In den meisten deutschen Gefängnissen haben Inhaftierte keinen Zugang zum Internet und können sich nicht auf das zunehmend digitalisierte Leben in Freiheit vorbereiten. Ein Pilotprojekt des Landes Berlin soll das ändern.
Ein Leben ohne Internet ist für uns heutzutage kaum noch vorstellbar. Und doch haben viele Menschen auch in Deutschland keinen Zugang dazu. Man sieht sie selten, man kennt sie kaum, denn sie sitzen im Gefängnis. Offline.
Eigentlich lautet das Ziel des deutschen Strafvollzugs „Resozialisierung“, also Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die Gefangenen sollen befähigt werden, nach der Haft ein normales Leben zu führen. Wie sieht solch ein normales Leben heute aus?
Der Handywecker klingelt, aufstehen. Duschen, frühstücken und sich auf dem Weg zur Arbeit per App in verschiedenen Tageszeitungen vergewissern, dass sich die Welt noch so dreht wie gestern. In der Familien-WhatsApp-Gruppe kommen wie jeden Tag etwa 5 lustige Bildchen und Videos an. Die Hälfte schaut man sich an, den Rest vergisst man. Am Arbeitsplatz angekommen, wird als erstes der Computer hochgefahren, es werden Mails gecheckt, beantwortet und weitergeleitet. Den Tag verbringt man tippend vor dem Bildschirm. In der Pause noch schnell ein paar interessante YouTube-Videos angeschaut und online die Reservierung bei der Bahn für die Fahrt ins Wochenende abgeschlossen. Mehrere Skype-Konferenzen lassen den Tag schneller vergehen. Kurz vor Schluss kommt noch die Erinnerung des Lebenspartners rein, das Geburtstagsgeschenk für die Mutter im Online-Buchhandel zu bestellen. Natürlich, es soll ja morgen da sein. Abends entspannt man dann endlich vor seinem Bildschirm, wo man sich drei Folgen seiner Lieblingsserien auf Netflix anschaut.
Der deutsche Strafvollzug kennt als höchstes Strafmaß den lebenslänglichen Freiheitsentzug. Dabei handelt es sich genauer gesagt um eine Haftstrafe auf unbestimmte Zeit, die mindestens 15 Jahre beträgt. Wie soll nun ein Mensch, der die letzten 15 Jahre im Gefängnis verbracht hat, sich nach der Entlassung in unserer Gesellschaft zurechtfinden? Sie ist längst von der Digitalisierung durchdrungen. Vor 15 Jahren waren Anwendungen wie Facebook, WhatsApp, Netflix oder YouTube noch nicht existent. Das Internet war noch dabei, sich auszubreiten: Erst etwa ein Drittel der deutschen Haushalte hatte Zugang dazu. Google.de gibt es erst seit 2001.
Kann man also von Resozialisierung sprechen, wenn man den Häftlingen während der Haft den Zugang zu einem so elementaren Teil unseres Alltags verwehrt? Die ZEIT urteilte vor kurzen, wir seien alle Cyborgs, weil das Smartphone längst Teil unseres Selbst geworden ist. Nun, einige der Häftlinge sind es nicht. Sie leben in einer Welt ohne Smartphone und ohne Internet im Allgemeinen. Noch.
Im Land Berlin wurde vor kurzem einen Vorschlag zur „Resozialisierung durch Digitalisierung“ vorgebacht. Dieser wurde am letzten Mittwoch im Rechtsausschuss zusammen mit dem „Gesetz zur Weiterentwicklung des Berliner Strafvollzugs“ besprochen. Die für uns relevanten gesetzlichen Bestimmungen sind §40 und §56 Abs.4. Ersterer befasst sich mit Telekommunikation. Hier erkennen die Politiker die Änderung des gesellschaftlichen Kommunikationsverhaltens an und möchten den Häftlingen somit neben dem Telefon auch die Möglichkeit für neue Formen der Telekommunikation eröffnen. Dabei sollen zuerst die Vollzugsanstalten darüber entscheiden, ob sie Kommunikation über E-Mail und ähnliches allgemein zulassen wollen. Danach wird dann noch im konkreten Einzelfall für jeden Häftling entschieden, ob ihm gestattet wird, diese Möglichkeiten zu nutzen. Der §56 befasst sich mit Rundfunk, Informations- und Unterhaltungselektronik. Dabei eröffnet der vierte Absatz die Möglichkeit, andere Geräte als die bereits vorhandenen Radios und Fernseher zum Empfang von Medien zu nutzen.
Das sind also die Gesetzesänderungen, die voraussichtlich sehr bald im Bundesland Berlin kommen werden. Es wirkt nicht sehr eindrucksvoll. Durch das viele „können“ ist es auch sehr einfach für die Anstalten „Nein“ zu sagen. Man kann, man muss ja nicht. Es war auch weniger das Gesetz, das die Medien in Aufruhr gebracht hat, sondern viel mehr der dem Gesetz beigelegte Antrag, der von Abgeordneten der SPD und der CDU gemeinsam eingereicht wurde. Dabei war vor allem die SPD treibende Kraft. Die CDU sieht das Thema kritischer.
In dem Antrag wird das Pilotprojekt „Resozialisierung durch Digitalisierung“ vorgestellt. Auf Basis der obigen gesetzlichen Bestimmungen soll somit in einer Teilanstalt einer Justizvollzugsanstalt den Gefangenen beschränkter Zugang zum Internet gewährt werden. Laut Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) wird dies eine Teilanstalt der JVA Heidering sein. Dabei bekommen die Häftlinge die Möglichkeit, auf bestimmte Internetseiten zuzugreifen, wie News-Seiten, Wohnungssuchportale, Fortbildungsangebote, Arbeitsagenturseiten oder Wikipedia. Die Fähigkeit, mit Online-Diensten umzugehen, benötigt man ja nicht nur für Soziale Netze, auch die Jobbörse der Arbeitsagentur ist mittlerweile ein Online-Tool. Um wieder in der Gesellschaft anzukommen, ist es wichtig, dass der Häftling in der Lage ist, sich einen Arbeitsplatz zu suchen. Damit der Internetzugang nicht missbraucht wird, werden die entsprechenden Seiten regelmäßig auf die Anstaltsserver gespiegelt und dann mit leichter Verzögerung zur Nutzung bereitgestellt. Inwieweit auch Online-Kommunikation, etwa durch E-Mails, möglich sein soll, wird noch geprüft. Natürlich darf eine solche Möglichkeit unter keinen Umständen zum Begehen weiterer Straftaten genutzt werden und die Sicherheit Dritter ist zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten.
Der Start des Pilotprojekts ist ein sehr kleiner Schritt, aber es ist ein Schritt auf dem Weg zu einer zeitgemäßen Resozialisierung. Bisher war es Häftlingen nur gestattet, im Vollzug Zugang zum Internet zu bekommen, wenn sie diesen zum Absolvieren eines Fernstudiums oder ähnlichen Ausbildungsmöglichkeiten benötigten. Nun wird diese strikte Vorgabe langsam gelockert. Verläuft der Versuch in der JVA Heidering erfolgreich, kann das Projekt auf andere Berliner Vollzugsanstalten ausgeweitet und in anderen Bundesländern aufgegriffen werden.
Bild: Erika Wittlieb, CC0 Public Domain