faceeuropeEs sind keine drei Wochen mehr, bis die Menschen in Europa an die Urnen dürfen, dennoch scheint der Europa-Wahlkampf für viele Menschen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Auch im Netz begegnet einem das Thema nur sporadisch, dabei setzen die politischen Akteure mehr denn je auf den digitalen Wahlkampf im Web. Im Interview mit Kommunikationsberaterin Kathrin Voss sprachen wir über den aktuellen Stand, aber auch die Defizite und Grenzen des Online-Wahlkampfs zur Europawahl 2014.
Die Bedeutung der EU für die operative Politik bzw. ihre Kompetenzerweiterung in vielen Politikfeldern steht in deutlichem Konflikt zu der aktuell eher europaskeptischen Stimmung in der Bevölkerung. Die Strukturen scheinen den meisten EU-Bürgern intransparent, träge und bürgerfern. Die mangelnde demokratische Kontrolle und Legitimation stehen immer wieder in der Kritik. Während rechtspopulistische Parteien Stimmung gegen die Staatengemeinschaft machen, wirken die etablierten Parteien unfähig oder unwillens, für die EU in die Bresche zu springen. Auf Wahlplakaten wird entweder der Bundestags-Wahlkampf kopiert oder auf Personen und innenpolitische Themen aus Deutschland zurückgegriffen.
Doch wie können die komplexen Fragen zur europäischen Politik thematisiert werden, wie kann der tiefen Verunsicherung und Skepsis innerhalb der Bevölkerung begegnet werden und wo ist Raum für konstruktive Debatten jenseits verkürzter Parolen? Klar, im Internet – zumindest theoretisch. Praktisch weiß man mittlerweile, dass das demokratisierende Potenzial des Internets nicht überbewertet werden darf. Dennoch sind die Fachbücherlisten spätestens seit Barack Obamas Erstwahl 2009 von Beiträgen gezeichnet, die politischen Erfolg zumindest teilweise an eine ausgetüftelte Online-Strategie knüpfen. Doch wie ist es um den digitalen Wahlkampf zur Europawahl 2014 bestimmt? Wer setzt auf welche Informationsquellen und auf wer schöpft das Potenzial der sozialen Medien aus? Wir haben Kommunikationsexpertin Kathrin Voss befragt.
 
politik-digital.de: Mit den Katzen-Memes und dem Face-Europe-Meme-Portal ist nun auch der Europawahlkampf um eine neue digitale Episode reicher. Bewegt sich die Politik allgemein besonders kreativ im Netz und besteht eine Tendenz dazu, das Format über die Inhalte zu stellen?

Kathrin Voss
Dr. Kathrin Voss ist selbstständige Beraterin, spezialisiert auf den Non-Profit-Bereich. Sie berät vor allem NGOs, Verbände und Behörden bei ihren Online- und Kommunikationsaktivitäten und analysierte u.a. für die BpB den Europawahlkampf im Netz.

