Zivilgesellschaftliches Engagement braucht Betroffenheit als Motivation – und die findet man vor der eigenen Haustür eher als im Parlament. Das meint zumindest Will Perrin, eDemokrat aus London. Dies ist aber nur eines von vielen Ergebnissen der diesjährigen Konferenz "BerlinInOctober 2009", zu der u.a. politik-digital.de in die Hauptstadt eingeladen hatte. Eine Nachbetrachtung.

Will Perrin"Ärger über den Hundekot im Park ist der erste Schritt für ein bürgerliches Engagement in der Nachbarschaft", weiß William Perrin aus eigener Erfahrung zu berichten. Der Initiator der Nachbarschaftsplattform kingscrossenvironment.com und ehemalige Regierungsbeamte kämpft seit zehn Jahren mit WordPress, Youtube und einer großen Portion Eigeninitiative gegen internationale Großkonzerne und kommunale Verwaltungsapparate. Und das mit einigem Erfolg.  Selbst den texanischen Bauriesen Centex konnte Perrin durch den Einsatz digitaler Kommunikationsmittel dazu bewegen, die Arbeiten an einer Großbaustelle in seinem Wohnviertel "nachbarschaftsfreundlicher" zu gestalten.

Praktiker statt Theoretiker

Während auf anderen Konferenzen häufig über die Theorien von Partizpation und Demokratie gestritten wird, richtete sich die diesjährige "BerlinInOctober 2009" genau an solche Personen aus der Praxis, mit konkreten Projekten aus dem Bereich eDemokratie und ePartizipation. Über 50 von ihnen aus 19 Ländern versammelten sich am 15. und 16. Oktober in der Heinrich Böll Stiftung, um Ideen und Erfahrungen auszutauschen – und natürlich, um sich weiter zu vernetzen.

Zivilgesellschaftliches Engagement war dabei eines der Hauptthemen, die die Teilnehmer beschäftigten. Wie kann manBerlinInOctober 2009 kommunale Bürgerbeteiligung über das Netz fördern? Eine große Hürde – nämlich die Berührungsangst mit der digitalen Kommunikationstechnik – versucht das Portal talkaboutlocal.com zu nehmen. Dort wird in leicht verständlicher Form interessierten Bürgern Schritt für Schritt erklärt, wie sie den Menschen in ihrer Kommune eine Stimme geben können. Dabei müssen sie keinerlei technische oder gar Programmierkenntnisse haben. Vertreter aus den Niederlanden stellten eine ähnliche Initiative vor, die Vereniging de Muurkrant. Diese bietet Unterstützung für Bürger an, die über kommunale Ereignisse journalistisch berichten wollen.

Transparenz statt Beteiligung

Eine ganze Reihe anderer vorgestellter Projekte konzentrierte sich dagegen auf Transparenzbemühungen im demokratischen Alltag. "In unserer Wahlbeobachtung waren wir schneller als alle anderen, schneller sogar als die internationalen Beobachter", berichtete zum Beispiel Ayman Mhanna von seinem Projekt zu den Parlamentswahlen im Libanon.

Mhanna, Projektmanager beim National Democratic Institute in Beirut, hatte ein Netzwerk von Freiwilligen über das ganze Land gespannt, die Wahlunregelmäßigkeiten per SMS an die Zentrale funkten. Diese Reports erschienen dann mit Geodaten verlinkt auf eine Kartenapplikation und wurden so noch während des Wahltages für die Öffentlichkeit sichtbar.

Von national bis international

Viele andere Transparenz-Webseiten, die auf der Unkonferenz vorgestellt und diskutiert wurden, durchleuchten die parlamentarische Arbeit von Politikern, ähnlich wie das wheredoesmymoneygo.orgdeutsche Portal abgeordnetenwatch.de. Wheredoesmymoneygo.org analysiert und visualisiert die öffentlichen Ausgaben in Großbrittanien. Die französische Webseite nosdeputes.fr gibt einen Überblick über die Aktivitäten der französischen Abgeordneten, ähnlich wie auch das italienische Portal Open Parlamento. Erschreckende Erkenntnis der Italiener: Laut ihren Berechnungen arbeiten italienische Abgeordnete nur neun Stunden – pro Woche!

Auch auf der europäischen Ebene formieren sich einige Nichtregierungsorganisationen, um den EU-Organen auf die Finger zu schauen. Fishsubsidy.org zum Beispiel ist ein Projekt, welches die Subventionszahlungen der Europäischen Union im Bereich Fischerei darstellt. Farmsubsidy.org veröffentlicht in ähnlicher Weise Daten über die Agrar-Subventionen der EU. FollowTheMoney zeigt, aus welchen Geldern sich der EU-Haushalt zusammensetzt und wofür dieser ausgegeben wird.

Transparenz löst keine Probleme

Die offene Konferenzführung, ein wesentlicher Bestandteil der BerlinInOktober 2009, bot aber auch den kritischen Stimmen ein Podium. Denn neben den hohen Ansprüchen der vorgestellten Projekte, Gutes zu bewegen, wies Tobias Escher vom Oxford Internet Institute darauf hin, das durch Transparenz allein keine grundlegenden Probleme von parlamentarischen Demokratien gelöst werden. Diese Tranparenz müsse nämlich auch wahrgenommen werden. Und zwar nicht nur von einer kleinen, hochgebildeten Community, sondern von der breiten Masse. Für dieses Dilemma sehe er noch keinen überzeugenden Lösungsansatz. Es gibt also genug zu tun bis zur "BerlinIn… 2010".

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