Ein Forum für politische Partizipation noch in diesem Jahr und ein vollständig interaktives und digitales Parlament samt E-Voting bis 2020 – die Ziele der neuen „Digital Democracy Commission“ in Großbritannien sind ehrgeizig. Mit Hilfe digitaler Technologien soll das britische Parlament in Zukunft effizienter arbeiten, damit jeder versteht, was es tut.

Oft bemühen sich Politiker ja wirklich bei dem, was sie tun. Sie treffen sich, diskutieren stundenlang und verlesen am Ende ein Pressestatement voller wohlklingender Wörter. Nur: Ein großer Teil der Bevölkerung hat keine Ahnung, worüber da eigentlich geredet wird – oder bekommt von all dem erst gar nichts mit. Informationen 24/7 aus Quellen unterschiedlichster Art erschlagen eher, als dass sie aufklären, der politische Jargon ist für manch einen befremdlich, und die Bevölkerung wahrt lieber sicheren Abstand zu ihren Repräsentanten im Parlament.

In Großbritannien hat man dieses Problem erkannt und möchte aktiv dagegen vorgehen. Eine achtköpfige Kommission begann im Januar 2014 mit ihrer Arbeit, nahm an über 100 informellen Treffen und 20 Treffen am Runden Tisch teil, immer mit folgendem Ziel vor Augen: die Antwort zu finden auf die Frage, wie das Parlament durch die Nutzung digitaler Technologien transparenter und inklusiver gemacht werden und besser mit der Öffentlichkeit kommunizieren kann. Nun wurden die Ergebnisse der Arbeit veröffentlicht. Eine umfangreiche Digitalstrategie des House of Commons soll bis 2020 sicherstellen, dass „jeder versteht, was es tut“. Klingt ambitioniert, aber lässt sich das tatsächlich in die Realität umsetzen? Bekanntermaßen ist die Identifikation eines Problems der erste Schritt zu dessen Beseitigung. Deshalb befragte die „Digital Democracy Commission“ Bürger unterschiedlicher sozialer Herkunft und stellte fest, dass die Probleme vielseitig sind: fehlendes Wissen über die Arbeit von Politikern und Parlament, unverständliche Floskeln und das Gefühl, dass Politiker sich nicht für die Meinung des Volkes interessieren, Partizipation also sinnlos ist. Mit den nun veröffentlichten umfassenden Empfehlungen sollen die Barrieren zwischen Parlament und Bürgern überwunden werden.

Einfache Sprache für besseres Verständnis

Erstes Ziel ist es, das öffentliche Verständnis für Politik und Parlament zu verbessern. Klar: Nur wer weiß, wie Politik funktioniert, hat Interesse an politischen Geschehnissen und die Möglichkeit, Politik aktiv mitzugestalten. Zudem ist es mittlerweile selbstverständlich, online einen einfachen Zugang zu einer Vielzahl an Informationen zu erhalten. Deshalb sollen Ankündigungen auf der Website des Parlaments in Zukunft einfacher zugänglich sein und ansprechender präsentiert werden – zum Beispiel in Form von audio-visuellen Medien oder Infografiken. Open Data steht ebenfalls auf der Agenda: Informationen des öffentlichen Sektors und Originaldokumente sollen frei verfügbar sein – auch zur Weiterverwertung.
In diesem und im kommenden Jahr soll sich das House of Commons außerdem der Vereinfachung der Parlamentssprache und -kommunikation annehmen. Vor allem in der Gesetzgebung ist die Sprache für Laien oft schwer verständlich, viele Bürger können nicht nachvollziehen, wofür die Mitglieder des Parlaments stimmen – obwohl sie letztendlich alle davon betroffen sind. Die zusätzliche Publikation von Gesetzesnovellen in einfacher Sprache soll deshalb in Großbritannien zur Norm werden. Da aber nicht jedermann gleichermaßen mit dem Netz und dessen digitalen Möglichkeiten umgehen kann, soll auch das Thema digitale Exklusion angegangen werden. Vor allem ältere Menschen oder solche mit Behinderungen sind betroffen. Neben fehlendem Know-how spielen auch finanzielle Aspekte und ein schlechter Breitbandausbau eine Rolle. Die britische Regierung hat bereits 2014 mit der Digitalen Inklusionsstrategie einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die Experten raten zudem, mit kommunalen Organisationen zusammenzuarbeiten, um der digitalen Exklusion entgegenzuwirken.