Kathrin Voss: Solche kreativen Formen der politischen Kommunikation sind immer häufiger zu beobachten, allerdings wurden diese in den vergangenen Wahlkämpfen eher von Privatpersonen initiiert, wie z.B. der Tumblr-Blog zur Merkel-Raute 2013. Dass jetzt Parteien oder im Falle von Face-Europe die Europäische Kommission versucht, mit solchen Mitteln die Aufmerksamkeit auf die Europawahl zu lenken, ist schon interessant, aber auch etwas absurd. Da wird versucht, etwas innerhalb von kontrollierter Kampagnenkommunikation zu nutzen, das eigentlich per Definition viral, frei und unkontrolliert ist. Und im Falle der politischen Memes waren diese bisher ja auch immer eher als Satire und Kritik an bestehenden Verhältnissen in Umlauf gebracht worden. Daher funktioniert das jetzt als Kampagne auch nur bedingt. Bei Face-Europe sollen ja eigentlich positive Botschaften zum Thema „Ich wähle Europa, weil…“ entstehen. Schaut man sich jedoch die beliebtesten Posts an, dann sind das fast durchweg sehr europakritische Bilder und damit alles andere als die intendierten positiven Wahlaufrufe.
politik-digital.de: Das EU-Parlament hat ein beachtliches Budget für ihre Wahlbeteiligungskampagne aufgebracht (16 Millionen Euro, wovon rund ein Viertel auf Online-Medien entfallen). Wie schätzen Sie den Erfolg entsprechender Kampagnen-Arbeit ein? Kann die Kluft zwischen Bürger und Parlament mit Facebook-Humor und Twitter-Hashtags überwunden werden?
Kathrin Voss: Der Erfolg solcher Kampagnen ist immer schwer zu beurteilen. Das Interesse an Politik insgesamt und das Bedürfnis, sein Wahlrecht wahrzunehmen, werden durch sehr viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst, und die Kampagnen sind da nur ein kleiner Faktor. Dass die Kluft zwischen Bürgern und Politik allgemein durch gezielte Online-Kampagnen überwundenen werden kann, dass bezweifle ich ganz stark. Und wenn es um die besonders tiefe Kluft zwischen den Bürgern und dem europäischen Parlament geht, dann bezweifle ich das umso mehr. Das Internet ist und bleibt ein „Pull-Medium“, d.h. der Nutzer muss sich für ein Thema interessieren und aktiv danach suchen. Von daher ist es fraglich, wie viele politisch nicht interessierte Menschen, die bisher nicht vorhaben, bei der Europawahl zu wählen, sich durch Aktivitäten auf Facebook oder Twitter überhaupt erreichen lassen.
politik-digital.de: Sehen die Parteien im Internet die Möglichkeit, anders zu kommunizieren oder andere Zielgruppen zu erreichen? Was steht für die meisten Parteien im Zentrum ihrer Online-Strategie: senden oder empfangen, neue Zielgruppen erschließen oder bestehende intensivieren?
Kathrin Voss: Senden, hauptsächlich. Der offene Dialog mit den Wählern ist immer noch die Ausnahme. Zwar gibt es immer wieder Formate, die die Chance für einen Dialog mit den Wählern bieten, aber in erster Linie wird die Online-Kommunikation als Einbahnstraße genutzt, um eigene Botschaften zu verbreiten, z.B. in Form von Wahlslogans und Veranstaltungshinweisen auf den Parteiseiten oder Facebook und Co. Das ist sicherlich ein Ressourcenproblem, weil ein Dialog über Online-Plattformen entsprechend Zeit und Personal beanspruchen würde. Neben den Anfragen auf sozialen Netzwerken müssen sich Parteien und Politiker ja auch noch mit E-Mails und Anfragen über externe Plattformen wie Abgeordnetenwatch befassen.

“Einige sind sichtlich bemüht”

politik-digital.de: Eine Analyse der Mediennutzung von Politikern ergab kürzlich, dass 93 von 99 Bundestagsabgeordneten ein aktives Profil auf Facebook, Twitter, YouTube etc. haben. Wie nutzen die Abgeordneten den direkten Draht zu den Bürgern und in welcher Weise gehen sie mit Fragen, Kritik und Kommentaren um? Wie beständig sind diese Bemühungen, mit den Wählern in Dialog zu treten – oder ist das ein auf den Wahlkampf begrenztes Phänomen?
Kathrin Voss: Bei den Abgeordneten und Kandidaten ist die Bandbreite sehr groß. Einige sind sichtlich bemüht, ihre verschiedenen Online-Kanäle auch für einen Dialog mit den Wählern zu nutzen. Viele aber nutzen Facebook und Co nur, um ihre Wahlkampfbotschaften zu kommunizieren. Sie reagieren daher auch überhaupt nicht auf Nachfragen, die gepostet werden. Natürlich finden sich auf den Facebook-Seiten von Politikern auch viele sehr unsachliche, geradezu beleidigende Kommentare. Aber wenn auch auf sachliche Nachfragen nicht reagiert wird, dann ist diese Art von Online-Kommunikation eher kontraproduktiv.
politik-digital.de: Wie stark trennen die Parteien zwischen on- und offline? Unterscheiden sich die Botschaften in den unterschiedlichen Medien? Wäre es aus Ihrer Sicht zielführender, on- und offline zu vernetzen oder zwischen den Zielgruppen zu unterscheiden?
Kathrin Voss: Das Internet ist inzwischen ein Kanal für Wahlkampfaktivitäten neben anderen. Von der eigenen Webseite über Angebote in sozialen Netzwerken, YouTube-Kanälen und Tumblr-Blogs bis hin zu eigenen Community-Seiten nutzen Parteien und Kandidaten heute alles, was im Internet möglich ist. Konnte man noch vor einigen Jahren durchaus unterschiedliche Botschaften und Zielgruppenansprachen online und offline entdecken, so ist das heute kaum noch der Fall. Die Parteien koordinieren alle ihre Aktivitäten, online wie offline. Aber natürlich gibt es immer wieder einzelne Elemente von Kampagnen, die es so nur online gibt, wie zum Beispiel im aktuellen Europawahlkampf der Einsatz der Katzen-Memes durch die Grünen.

