessant sind, die
diesem Businessmodell entgegenlaufen. Wie das relativ freie Verteilen von allem, was digitale
Daten sind, das Herstellen von Software die wirklich interessant ist.


politik-digital:
Und was macht ihr mit dem Internet?

Lütgert: Ich mache zum Beispiel rolux.org. Das ist ein Art Archiv und eine Mailingliste,
wo man einen Einblick in ein paar Formen von Kritik, die das Internet möglich macht, bekommen
kann. Nicht primär um irgendetwas zu verkaufen. Das ist viel interessanter als irgendwelche
Websites, wo andere ökonomische Modelle herrschen, wo sich andere Formen von Intensität
herstellen, die mir echt abgehen. Es gibt viel zu wenig Glamour, es ist irrsinnig bieder,
irrsinnig dünn, irrsinnig esoterisch, so dass man mit Leuten nicht sprechen kann, ein
irrsinniges Brimborium um Business-Pläne. Nicht dass ich es nicht schick fände, wenn man mit
nichts Geld verdienen kann. Das ist natürlich toll, aber meistens ist das dann auch noch so
geerdet in eine blöde 50er- Jahre mäßige Ärmelhochkrempeln, Häuslebauen-Konzeption wie man so
Start-ups macht. Und grade so ist Internet nicht. Internet würden wir vielleicht als Medium von
Verschwendung benutzen.


politik-digital:
Finden der Start-up Boom und die Internet-Euphorie irgendwann mal ihr
Ende? Momentan herrscht ja die Stimmung vor, dass ein jeder überall vernetzt sein muss, wenn er
es zu was bringen will.

Lütgert: Ich kann mir das nicht vorstellen, dass das so hipp ist. Man scheint das
manchmal schon so zu imaginieren, wenn man Zeitungen liest, in denen Internet als hipp
dargestellt wird. Aber die Hauptattribute des Internet sind im Grunde doch: dreckig , langsam,
ungesund. Es gehen immer Daten verloren. Der "Last Tuesday" beruht letztendlich auf der Annahme,
dass immer Daten verloren gehen. Aus einem bestimmten Blickwinkel sind wir auch viel
optimistischer als der "First Tuesday". Der "First Tuesday" ist wenn ich mir das so überlege
wirklich eine pessimistische Veranstaltung, weil sie immer schon, zumal in Deutschland, davon
ausgeht, dass es bald vorbei ist. Diese Vorstellung von einer Blase, die bald platzt und dass
man jetzt noch grade alles mitnimmt. Das ist eine völlig pessimistische Veranstaltung, während
der "Last Tuesday" optimistischer ist. Weil man drauf vertraut, dass Daten verloren gehen, dass es
einen Netzstau gibt, dass es länger dauert, man vom Wege abkommt, wenn Links veralten, die
Verbindungen nicht mehr stimmen, die Browser nicht mehr erhältlich sein werden. Das ist schon
eher so ein Optimismus…oder vielmehr so eine Fassungslosigkeit oder so ein Erheiterung
gegenüber dieser Internet-Euphorie.


politik-digital:
Wo liegt denn jetzt der Unterschied zwischen First und Last Tuesday?
Gibt es den überhaupt?

Lütgert: Eigentlich steht unser Denken nicht in der Opposition zum "First Tuesday".
Wir machen bloß etwas völlig anderes. Was gibt es für einen größeren Gegensatz als einen Optimismus
gegenüber einem Pessimismus?


politik-digital:
Und warum ist euer Modell optimistisch und das andere pessimistisch?

Lütgert: Der First Tuesday geht aus von einer extremen Knappheit. Von einer Knappheit an
Geld, deswegen muss man sich anstrengen welches zu kriegen, von einer Knappheit an domains, an
Zeit, wenn du in zwei Jahren nicht verkauft hast bist du raus. Es ist alles knapp und in Eile,
während hier alles im Überfluss vorhanden ist. Es gibt einen Überfluss an Internet, obwohl wir
hier bis jetzt erst eine ISDN-Leitung liegen haben. Es gibt Überfluss an Zeit, eine Vergeudung
an Energie, dass ist viel optimistischer, finde ich. Insofern ist Überfluss natürlich immer
schon "links", irgendwie, Knappheit ist immer "rechts". Aber das lässt sich jetzt schwer
runterbrechen auf so ein Parteienspektrum.


politik-digital:
Aber das Konzept ist nicht unbedingt erfolgsorientiert, Erfolg im
materiellen Sinne.

Lütgert: Was heißt Erfolg? Diese Konzeption von Erfolg, wie sie bei Start-ups herrscht,
die teile ich nicht. Ich halte das nicht für gut da mit solchen grünen, gelben, blauen Teilen am
Revers in irgendeinem Hotel rumzulaufen, mit der Gewissheit, dass es neun von zehn Start-ups
binnen einem Jahr raus haut. Für mich sieht Erfolg anders aus als "lets-buy-it dot com". Anders
als an irgendwas drei Jahre zu sitzen und es dann doch nicht an die Börse zu schieben.


politik-digital:
Und wie sieht Erfolg aus?

