Der große Wurf blieb aus. Auch die jüngste Konferenz des Internetregulierers
ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and
Numbers) in Kairo vom 7. bis 10. März hat keine Klärung entscheidender
Fragen gebracht. So war das Ergebnis der Tagung eine Mischung aus
Kompromissen und vertagten Entscheidungen.

Im Kern ist ICANN eine Non-Profit-Organisation, die seit November 1998 im
Auftrag des US-Handelsministeriums als eine Art Aufsichtsbehörde
ausgewählte Funktionen der technischen Regulierung des Internets
durchführt, die bisher von der US-Regierung erfüllt wurden. Dass es
dabei um weit mehr als nur technische "Details" geht, hat die
Kairo-Konferenz allerdings erneut deutlich gemacht, denn schon im Vorfeld
hatte es Auseinandersetzungen um Inhalte und Verfahren gegeben.

Im Mittelpunkt der Debatte standen die Modalitäten für die erste
weltweit durchgeführte Wahl von neun der 19 Mitglieder des
ICANN-Direktoriums. Das
Direktorium ist das geschäftsführende Gremium von ICAAN. Wer hier
vertreten ist, hat entscheidenden Einfluß auf die "Politik" von ICANN –
und damit auf die Regulierung des Internets.

In Kairo konnte man sich lediglich darauf einigen, daß fünf
ICANN-Direktoren bis spätestens zum 1. November 2000 direkt vom
"Wahlvolk", und das ist nicht weniger als die globale Internetgemeinde, gewählt werden sollen.
Für die Wahl der weiteren vier Direktoren entschied die Konferenz nur, dass sie
im Jahr 2002 stattfinden soll (zum
vorläufigen ICANN-Report).
Wie dann das genaue Wahlverfahren aussehen wird, ist jedoch ebenso ungeklärt wie die Frage, welche
bisherigen Direktoren ihre Funktion bis 2002 weiter ausfüllen, und wer
seinen Platz nach der Wahl im Herbst räumt.

Nach den ursprünglichen Vorstellungen sollten alle neun Direktoren bereits
im September in einer indirekten Wahl ermittelt werden. Die registrierten
ICANN-Mitglieder hätten nach diesem Modell ein 18-köpfiges Gremium ermittelt,
den so genannten "At-large Council", der im Namen der "Community" über die
"Volksvertreter" im Direktorium entschieden hätte.

Allerdings hatten zahlreiche Organisationen, die die Entwicklungen im Internet kritisch überwachen,
sogenannte "watchdog groups", den Entwurf bereits im Vorfeld
heftig kritisiert. Die Watchdog-Gruppen Common Cause und das
Center for Democracy and Technology (CDT) legten Anfang März eine gemeinsame
Studie vor, die das ICANN-Direktorium aufforderte, das Verfahren für die Wahl
des "At-large Council" neu zu gestalten.

Sowohl Common Cause wie auch das CDT bemängelten vor allem, dass die
Internet-Gemeinde nur mangelhaft über die Existenz und die Aufgaben von
ICANN informiert sei. Seit ICANN vor gut zwei Wochen die Möglichkeit der
Online-Registrierung eingeführt hat, haben sich 6000 Mitglieder
registrieren lassen. Nach den bestehenden ICANN-Regeln hätten bereits 5000 abgegebene Stimmen die Gültigkeit
der Wahl zur Folge gehabt – doch nach Ansicht der "virtuellen Wachhunde" genügen diese
Voraussetzungen bei weitem nicht, um bereits im September eine "demokratische" Wahl durchzuführen.
Aus ihrer Sicht stellt die Verschiebung der Wahl daher bereits
einen Erfolg dar. Endlich habe die ICANN-Spitze Wünsche der "Basis" berücksichtigt.

Einzelheiten bleiben allerdings weiterhin unklar. So schreibt ein in den
Statuten von ICANN festgeschriebener Schlüssel die Repräsentation aller
fünf Weltzonen im Direktorium vor. Ob dieses Kriterium bereits
durch die fünf zunächst zu wählenden Direktoren abgedeckt wird, blieb
offen. Der leidige Proporz könnte auch in Zukunft Stein des Anstoßes
bleiben. Von den 6000 registrierten ICANN-Mitgliedern stammen allein 60 Prozent aus
Nordamerika, weitere 20 Prozent aus Europa. Gut die Hälfte der Registrierten besteht
aus Männern im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. 60 Prozent halten einen eigenen
Domain-Namen. Die Aufteilung entspricht zwar in etwa den allgemeinen Daten über
Internetuser, wirft aber die grundsätzliche Frage auf, wer in den Prozeß der
Entscheidungsfindung eingebunden werden sein sollte. Alle User? "Erfahrene" Anwender?
Domain-Besitzer? Fragen über Fragen…

Die Kontroverse macht deutlich, das die Auffassungen darüber, wer mit
welchem Gewicht das zukünftige Geschick von ICAAN lenken sollte, stark differieren.
Das ICANN-Direktorium, das sich zurzeit noch weitestgehend aus Internet-Pionieren der ersten Stunde
zusammensetzt, ist vor allem darauf bedacht, die Unabhängigkeit und die
Kompetenz der Organisation zu gewährleisten. Die Beteiligung der
ICANN-Mitglieder an der Entscheidung über die Zusammensetzung
des Direktoriums geht einigen eigentlich schon zu weit. Wenn
unqualifizierte Laien im Führungsgremium vertreten seien, so ihre
Argumentation, könne nicht garantiert werden, daß ICANN zufriedenstellend funktioniere.
Einzelne Stimmen forderten sogar die Abschaffung der allgemeinen Wahlen (siehe dazu auch
den Gastkommentar von Steven Hill).