“Weit entfernt wir von einer staatenübergreifenden europäischen Öffentlichkeit”

politik-digital.de: Bei den diesjährigen Wahlen schicken die Parteien zum ersten Mal europaweite Spitzenkandidaten ins Rennen. Findet das Niederschlag in der Kommunikation im Netz? Lässt sich gar eine Transnationalisierung des Wahlkampfs beobachten?
Kathrin Voss: Wir sehen in der Tat dieses Jahr eine stärkere Personalisierung als jemals zuvor bei Europawahlen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Parteien und Kandidaten es bisher geschafft haben, den Grund dafür an die Wähler zu kommunizierten. Es gibt ja europaweite Spitzenkandidaten, weil der Lissabon-Vertrag festgelegt, dass bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten in Zukunft das Ergebnis der Europawahl zu berücksichtigen ist. Entsprechend werden die Spitzenkandidaten der Parteien gleichzeitig als Anwärter auf das Amt des Kommissionspräsidenten gehandelt. Bisher sehe ich aber nicht, dass sich dieser Zusammenhang in den Kampagnen widerspiegelt.
Auch die Transnationalisierung sehe ich derzeit nicht. Die Green Primaries waren sicherlich ein Versuch, das zu erreichen, in dem man eben europaweit online über das gesamteuropäisches Spitzenkandidatenduo abstimmen ließ. Die Resonanz war dann aber mit einer Wahlbeteiligung von nur rund 22.000 Menschen sehr gering. Das ist sicherlich auch ein Beleg dafür, wie weit entfernt wir von einer staatenübergreifenden europäischen Öffentlichkeit sind.
politik-digital.de: Eine weitere Neuheit in diesem Europawahlkampf: Ende Februar kippte das Bundesverfassungsgericht die Dreiprozenthürde für die Wahl zum Europäischen Parlament. Den Wahlkampf der kleineren Parteien dürfte das beflügelt haben. Inwiefern lässt sich dies online beobachten und wie würden sie die Bedeutung des kostengünstigen Online-Wahlkampfs für die Kleinstparteien einschätzen?
Kathrin Voss: Für die Kleinstparteien ist das Internet sicherlich als Kanal noch wichtiger als für die großen Parteien, schon deshalb, weil ihnen die massenmediale Aufmerksamkeit fehlt. Aber der kostengünstige Online-Wahlkampf ist ein Mythos. Kostengünstig ist allenfalls eine einfache, informative Webseite. Die Erwartungen der Menschen gehen aber darüber hinaus. Es müssen viele unterschiedliche Kanäle bedient werden, und das auch noch möglichst professionell. Entsprechend bemühen sich auch die meisten Kleinparteien um professionelle Wahlkampagnen auf verschiedenen Online-Kanälen. Welche Resonanz sie damit erreichen, das bleibt abzuwarten.
Screenshot: Face Europe
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