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Die seit Jahrzehnten dramatisch sinkende Wahlbeteiligung bei den Europawahlen bereitet nicht nur den Europäischen Grünen Sorge. Mit ihrem Projekt „Green Primary“ geht die Partei in die Offensive und versucht, das europäische Wahlvolk zu mobilisieren. In einer Online-Abstimmung sollen alle EU-Bürger, die sich den grünen Zielen verbunden fühlen, über das Spitzenduo der Europäischen Grünen Partei (EGP) für die Europawahlen 2014 abstimmen. Jetzt beginnt der Endspurt – die Wahlen laufen noch bis zum 28. Januar.
Die beiden Gewinner der Vorwahlen werden das Gesicht der EGP im Europawahlkampf 2014 sein und die 36 nationalen Grünen Parteien bei diesem unterstützen. Außerdem sind sie die Kandidaten der EGP für die Wahl des Kommissionspräsidenten. Dass die EGP diesen stellen wird, kann indes als unwahrscheinlich gelten. Zur Wahl stehen ein Mann und drei Frauen: José Bové kommt aus Frankreich, Monica Frassoni aus Italien, Rebecca Harms und Ska Keller kommen aus Deutschland.

Ungleiche Beteiligung – gute Reaktionen

Über den bisherigen Verlauf des einzigartigen Projekts zeigt sich Johannes Hillje, Campaign Manager der EGP im diesjährigen Wahlkampf, sehr zufrieden. Die Idee werde insgesamt gut aufgenommen, sowohl von den Bürgern als auch auf politischer Ebene in Brüssel. Dort gelte die EGP als Partei mit dem demokratischsten und innovativsten Prozess zur Kandidatenkür. Die Wahlbeteiligung liege bislang im fünfstelligen Bereich. Erwartet wird aber noch eine Steigerung, da die heiße Mobilisierungsphase erst in den kommenden Tagen beginnt. Die Wahlbeteiligung wie die Teilnahme an Chats und Hangouts fallen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sehr ungleich aus. Auch die Besucherzahl der Offline-Debatten in europäischen Hauptstädten – die alle im Netz gestreamt werden – variiert nicht unerheblich. Hillje erklärt, dies hänge sowohl mit dem unterschiedlichen Einfluss der jeweiligen nationalen Partei als auch mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen zusammen.

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Seit Jahrzehnten dramatisch am Fallen: Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen.

Anlass für dieses Projekt ist unter anderem die sinkende Wahlbeteiligung bei den Europawahlen. Lag sie 1979 noch bei durchschnittlich 63 Prozent, erreichte sie 2009 ihren neuen Tiefstand mit 43 Prozent. Die Europäer sehen die Verantwortung für diese Entwicklung auch bei den Parteien. Sie würden die Wahlen häufig für nationale Themen instrumentalisieren, anstatt ihren europapolitischen Schwerpunkt zu kommunizieren. Diesen Vorwurf jedoch kann man den Europäischen Grünen wohl kaum machen. Dementsprechend groß sind die Erwartungen an das gesamteuropäische Projekt Green Primary.

Transnationalisierung und E-Democracy

Die EGP eint das Ziel, die EU ökologischer, gerechter und solidarischer zu machen. Die Unterschiede zwischen den Programmen der einzelnen Kandidaten sind folglich nicht sehr groß. Das Interesse gilt meist Europa und seinen Bürgern, betont wird aber durchaus, dass die Herausforderungen dieses Jahrhunderts global sind. So macht sich Ska Keller stark für eine EU, die im Interesse der Menschen (und nicht dem der Banken) über die Grenzen Europas hinaus handelt. Auch ein „general interest“, wie es laut José Bové ins Herz Europäischer Politik zurückkehren muss, umfasst die globale Gesellschaft und ihre gemeinsame Zukunft.
Und dies ist – neben dem Format der Online-Vorwahlen – das eigentlich Neue an diesem Projekt: Die Grünen unternehmen den Versuch, die EU verstärkt zu politisieren, indem sie plebiszitäre Verfahren ausbauen und dabei sogar auf Parteizugehörigkeit als Voraussetzung verzichten. Sie wissen, dass die Etablierung einer europäischen Identität eine transnationale, europäische Öffentlichkeit verlangt, und das Green Primary-Experiment verdient aus diesem Grund schon jetzt Anerkennung.
E-voting-Verfahren – Wahlen über das Internet – hingegen finden schon seit Jahren in Mitgliedsstaaten der EU statt, zum Beispiel in Estland. Auch bei der EU überlegt man schon länger, ob sich die Wahlbeteiligung durch solche Verfahren  erhöhen ließe, umgesetzt wurden derlei Verfahren jedoch bislang noch nicht.
Das Projekt der Grünen besitzt Vorzeigecharakter für eine transnationale E-Democracy. Aber es fällt auf, dass eine aufgeklärte Netzpolitik nicht im Programm der Kandidaten zu finden ist. In ihren Vorstellungsvideos legen sie vor allem Wert auf die grünen Kernthemen. Die Kandidaten sollten die Gelegenheit nutzen, das Format zu stärken, indem sie mehr Partizipationsmöglichkeiten in Europa, insbesondere mithilfe neuer Medien, einfordern.
Bilder: oben: (bearbeitet, Originalbild) EFF (CC BY 2.0 via Flickr) ; Grafik: bpb (CC BY-NC-ND 3.0 DE)
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