Lütgert: Erfolg sieht so aus, dass du es schaffst, in einer Stadt beispielsweise wie
Berlin, verbindliche Zusammenhänge zu schaffen, von Leuten und Orten. Neue Vorstellungen zu
initiieren, wie Leute arbeiten können, publizieren können, ihre Kunst, ihre Texte oder ihre
Websites herstellen können und diese Menschen auszustatten mit einer Infrastruktur, die
benutzbar ist. Erfolg ist, wenn es klappt, über Jahre hinweg Sachen oder Räume zu machen, in
denen verbindliche Debatten stattfinden und man weiß, dass man nicht verarscht wird. Man weiß,
es spielt keiner ein blödes Spiel mit einem. Nicht, dass das beim First Tuesday so wäre, das
weiß ich nicht. Aber so was herzustellen über eine längere Zeit und davon dann auch Leben zu
können, das wäre schon Erfolg. "Last Tuesday" soll schon erfolgreich sein.


politik-digital:
Wie geht es weiter mit dem Internet? Müssen wir alle online gehen?

Lütgert: Diese Frage ob man das muss, dieser Druck, das ist vielleicht ein bisschen so
wie mit der Raumfahrt in den 60ern. Damals haben alle gesagt, Raumfahrt ist das große Ding und
wir werden auf den Mond fliegen und auf den Mars…


politik-digital:
Aber da hat man doch nicht gesagt, jedes Kind kriegt seine Mondsonde.

Lütgert: Doch. Ich hatte in den 70er Jahren so ein Kinderbuch, das hieß "Unsere Welt" und
da war beschrieben, dass es Raumstationen geben würde, da würden dann Millionen von Menschen
drin wohnen. Also ein bisschen ist das mit dem Netz ja dann auch so. Die Situation jetzt ist
besser, weil jeder so ein bisschen mitmachen kann. Ich glaube nicht, dass es das Internet in zehn
Jahren noch geben wird. Und ich glaube nicht, dass das Verschwinden auf die Weise geschehen wird,
wie das jetzt diese wireds und dotcoms hoffen, nämlich dass jeder sein kleines Netzgerät in der
Tasche haben wird und dass man das Netz gar nicht mehr wird sehen können, weil es überall ist.
Ich glaube das wird noch mal ganz anders verschwinden. Also, ich finde diesen Hype schon
ziemlich lächerlich. Das trägt es nicht. Es ist halt ein Hype und das sagt ja auch schon
irgendwie aus, dass es irgendwann wieder vorbei ist. Dass man hinterher so ein bisschen
ernüchtert vor dem ganzen steht. Und das macht Last Tuesday sicher nicht. Der "Last Tuesday" ist
von diesem Hype nicht abhängig. Er beobachtet ihn, er schrammt an ihm lang, er wärmt sich
vielleicht so ein bisschen daran oder er ist ganz angewidert, aber er ist nicht davon abhängig.


politik-digital:
Wie geht’s jetzt weiter mit dem "Last Tuesday"? Die erste
Veranstaltung war ja ein Erfolg.

Lütgert: Also ich fand das echt überraschend. Wir haben auch erst gemerkt, seit wir
diesen "Last Tuesday" machen, dass einem dann plötzlich Leute die Türen einrennen, so
Wirtschafts- und Internet-Wirtschaftsmagazine, die das echt klasse finden. Wo du erst mal merkst
auf was für einem dünnen Eis dieser "First Tuesday" operiert. Da machst du einmal was, also das
war wirklich nichts Großes, und solche Leute fahren dann so schnell darauf ab. Was eigentlich
schade ist, weil ein Last Tuesday braucht ja auch einen "First Tuesday" irgendwie, sonst macht
das keinen Sinn. Es sieht echt ein bisschen so aus, als hätte der "First Tuesday" drauf gewartet.
Na, dann muss man eben gucken, wie bei einer Ehe, wie man miteinander auskommt. Da kann man
dann ja vielleicht so eine Art Botschafter entsenden. Der "Last Tuesday"-Botschafter auf dem
"First Tuesday"…


politik-digital:
Herr Lütgert, wir danken ihnen für dieses Gespräch.


Der "Last Tuesday" (www.rolux.org/lasttuesday) findet jeden letzten Dienstag im Monat ab 20 Uhr
im _lab, Ziegelstraße 23, statt, wird unterstützt von mikro e.V. (www.mikro.org) und zur Zeit
organisiert von Sebastian Lütgert, Natascha Sadr Haghighian, Pit Schultz und Erik Stein.

Das Interview führte Alexandra Hissen.