Jeden Abend um 20:15 Uhr zeigt uns RTL II die Realität. Oder vielmehr die 35 zusammengeschnittenen
Minuten Auswahl-Realität der letzten 24 Stunden, die der Sender seinem Publikum aus dem Big Brother-Container
zeigen möchte.

Jeden Sonntag zum Beispiel zeigt Endemol dem Zuschauer den heulenden John. Nachdem wir
45 Sekunden lang das close-up auf Johns rührend verheultes Gesicht gesehen – ja – genossen haben, sind wir
überzeugt, so muss er sein, der John. So ist er. Zumindest für die 45 Sekunden, die der Fernsehschauer von
diesem take zu sehen bekommt. Niemand hätte allen Ernstes erwartet, in den 45minütigen Zusammenfassungen
minus Werbung die echte, die ganze Welt von Big Brother zu erfahren. Big Brother ist ein Kunstobjekt, eine
Realitäts-Strickmaschine, eine mediale Kuschellüge und eine Casting-Identität ähnlich den Backstreet Boys.
Big Brother ist ein Spiel.

Für die unstillbare Sehnsucht nach Authentizität gibt es das Internet. Die offizielle Big Brother Seite bietet neben
harmlosen Artikelchen der Online-Redaktion und verschiedenen Merchandizing Angeboten auch die Live-Kameras.
Dort können Doku-Junkies unter big-brother-haus.de
mittels Click auf die verschiedenen Kameras 24/7 verfolgen, was tatsächlich gelebt wird in der Hürther WG.
Das offizielle Web-Angebot von RTL II erhebt jedoch auch den Anspruch auf das Internet-Realitäts-Monopol der
Geschehnisse im Container. Abgesehen davon, dass die live-Kameras und Mikrophone von Zeit zu Zeit partiell
ausfallen (ob aus technischen oder anderen Gründen sei dahingestellt), hat die Produktionsfirma
Endemol, nun alle Seiten im Netz, die unabhängig vom Sender Fan- und
Diskussionsforen bieten, abgemahnt. Die Marke Big Brother muss geschützt werden, auch oder grade auf Kosten
der Freiheit, im Netz jenseits der Kommerzialität den eigenen Spiel- und Schwätz-Leidenschaften zu frönen.
So haben bereits gut hundert Fanseiten Post von einem Anwaltsbüro bekommen. Alle Seiten, die Logos und
Fotos verwenden an denen Endemol die Rechte hält, müssen mit Klagen im Sinne des Copyright-Gesetztes
rechnen. Selbst Screenshots und
Tonmitschnitte aus der TV-Sendung und den Internetkameras seien geschützt, so Rainer Laux, Produzent
der Hürther Trash-Biosphäre.

Die Spaßverderber von Endemol beanstanden, dass die meisten der unabhängigen Seiten sich nur über
Big Brother mokieren wollen. Und da das 100 Tage-Spiel eine ernste Sache ist, sollte möglichst nur im Keller
gelacht werden. Leider hat weder das Internet noch der Container einen solchen und so wird am besten gar nicht
mehr gelacht. Jedenfalls nicht über Big Brother.

In diesem Sinne unterscheiden sich das offizielle Big Brother-Internet Angebot und Big Brother Fernsehen nicht.
Das Internet-Angebot ergänzt die Fernsehsendung und suggeriert dank der 24-Stunden Kameras eine grössere
Nähe zu den Kandidaten. Die Big-Brother Webpage könnte ohne das Fernsehangebot nicht existieren. Die
Webpage wiederum nutzt den Charakter des Unmittelbaren, der dem Netz anhaftet und wirbt, für die
Reality-Soap, die doch keine ist. Das Internet dient hier lediglich als Spiegel der klassischen Medien.
Wirkliche Überraschungen sind weder von dem einen noch von dem anderen Format zu erwarten, dafür
ist die Endemolsche Medienmaschiene viel zu glatt geschmiert.

Der rechtlich verfolgte Sand im Getriebe bietet das, was über ein blosses Abbild des Fernseh Big Brother hinausgeht
und manches, was an der perfekten Containerfassade kratzt. Herausragend ist das Diskussionsforum,
das inzwischen von Bild gehostet wird und unter www.bigbrother.bild.de nicht nur Raum für Klatsch und Tratsch
rund um die Bewohner bietet. Gradezu spektakulär ist das hier abgelegte Tagebuch, in dem schlaflose Menschen
genaue Transkripte aller Dialoge und Vorgänge im Haus anfertigen. Natürlich handelt es sich hier nur um die
Protokolle Endemolscher Internet-Realität, es zeigt aber zumindest die Inszenierung in voller Länge.
Frei erfunden aber in ihrer Überspitzung sehr containergetreu sind die Dialoge, die unter http://www.derjuergen.de.st/
zu lesen sind.
Dort lässt sich zum Beispiel die WG-Katze Sternchen über den Lachsack
mit Airbag (Sabrina) aus und in Bemerkungen wie
"welcheschulesolldasdennseindiewodubesuchthaschtbaumschuleoderwas?"
erwächst in Zlatko eine echte Konkurrenz für Stephan Raab.
Auf anderen Sites stellen sich virtuelle Big Brother WGs vor und
sogenannte hate-pages bieten virtuellen Raum
zu hemmungslosem Beschimpfungen besonders unbeliebter Bewohner.

Eigentlich gehört dies alles zum Big Brother-Spiel dazu, eigentlich erhält auf diesen Seiten die Internet-Präsenz
von Big Brother etwas von ihrem spielerischen Sinn zurück, den sie auf der offiziellen Seite niemals hatte.
Es soll niemand mit der Big-Brother Marke Geld verdienen, außer Herr Endemol, auch nicht im Internet.
Das ist nachvollziehbar. Eigentlich bringen die völlig unkommerzielle Seiten ja den Machern einen gewissen
synergetischen Publicity-Effekt. Leider entziehen sie sich aber der Kontrolle von Endemol, und was Endemol
nicht kontrollieren kann, lassen sie lieber verbieten. Wahrscheinlich offenbart sich in diesem Detail der wahre
Sinn des Titels: Big Brother. Endemol is watching you.