Mehr Partizipation dank Inklusion

Neben den Bürgern, die schlicht keine Möglichkeit zur Internetnutzung haben, gibt es auch solche, die online sehr aktiv sind – und die trotzdem keine E-Petitionen unterzeichnen, wählen, oder versuchen, die politische Entscheidungsfindung zu beeinflussen. Dazu gehören – in Großbritannien ähnlich wie in Deutschland – vor allem Frauen, junge Erwachsene und Menschen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status sowie geringer Bildung. Wenn das Parlament lediglich die Möglichkeiten der Partizipation im Internet verbessert, verstärkt es vor allem die Stimme jener Bevölkerungsgruppen, die sowieso schon politisch aktiv sind. Deshalb sollte genau dort angesetzt werden, wo am meisten Handlungsbedarf besteht: bei der jungen Frau mit niedrigem Bildungsstand aus sozial schwacher Familie. Die Kommission hat herausgefunden, dass es vor allem bei jungen Menschen oft nicht am fehlenden Interesse hakt, sondern an mangelndem Wissen über Politik und parlamentarische Prozesse. Die Verbesserung der politischen Bildung in der Schule soll die Partizipation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nun ebenso erhöhen wie die Nutzung sozialer Medien und der Einsatz von E-Petitionen. So ist etwa geplant, die jährlichen Schulbesuche im britischen Parlament 2016 auf 100.000 zu erhöhen.

Blickt man auf die sinkende Wahlbeteiligung in Großbritannien, zeigt sich ebenfalls, dass häufig nicht mangelndes politisches Interesse die Ursache ist. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass selbst Menschen ohne ausgeprägtes politisches Interesse Anteil an einzelnen Politikfeldern nehmen: an aktuellen Geschehnissen nämlich und an Themen, die sie selbst betreffen. Die Kommission rät deshalb zu digitalen Tools, mit denen die Bürger die Aktivitäten des Parlaments nach ihren Themenfeldern durchforsten können. Zudem sollen mehr Informationen in Echtzeit bereitgestellt und die sozialen Netzwerke aktiver genutzt werden.

Außerdem sollen weitere digitale Tools zum Einsatz kommen, um die Interaktion zwischen Mitgliedern des Parlaments und deren Wählern zu erhöhen. So soll zum Beispiel die Aufmerksamkeit auf die Arbeit von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gelenkt und der Gesetzbildungsprozess öffentlich gemacht werden, so dass die Bevölkerung frühzeitig in diesen mit einbezogen wird.  Eine weitere Idee der Kommission: öffentliche digitale Diskussionsforen, die über die Debatten in der Westminster Hall informieren: „Cyber Chamber“ oder „Open House“ nennen das die Experten. Fragen an Minister oder den Premierminister sollen in regelmäßigen Abständen beantwortet werden, zum Beispiel über QTube oder twitterähnliche Plattformen.

Da man seine Stimme in Großbritannien am Wahltag nur abgeben kann, wenn man dafür registriert ist, hat die geringe Wahlbeteiligung oft auch ganz pragmatische Gründe. Neuerdings können sich Wähler in Großbritannien online für die Wahl registrieren, so hofft man die Quote zu erhöhen. Die Kommission geht sogar noch einen Schritt weiter: Auch der eigentliche Wahlvorgang soll spätestens bei der Wahl 2020 online abgewickelt werden können. So will man vor allem die jüngeren Wähler ins Boot holen. Wie die bestehenden Sicherheitslücken geschlossen werden sollen? Das beantwortet die Kommission bisher nicht. Großbritannien startete bereits einmal ein E-Voting-Pilotprojekt, stellte es aus Sicherheitsgründen aber wieder ein.

Zum Jubiläum: Start in ein digitales Parlament

Und noch ein Ziel wird bis zum Jahr 2020 anvisiert: Das Parlament soll bis dahin vollständig interaktiv und digital sein. So sollen zum Beispiel mehr Dokumente online publiziert und ein papierloses Arbeiten angestrebt werden. Dafür muss natürlich erst einmal die technische Infrastruktur geschaffen werden. Ob und wie schnell das Parlament diese Vorschläge tatsächlich in die Tat umsetzt und wer die Kosten für die Digitalisierung trägt, bleibt abzuwarten.

Zum diesjährigen 750. Geburtstag stehen also große Veränderungen im britischen Parlament an. Um die ehrgeizigen Ziele bis 2020 tatsächlich zu erreichen, fordert die Kommission das Parlament auf, bis Ende dieses Jahres eine Strategie zu entwickeln, die sicherstellt, dass notwendige Kompetenzen rechtzeitig entwickelt und genügend Mittel bereitgestellt werden. In einem Jahr wollen sich die Experten aus der Kommission wieder treffen. Dann wird Bilanz darüber gezogen, ob Fortschritte gemacht wurden und welche Ziele erreicht werden konnten. Sollte Großbritannien den digitalen Fahrplan tatsächlich in die Tat umsetzen, könnte es zum Vorbild für andere europäische Länder werden. Bleibt zu hoffen, dass die Empfehlungen der Digital Democracy Commission in Großbritannien besser angenommen werden als die Ratschläge der Enquete-Kommission Internet und Gesellschaft hierzulande. Denn: Mit dem Ende der Arbeit der Digital Democracy Commission hat der Weg in Richtung digitales Parlament gerade erst begonnen.

Bild: Simon & His Camera

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