Können wir per Mausklick die Welt verändern? Die Initiatoren politischer Online-Kampagnen lassen uns das zuweilen glauben. Doch welche Wirkung haben partizipative Online-Massen-Kampagnen tatsächlich auf unsere Parlamentarier? Johannes Hillje hat im Bundestag nachgefragt und stellt seine Ergebnisse hier vor.

Campact sammelt 100.000 Bürgerstimmen gegen das Veto der FDP zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Auf Avaaz.org unterstützen 99.000 Menschen einen Brief an die Bundesregierung, um den Panzer-Deal mit Saudi-Arabien zu verhindern. 32.500 digitale Unterschriften sammelt eine Bürgerinitiative aus Rheinhessen, um gegen die Lärmbelästigung durch den Frankfurter Flughafen zu protestieren.

Online-Kampagnen wie webbasierte Petitionen oder Massen-E-Mailing sind zu einem beliebten Instrument zivilgesellschaftlicher Akteure geworden. Initiativen wie Avaaz und Campact beschränken sich bei manchen Themen ganz allein auf Formen des politischen Online-Aktivismus, um damit, so das ausgegebene Ziel, politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Die Unterstützerzahlen der Online-Aktivisten sind dabei durchaus imposant, vergleicht man die Zahlen der Online-Petitionen etwa mit jenen früherer Papierpetitionen, die den Bürgern auf Marktplätzen vor die Nase gehalten wurden. Es stellt sich die Frage, welche Wirkung solche partizipativen Online-Massen-Kampagnen auf politische Entscheidungsträger in unserem Land haben. Im Rahmen meiner Magisterarbeit an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz habe ich mich dieser Frage gewidmet und qualitative Interviews mit Bundestagsabgeordneten aller Parteien sowie den Online-Experten der im Bundestag vertretenden Parteien geführt. Aus Gründen des Datenschutzes und um authentische Ergebnisse zu erlangen, wurden die Aussagen der Interviewpartner anonymisiert.

Niedrigschwelligkeit + niedriges Involvement = Niedrige Wirkung?

Den Ergebnissen der Studie zufolge haben die Kampagnen nur eine sehr geringe direkte Wirkung auf politische Entscheidungsprozesse. Das liegt zum einen in der Natur unkonventioneller Beteiligungsformen, die oftmals keinen sachlichen Informationsmehrwert für Politiker liefern und aus Sicht der Befragten zu einseitig argumentieren. Zum anderen und hauptsächlich liegt die geringe Wirkung aber in den Charakteristika der Kampagnen und der Online-Kommunikation selbst begründet. Aufgrund der niedrigschwelligen und wenig involvierenden Partizipationsform zeigen Politiker sich in aller Regel wenig beeindruckt von mitunter kaum zielgerichteten „Bottom-Up“-Kampagnen wie Massen-E-Mails. Um eine Informationsflut dieser Art schon im Vorhinein  zu vermeiden, setzen Parlamentarier entsprechend häufig Gegenmaßnahmen in Form von Vorselektion oder Spam-Filter ein. Ein Bundestagsabgeordneter begründet das so: „[Die Beteiligung] ist nicht echt, nicht ehrlich. Sondern sie wird vorgegaukelt. […] Die Kampagne ist ja schon sozusagen fertig formuliert. Da ist ja ein nachträgliches, demokratisches Abstimmen über verschiedene Wege oder verschiedene Formulierungen […] nicht mehr möglich. Außer mein Kreuz drunter machen kann ich mich nicht beteiligen. Ich darf ja nicht abstimmen, ob mir der Text passt oder nicht. […] Und das heißt, da ist gar keine Beteiligung vorhanden.“

Auch die Anonymität der Online-Kommunikation fällt für die Politiker negativ ins Gewicht: Einerseits könnte der Partizipationsakt im schnelllebigen Netz zu wenig reflektiertem Klick-Ativismus verkommen, andererseits fällt es den Politikern schwer, kleine und unbekannte Organisationen einzuschätzen, wenn sie diese als Absender einer Online-Kampagne zum ersten Mal kennenlernen.

Online-Kampagnen als Indikator für die öffentliche Meinung

Dennoch zeigen die Ergebnisse der Studie einen nicht weniger bemerkenswerten indirekten Effekt: Online-Kampagnen dienen den etablierten politischen Akteuren als Indikator für Stimmungen und Meinungen innerhalb der Bevölkerung. Folgendes Zitat eines Abgeordneten verdeutlicht diese Beurteilung: “Natürlich geht die Frage “Wer unterstützt irgendwas?”, “Welche politischen Meinungsbildungsprozesse zeichnen sich ab?”,”In welchen Organisationen bildet sich welche Mehrheit?” – natürlich fließt das in die politische Lagebewertung mit ein. Und natürlich fragt Politik sich irgendwo: Was ist durchsetzbar und was ist nicht durchsetzbar?”

