Im ersten Teil ging es um die Bedeutung von Kreativität und Kommunikation für eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Bildung. Im Folgenden geht um die Kompetenzen des Kritisches Denkens und der Kollaboration.
Kritisches Denken: Gemeinsame Grundlage für Verstehen und Handeln
Um Fortschritt möglich zu machen, egal ob in der Bildung oder gesamtgesellschaftlich, ist kritisches Denken unabdingbar. Kritisches Denken heißt unterscheidendes Denken (aus dem griechischen “krinein” = unterscheiden). Es geht dabei also nicht einfach um “Kritik üben” oder die Entkoppelung von Theorie und Praxis, wie oft fälschlicherweise angenommen, sondern im Gegenteil darum, die Beschaffenheit der eigenen Umwelt, Informationen und Situationen zu erkennen, zu verarbeiten und zu verstehen. Was kritisches Denken ist und was nicht, beschreibt hervorragend Lisa Rosa in “Kritisch Denken Lernen für alle”. Und dieses Kritische Denken “muss – wie einst die primäre Literacy zur Überwindung des allgemeinen Analphabetismus – systematisch explizit und zugleich problemorientiert implizit in der Schule erworben werden. Mit dem Anspruch, dass Alle es lernen.” Alle bedeutet natürlich auch Lehrende, denn erstens wird es unmöglich sein, kritisches Denken zu vermitteln, wenn man es selbst nicht praktiziert. Zweitens ist kritisches Denken für Lehrende unabdingbar notwendig, um die eigene Rolle zu reflektieren und das Handeln dynamisch an die sich wandelnden Verhältnisse und Bedürfnisse der SchülerInnen anzupassen.
Die Forderung Lisa Rosas, diese Art des Denkens systematisch und fächerübergreifend in die Lehrpläne zu integrieren, ist daher ein absolut notwendiges, wenn auch langfristiges Ziel auf der Agenda für zeitgemäße Bildung. Wodurch kritisches Denken darüber hinaus konkret und von allen Beteiligten gleichermaßen geschult werden kann, ist die Praxis von Partizipation und demokratischem Handeln. Projekte wie aula und andere Ansätze, die Mitbestimmung direkt im Schulalltag integrieren, fördern automatisch auch kritisches Denken und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Kollaboration: Zusammenarbeit fördern
In der Stärkung der kollaborativen Fähigkeiten besteht ein großes und unter anderem mit digitalen Mitteln relativ einfach umzusetzendes Potential für zeitgemäße Bildung. Gemeinsames Arbeiten ist nützlich für den Austausch von Wissen, zum Knüpfen von Kontakten, zur Entlastung des einzelnen und zur Steigerung der Arbeitsqualität. Umso erstaunlicher ist es zu sehen, dass LehrerInnen aktuell weniger in Zusammenarbeit geschult, sondern eher zu EinzelkämpferInnen ausgebildet werden. Sowohl im Studium als auch im Referendariat wird gemeinsames Arbeiten bisher wenig gefördert. Am Ende der anspruchsvollen Ausbildung voller Kontrollen und Lehrproben steht das “selbstständige” Lehren, was letztendlich bedeutet: die meiste Zeit alleine unter SchülerInnen oder alleine am Schreibtisch zu sein. Neben einem Austausch fehlt so auch der Vergleich zu anderen KollegInnen.
Bei unseren Schulbesuchen merken wir daher auch, wie ungewohnt es für einige LehrerInnen ist, bei ihrer Arbeit beobachtet und möglicherweise auch verglichen zu werden. Wenn wir auf die obligatorischen Frage “Wie läuft das denn in den anderen Klassen und Schulen?” antworten, dass es überall ähnliche Herausforderungen gibt, folgt meist eine große Erleichterung.
Gemeinsames Arbeiten stärkt außerdem Beziehungen, und zwar nicht nur zwischen Lehrenden, sondern zwischen allen an Schulen beteiligten AkteurInnen. Umso erschreckender ist der teils unkollegiale Umgang von Lehrenden untereinander. Konflikte und Auseinandersetzungen sind in jedem Arbeits- und Lebenskontext normal und sogar notwendig. Dass allerdings viele, in unterschiedlichsten Gebieten besonders engagierte LehrerInnen die Erfahrung teilen, in anderen Bildungskontexten als VorreiterInnen wahrgenommen, im eigenen Kollegium aber ausgebremst und sogar angefeindet zu werden, kann kein Zufall sein. Durch solche Strukturen werden nicht nur Menschen persönlich geschwächt und Fortschritte erschwert, sondern auch schwierige Vorbilder geschaffen. Wie kann man konstruktiv über Themen wie Cyber-Mobbing oder den Mangel an sozialem Miteinander von SchülerInnen diskutieren, wenn man gleichzeitig andere herabwürdigt?
Konsequenterweise führt das auch dazu, dass engagierte LehrerInnen sich häufig andere “Felder”, neben der Schule, suchen, in denen ihre Visionen auf fruchtbaren Boden fallen. Das ist natürlich auch gut, um die notwendige Debatte außerhalb der Schulen voranzutreiben – aber wer führt dann die Entwicklung innerhalb der Lehrerkollegien an und weiter? So müssen also gemeinsame Wege beschritten werden, damit digitale und analoge Tools, Konzepte, Ideen und Lösungen im Bereich zeitgemäßer Bildung Eingang in einen breiten und vor allem konstruktiven Diskurs innerhalb von Schulen und darüber hinaus finden. Die bereits beschriebenen offenen Fortbildungen durch beispeilsweise Barcamps oder auch Weiterbildungen in Ressourcen- und lösungsorientierter Kommunikation können da erste Wegweiser sein.
Ausblick: Wann, wenn nicht jetzt?
Wir befinden uns in einer Zeit mit wachsenden “Herausforderungen”, die einen Wandel in vielen Lebensbereichen notwendig, aber vielleicht auch erst möglich machen. Bildung ist dabei ein, wenn nicht sogar das Fundament, an dem wir ansetzen müssen, wenn wir zeitgemäße gesellschaftliche Verhältnisse schaffen möchten. Drei Vorschläge für einen konstruktive Fortgang der Debatte um zeitgemäße Bildung:
1. Auf die Haltung kommt es an
Eine Debatte um zeitgemäße Bildung muss neben dem “Was” vor allem auch das “Wie” in den Fokus stellen. Dazu ist eine Neu-Verhandlung dessen, was Lehrende leisten müssen und was sie brauchen, unbedingt notwendig.
2. Gute, zeitgemäße Lehre ist keine Theorie
Neben einem Kern an engagierten Menschen gibt es bereits kreative Visionen und Konzepte für eine zeitgemäßere Bildung. Der nächste Schritt ist die Weiterentwicklung und Weiterverbreitung dieser Konzepte und der für die Umsetzung notwendigen Kompetenzen.
3. Politischer Wille und finanzielle Ressourcen sind unabdingbar
Um einen nachhaltigen Wandel im Geist der Schulen und der Haltung der Lehrenden zu bewirken, braucht es die notwendigen Strukturen. Das bedeutet mehr Zeit und Raum zum Lernen und Ausprobieren für alle Beteiligten. Für einige braucht es sogar noch mehr: Ein neues Verständnis für die Bedingungen von Digitalität und die Herausforderungen unserer Zeit. Dafür sind gleichermaßen entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote für LehrerInnen sowie digitale Infrastrukturen für Schulen zu schaffen.
Titelbild: Jankos via Pixabay CC0 Public Domain