Erinnern online. Auschwitz bei Facebook, das Anne-Frank-Haus virtuell und ein Tweet aus dem
Holocaust Memorial Museum in Washington. Sieht so die neue Art des Erinnerns aus? politik-digital.de hat über das Thema Erinnern und Vergessen im Netz mit Viktor Mayer-Schönberger und Erik Meyer gesprochen.

In der vergangenen Woche fand in Berlin die internationale Konferenz „httpast://digitalmemoryonthenet“ statt, veranstaltet von der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek und 3sat Kulturzeit. Dazu waren Experten aus dem universitären, musealen und journalistischen Bereich eingeladen. Diskutiert wurde darüber, wie digitale Medien zunehmend Einfluss auf das historische Verständnis haben und somit neue Zugänge des Erinnerns und der Vermittlung von Geschichte ermöglichen.

Einigkeit herrschte auf der Berliner Konferenz darüber, dass das Internet vielfältige neue Zugangsweisen zu zeitpolitischen Themen im Unterricht schafft. Dr. Erik Meyer, Politikwissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität Gießen, referierte zum Thema „Crowdsourced Memory“ im Rahmen der Session „Erinnerungskulturen online – Webseiten und Bildungsangebote im Internet“. Er sieht ein großes Potenzial für die politische Bildung, wenn „eine Verbindung von historischem Lernen und der Vermittlung von Medienkompetenz“ realisiert wird. Meyer äußerte sich weiter gegenüber politik-digital.de: „Das Internet als Gedächtnismedium weist die Möglichkeit auf, dass die Speicherung von Daten mit ihrer Verbreitung tendenziell zusammenfällt“. Eine Selektion von Beiträgen nach ihrer Relevanz falle somit weg. Weniger positiv sieht Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance und Regulierung am Oxford Internet Institute, den Nutzen des Internet für die Erinnerungskultur. Für ihn birgt das Netz neben den Chancen auch Gefahren, da es als Folge der De- und Rekontextualisierung von Inhalten durch Suchmaschinen und eine Anordnung unabhängig von der Zeit niemals neutral sei. Er verweist hier auf die Kranzbergschen Gesetze.

Notwendig ist in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung zwischen “privat“ und „öffentlich“: Bei der privaten Nutzung des Internet und der sozialen Medien stehe der Verbraucher selbst in der Verantwortung, zu entscheiden, was er veröffentlicht, so Meyer. Für alle anderen Daten, die von öffentlichem Interesse seien, sollte es jedoch eine Archivierungsmöglichkeit geben. Meyer weiterhin: „Vergessen werden doch alle die Daten, so könnte man argumentieren, die nicht aufgerufen werden…“, es stehe hier also nicht primär das Vergessen im Vordergrund, sondern der Aspekt der „Aufmerksamkeitsökonomie“. 


Wie könnte eine Umsetzung des Vergessens im Internet aussehen?


Das Bundesministerium des Innern hat in der vergangenen Woche einen Ideenwettbewerb zum Thema "Vergessen im Internet" ausgerufen, mit dem es Lösungen für die permanente Verfügbarkeit von Daten im Internet finden will. Viktor Mayer-Schönberger sieht darin einen Beleg dafür, dass die Problematik und die ernsthafte Auseinandersetzung in der Politik angekommen sind. Andere Beispiele für Initiativen, die das Phänomen des Vergessens im Netz thematisieren, sei etwa die Ankündigung der EU-Kommission, die EU-Datenschutzrichtlinie durch Aufnahme eines Rechts auf Vergessen zu ergänzen, sagte Mayer-Schönberger. „Wichtig ist, dass wir nicht die perfekte technische Lösung im Auge haben dürfen. Wenn es beispielsweise gelänge, Google und Facebook dafür zu gewinnen, dass Nutzerinnen und Nutzer auf ihren Webseiten und beim Posten auf Facebook ein Ablaufdatum eingeben könnten und Google und Facebook dieses respektieren würden“, so der Oxforder Professor, sei schon eine Menge gewonnen. Sogar die technische Infrastruktur dafür sei schon gegeben: „Für Webseiten gibt es bereits einen Ablaufdatums-Metatag von Google, den Google bloß ernst nehmen muss“, führt Mayer-Schönberger aus.

Fazit:
Erinnern und vergessen gehörten schon immer zum Menschen und es wurden schon immer externe Speicher genutzt, wie Malerei und Schrift. Im digitalen Zeitalter wird das Internet zu diesem Speicher mit der Besonderheit, dass sich jeder einbringen kann und ein globaler Austausch ermöglicht wird. Die Aufgabe der Gesellschaft und jedes Einzelnen ist es, sich zu entscheiden, welche Form der Erinnerungskultur für ihn Gültigkeit haben soll.

Privacy Preference Center