Das Jahr 2011 hat uns einmal mehr auf vielfältige Weise gezeigt, dass das Internet seit langem viel mehr als ein Medium zur Freizeitbeschäftigung ist. Auf der ganzen Welt spielten sich Ereignisse ab, für die die Macht des Internet,  positiv wie negativ, genutzt wurde. In Deutschland fühlt sich jedoch kein führender Politiker für das Thema zuständig.

Würde man, zurückblickend auf das Jahr 2011, eine Liste aller netzpolitischen Ereignisse erstellen, wäre diese wohl ziemlich lang. Der Wiener Student Max Schrems und der US-Senat forderten Facebook zu mehr Datenschutz auf, Twitter wurde zum Akteur im Arabischen Frühling, die Europäische Union beschloss das ACTA-Abkommen zur Urheberrechtsverletzung und neue Whistleblower-Portale wurden eröffnet. Hiermit sei nur ein kleiner Teil der Ereignisse aufgezählt, die die netzpolitische Welt 2011 bewegten.

Selbst innerhalb Deutschlands spielten sich einige Ereignisse ab, anhand derer deutlich wird, dass das  Internet schon seit langem eine entscheidende Rolle in unserem alltäglichen und politischen Leben spielt. Der Chaos Computer Club enttarnte im Herbst einen Staatstrojaner, im Frühjahr gab das GuttenPlag-Wiki den Auslöser für den Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers, und zahlreiche Politiker begannen auf Twitter hitzige Diskussionen zu führen. Besonders hervorzuheben ist auch der Einzug der Piratenpartei in das Berliner Abgeordnetenhaus. Die Partei, der mit Internet-Themen der Aufstieg gelang, hat mittlerweile selbst bundesweit ihre Segel im Wind.

Netzpolitische Themen gäbe es demnach immer noch reichlich  zu diskutieren und zu etablieren. In den obersten Gremien der Parteien und auf Regierungsebene ist davon jedoch wenig zu spüren. Auf den Parteitagen im Herbst des vergangenen Jahres wurde von den drei Parteien der Regierungskoalition kein einziger netzpolitischer Beschluss verabschiedet. CDU und CSU schieben den Themenbereich auf ihre netzpolitischen Arbeitskreise ab. Die FDP kann immerhin ein Positionspapier ihrer Bundestagsfraktion vorlegen. Das Problem der netzpolitischen Arbeitskreise ist, dass deren Meinung oft nicht die Meinung der Gesamtpartei widerspiegelt. So hat das CSUnet unter dem Vorsitz von Dorothee Bär erst Ende letzten Jahres ein Positionspapier zur Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht, in dem sich die Vertreter für ein Quick Freeze-Verfahren, aber gegen eine allgemeine Vorratsdatenspeicherung aussprechen. „Freiheit statt VDS“ titeln die CSU-Netzpolitiker und stellen sich damit gegen ihren Parteichef Seehofer. Zu betonen ist jedoch, dass Dorothee Bär, im Vergleich zu Netzpolitikern anderer Parteien, einen relativ einflussreichen Posten innerhalb der CSU einnimmt.

Die Oppositionsparteien verabschiedeten auf ihren letzten Parteitagen jeweils mehrere netzpolitische Beschlüsse, allen voran Bündnis90/Die Grünen. In Kiel formulierten sie einen 16-seitigen Beschluss, in dem sie sich von Netzneutralität über Urheberrecht bis hin zu Möglichkeiten wirtschaftlicher Innovationen zu zahlreichen Themen positionieren. Die SPD fokussierte in ihren netzpolitischen Beschlüssen im Dezember die Bereiche Netzneutralität, Breitbandausbau und Vorratsdatenspeicherung. Insbesondere die Zustimmung zu einer abgeschwächten Speicherung von persönlichen Daten auf Vorrat war ein ständiger Streitpunkt innerhalb der SPD-Parteigruppierungen. Auch die Linke nahm netzpolitische Themen im Herbst 2011 in ihr Parteiprogramm auf. Sie fordert ebenfalls eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, will Open Data und E-Demokratie stärken und Lösungen für eine Reform des Urheberrechts suchen. Die Piratenpartei, die seit der Wahl in Berlin  unter Druck steht, sich zu einem breiten Themenspektrum klar zu positionieren, konnte sich auf ihrem Parteitag im Dezember lediglich knapp ihrer Steckenpferden Urheberrecht und Open Data widmen.

Auf höchster politischer Ebene sind es zwei Themen, die schon seit längerem die größte Aufmerksamkeit erhalten: Vorratsdatenspeicherung und Datenschutz im Internet. Die Ministerinnen Leutheusser-Schnarrenberger und Aigner tragen dazu einen beachtlichen Teil bei, indem sie sich mit EU-Richtlinien oder Facebook anlegen. Alle anderen Themen überlässt die Bundesregierung lieber der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Die bereits 2010 gegründete Kommission mit der Aufgabe, den Bundestag in puncto Netzpolitik zu beraten, haderte jedoch zuletzt häufig selbst mit internen Streitigkeiten zwischen den Politikern und Sachverständigen der verschiedenen Fraktionen. Immer wieder kommt es zu Patt-Abstimmungen, und die Verabschiedung des Zwischenberichts wurde über Monate hinweg verschoben. Die von der Internet-Enquete eingeführte Beteiligungs-Plattform Adhocracy scheiterte vorerst im Ältestenrat, ihr Erfolg wird bis heute von vielen Mitgliedern des Bundestags nicht anerkannt.

Der für das Ressort Internet zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zeigte bisher wenig Interesse für diesen seinen Aufgabenbereich. Bei einer politischen Grundsatzrede vor Kongressteilnehmern der Konrad-Adenauer-Stiftung im November konnte er weder mit Fachwissen noch mit innovativen Ansichten glänzen. So bleiben Thomas de Maizières 14 Thesen zum Internet, die er noch zu seiner Amtszeit als Innenminister 2010 verkündet hatte, die wohl intensivste Zuwendung eines zuständigen Politikers zum Netz.

Da das Internet, anders als die klassischen Medien, ein breites Spektrum an Funktionen für die Zivilgesellschaft erfüllt, wird hauptsächlich von Internetaktivisten und Organisationen für die Einführung eines Internetministers oder für die Verlagerung des Themas in mehrere Ministerien oder das Kanzleramt argumentiert. Auch wenn es selbstverständlich eine große Anzahl an wichtigen politischen Aufgaben zu erfüllen gibt, fehlt vielen die Würdigung von Netzpolitik als Querschnittsthema und die Anerkennung dafür, dass das Internet kein vorübergehendes Phänomen ist, das lediglich die junge Generation betrifft. Gerade nach den Ereignissen 2011 sollte die Politik in diesem Jahr die Chance ergreifen, die Rolle des Internet zu stärken und bewusst über Chancen und Risiken aufzuklären.

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