Auch die Online-Experten der Parteien sehen hierin die zentrale Stärke von Online-Kampagnen, wie folgende Aussage zeigt: „[W]enn ich jetzt sagen kann, eine Petition bei Avaaz zum Atomausstieg hat 180.000 gekriegt und eine Petition […] zur Freilassung der gefangenen Journalisten in Weißrussland hat 10.000 gekriegt, dann kann ich Themen gewichten, dann kann ich Relevanz gewichten.“

Einfluss auf die politische Agenda

Ein anderer  spricht gar davon, dass Online-Kampagnen für seine Partei als “Frühwarnsysteme” bei der Themensetzung fungieren. Bei netzpolitischen Themen scheint dieser Effekt momentan am stärksten ausgeprägt zu sein, so dass die Themensetzung der Online-Aktivisten durchaus die politische Agenda beeinflussen kann.

Darüber hinaus sind die Online-Pendants traditioneller Offline-Kampagnenformen (Online-Petition vs. Papierpetition, E-Mail-Kampagne vs. Briefkampagne) unter den Befragten weitgehend akzeptiert. Zwar betonen einige Politiker etwa den “haptischen Wert” eines Briefs, jedoch können digitale Anschreiben einfacher an Kollegen weitergeleitet werden.

Auch die digitale Unterschrift unter einer Online-Petition ist weitgehend akzeptiert, bei informellen Online-Kampagnen (z.B. über die Avaaz-Webseite) sind den Politikern jedoch Kontrollmechanismen wie das “Double Opt-In”-Verfahren (Bestätigung der Teilnahme über E-Mail) wichtig, um Missbrauch auszuschließen.

Mehr Einfluss durch Generationswechsel im Parlament?

Unstrittig ist unter den politischen Akteuren, dass sich die Bedeutung von Online-Kampagnen in Zukunft erhöhen wird. Dies machen sie einerseits an einer steigenden Internetnutzung der Bürger fest. Andererseits gehen sie davon aus, dass auch die Online-Affinität der Parlamentarier zunehmen wird.

Das Mediennutzungsverhalten der Politiker spielt ganz allgemein eine Rolle bei der Wirkung von Online-Kampagnen. Wer das Internet grundsätzlich verstärkt nutzt, nimmt Online-Kampagnen stärker wahr und bindet diese auch eher in die Überlegungen seiner politischen Arbeit ein.

Online- und Offline-Aktivismus verbinden

Wenn es nach den befragten Politikern geht, sollten zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Kampagnen nicht allein an massenhaften Unterstützerzahlen und anonym anmutender Online-Kommunikation ausrichten. Nach den Worten eines Bundestags-Online-Experten sind vorrangig drei Aspekte für den Erfolg einer Online-Kampagne zentral: „Spiegelung in den klassischen Medien, gut gemachte Social-Media-Kampagne und eben die Verknüpfung von on- und offline. Das ist, glaube ich, die große Kunst.“

Insgesamt lässt die Studie keine allzu optimistische Bestandsaufnahme der Wirkung von partizipativen Online-Kampagnen zu. Die mitunter etwas abwertend anmutenden Einschätzungen der Befragten werfen allerdings die Frage auf, ob es sich die Politik in Anbetracht der Trends politischer Partizipation leisten kann, solche neuartigen Beteiligungsformen wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich deckt sich die Art der Partizipation mit den Bedürfnissen der Bürger nach erweiterten, aber punktuellen Beteiligungsmöglichkeiten. Insbesondere für junge Leute sind die Online-Kampagnen eine gute Möglichkeit, einen leichten, über ihre bevorzugten Kommunikationskanäle realisierten Zugang zu politischen Themen zu finden.

Sollten die etablierten politischen Akteure solche Formen der Online-Partizipation langfristig als destruktiven Klick-Aktivismus abstempeln und mangelnde Responsivität an den Tag legen, könnte sich unter den Nutzern schnell Frust breit machen und das demokratische Potenzial verspielt sein.

Gleichzeitig müssen aber auch die Kampagneninitiatoren ein realistisches Bild von der politischen Wirkung ihrer Graswurzelkampagnen vermitteln und den Bürgern nicht den Eindruck geben, sie könnten per Mausklick die Welt verändern. Das gesamtgesellschaftliche Risiko liegt also insgesamt nicht nur in der Online-Kommunikation selbst, sondern auch beim Umgang der etablierten und nicht-etablierten politischen Akteure mit den virtuellen Beteiligungsformen.

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