Die Kritik der Watchdog-Gruppen kommt da aus einer ganz anderen
Richtung: Zwar kritisieren auch sie das Wahlverfahren. Aber sie fordern
ganz im Gegensatz zur Position des ICANN-Direktoriums, die Wahlen auf
eine breitere demokratische Plattform zu stellen. Die meisten
potentiellen Wähler seien nicht oder nicht ausreichend über die Tätigkeit von
ICANN und die Chance, sich im Entscheidungsfindungsprozess einzubringen,
informiert. Die bislang registrierten 6000 ICANN-Mitglieder bildeten keine
ausreichende Basis, um unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen.
Im Gegenteil erlaube dieser niedrige "Grenzwert" organisierten Gruppen,
ihre Interessen durchzusetzen.

Die Diskussion folgt einem Muster, das man schon in Debatten über andere
internationale Organisationen beobachten konnte. Im Falle der
Europäischen Union etwa wird des öfteren der Versuch unternommen, den
Mangel an demokratischen Strukturen mit den Ergebnissen des politischen
Entscheidungsfindungsprozesses zu rechtfertigen. Nach dieser Logik ist
das Wirken einer technischen und administrativen Elite legitim, solange
ihre fachliche Kompetenz "sachlich richtige" Entscheidungen liefert. Ein solches
System legitimiert sich also über den "Output", die Ergebnisse seiner Arbeit.
Problematisch ist allerdings die Frage, wer nach welchen Maßstäben über
die Qualität der Resultate entscheiden soll.

Das ICANN-Direktorium argumentiert im Sinne einer solchen
"Output-Legitimität", wenn es das notwendige Expertenwissen der
Direktoren zum ultimativen Kriterium erhebt. Dem steht die
Rechtfertigung über "Input-Legitimität" gegenüber, die von den
"Watchdogs" vertreten wird. Hier findet die Legitimierung nicht über die
Effizienz der Entscheidungen statt, sondern über die zugrundeliegenden
Verfahren. Entscheidend ist aus dieser Sicht, dass der "Input" von
demokratisch legitimierten Akteuren stammt, und dass das Verfahren allen
demokratischen Gruppen Zugang zum Entscheidungsprozess erlaubt. Ein solches
Verfahren wird nicht immer "effizient" in dem Sinne sein, dass es das "sachlich beste" Ergebnis produziert.

Dieser Spagat zwischen "Output-" und "Input-Legitimität" wurde ICANN quasi
mit in die Wiege gelegt. Gegründet auf Initiative der US-Regierung als
private Organisation kalifornischen Rechts, ist ICANN bestenfalls
mittelbar demokratisch legitimiert – zumal ICANN das Internet weltweit
regulieren soll. Insofern rührt die Debatte über die Zusammensetzung des
Direktoriums an der Frage nach dem Selbstverständnis der Organisation.
Sie betrifft aber grundsätzlich auch alle Internetnutzer – denn die
"technischen Details", die ICANN festlegt, haben erhebliche Auswirkungen
auf die zukünftige Struktur des Internet.

So diskutierten die Konferenzteilnehmer in Kairo etwa darüber, neue
länderübergreifende Endungen für Domain-Namen einzuführen. Zum einen
ging es dabei darum, angesichts der starken Nachfrage nach solchen
Endungen ("generic Top-Level-Domains") durch die Schaffung von neuen
Endungen wie .info oder .shop neue Alternativen zu schafffen. Zum
anderen hatten für Konsumenteninteressen eintretende Gruppen wie das
"Consumer Project on Technology" gefordert, Endungen wie .isnotfair oder
.sucks einzuführen, die exklusiv Kritikern von bestimmten Gruppen oder
Organisationen vorbehalten sein sollen. Zu beiden Punkten konnten
allerdings keine Einigungen erreicht werden. Das Direktorium setzte
stattdessen eine Kommission ein, die bis zum 20. April Vorschläge machen
soll.

Schon bei vorausgegangenen Konferenzen hatten Details des
institutionellen Aufbaus von ICANN immer wieder zu Verzögerungen
geführt. Unter anderem ging es dabei um die Berücksichtigung
nichtkommerzieller Interessen in den Gremien der "Supporting
Organizations" von ICANN. Auch deswegen ist das ICANN-Direktorium
bemüht, die endgültige Struktur der Organisation festzulegen. Dann
könnte sich ICANN endlich ihrer eigentlichen Tätigkeit widmen. Bis dahin
scheint es nach der Konferenz in Kairo noch ein langer Weg zu sein.