Deutschland ist nur noch Drittletzter im europäischen Vergleich. Angemahnt wird die fehlende Koordination. Der Bund solle als strategischer Kopf die Rolle des Gestalters im eGovernment übernehmen.

“Die deutsche Position ist alles in allem nicht sehr befriedigend. Im europäischen Vergleich schneiden nur noch Belgien und Luxemburg schlechter ab,” sagt Willi Kaczorowski, Leiter des Geschäftsbereiches Public Services bei Cap Gemini Ernst & Young (CGE&Y). Grundlage dieser ernüchternden Erkenntnis ist die neuste Studie von CGE&Y zum elektronischen Angebot öffentlicher Dienste liest. Sie ist Bestandteil des eEurope-Programms, das die Europäische Union aufgelegt hat, damit der Nutzen von Informationstechnologien allen Bürgern Europas zugute kommt. Im Ländervergleich setzen sich die nordeuropäischen Länder und Irland in puncto Umsetzungsgrad und Wachstum ihrer Online-Services klar ab, während Deutschland innerhalb eines Jahres im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern von Platz 14 auf Platz 16 abrutschte.

Erfreulich: Der Zuwachs der Online-Fähigkeit öffentlicher Verwaltungen in Europa beträgt im Vergleich zur
ersten Erhebung im Oktober 2001 durchschnittlich 15 Prozentpunkte. Insgesamt sind damit inzwischen 60 Prozent der öffentlichen Dienste abgedeckt.

eGovernment mit beispielhaften Lösungen fördern

Die jetzt in Berlin präsentierte webbasierte
Untersuchung des elektronischen Service-Angebots der öffentlichen Hand misst gleichzeitig die Fortschritte bei der Entwicklung neuer Dienste und wird halbjährlich aktualisiert. Im Auftrag von EU-Kommission und der Generaldirektion “Informationsgesellschaft” erarbeitete der Management- und IT-Berater CGE&Y diese eGovernment-Benchmarking-Studie in 15 EU-Mitgliedstaaten plus Island, Norwegen und der Schweiz (seit Februar 2002).

„Wir wollen mit dem Bericht einen Vergleichsmaßstab anbieten und gute Beispiele für die europäischen Länder vorstellen. Während einige Staaten ihre Entwicklung beschleunigen sollten, sind viele andere nicht mehr weit von der 100 Prozent Marke der vollständig elektronischen Öffentlichen Dienste entfernt,“ so EU-Kommissar Erkii Liikanen. eGovernment sollte sich in Europa verstärkt darauf konzentrieren, aus staatlichen Behörden kundenorientierte Dienstleister zu machen.“

Analysiert wurden 10569 Internetseiten der öffentlichen Hand auf der Grundlage 20 öffentlicher Dienstleistungen für Bürger bzw. die Wirtschaft: so etwa Sozialleistungen, Gewerbe- und Umzugsanmeldung, Uni-Immatrikulation, Zollerklärung, Beschaffung von Geburts- und Heiratsurkunden, öffentliche Beschaffung oder gesundheitsbezogene Services. Klassifiziert wurden sie in vier Servicekategorien: Einnahmengenerierende, bei denen Bürgern und Unternehmen Zahlungen an ihre Behörden erleichtert werden, Registrierungsdienste, in Leistungen für Bürger und Unternehmen, wie etwa Arbeitsplatzvermittlung oder öffentliche Bibliotheken sowie in den Bereich absoluter staatlicher Hoheitsgewalt: den Genehmigungen und Konzessionen, gleichsam Service-Schlusslicht. Kaczorowskis wenig überraschendes Fazit: “Wo der Staat Einnahmen erzielt, hat er die Möglichkeiten des eGovernments konsequent und umfassend genutzt.”

Von der Information zur Interaktion? Wirtschaft contra Bürger

Vier Stufen der Online-Entwicklung wurden zugrunde gelegt. In dieser eGovernment-Wertschöpfungskette wurden 25 bis 49 Prozentpunkte für reine Information vergeben, 50 bis 74 Prozent für Interaktion. In dieser zweiten Stufe sind bereits Downloads und ausdruckbare Formulare im Programm. Die zweiseitige Interaktion kommt dann durch elektronische Formulare zum Start beliebiger Verfahren zustande und wird mit 75 bis 99 Prozent bewertet. Stufe vier bedeutet schließlich die hundertprozentige elektronische Fallabwicklung von der Entscheidung, Benachrichtigung über die Bereitstellung hin bis zur Bezahlung.

Bis auf wenige Ausnahmen haben diesmal alle Länder den Sprung zumindest zur einseitigen Transaktion geschafft. Ausser Belgien, Luxemburg und Deutschland. Im Bundesdurchschnitt rangieren öffentliche Websites noch immer auf reinem Informationsniveau. Gewiss wird die Studie dabei den zuweilen eklatanten regionalen Unterschieden nicht gerecht. Sie offenbart jedoch, dass Bundesservices insgesamt besser aufgestellt sind als die der Länder und Kommunen.

Von der Information zur Interaktion? Fehlanzeige. Vorbildlich zeigt sich der Bund lediglich bei öffentlichen Angeboten für Unternehmen, während der Normal“-Bürger sich in Bescheidenheit üben muss. Ob in der Abwicklung von Körperschafts- und Umsatzsteuer, der Übermittlung von Daten an Statistikämter, Zollerklärungen oder öffentlicher Beschaffung (eProcurement): fast überall volle Transaktionsfähigkeit im Austausch mit der Wirtschaft! Einziger Ausreisser bleiben Sozialbeiträge für Mitarbeiter mit nicht einmal 50 Prozent. Immerhin kann der Bürger schon seit April 2002 seine Einkommensteuer
online entrichten. Zusammen mit der Arbeitsplatzvermittlung ergibt sich volle Transaktionsfähigkeit.

Keine nationale Strategie erkennbar

Für Willi Kaczorowski bleiben die nationalen Anstrenungen im eGovernment unverändert heterogen und
fragmentiert. Der nunmehr 16. Platz belege diese Einschätzung nachhaltig. “Es ist noch immer keine nationale Strategie zu erkennen. Der Begriff ,eGovernment’ taucht im Koalitionsvertrag noch nicht einmal auf. Um die Deutungshoheit im eGovernment streiten inzwischen bundesweit 5 Insititute. Hier haben wir einen Flickenteppich oftmals gleicher Aktivitäten ohne systematische Auswertung und Synergien.” Unverständlich erscheint dieser Mangel an Koordination gerade im Ausblick auf die immense Kostenersparnis. Rechnen Experten doch alleine bei eProcurement mit Einsparungen zwischen 30 und 40 Prozent.

Stark im Kommen, aber langsamer, weil kopflos?

eGovernment wächst weiterhin deutlich in Europa. Allerdings deckt die Studie auf, dass Wachstum und Online-Ausprägung öffentlicher Serviceangebote bescheidener ausfielen als zwischen der ersten und zweiten Erhebung. Offensichtlich nimmt die Geschwindigkeit des Wachstums mit steigendem Online-Grad in vielen Ländern, gerade in Deutschland, ab. Zeitigten die Anstrengungen im April 2002 noch ein sechsprozentiges Wachstum auf 46 Prozent, so verlangsamte sich die Fahrt in Deutschland auf aktuelle 48 Prozent.

Kaczorowski: “Wir haben keine systematische Durchdringung in der Frage, was, wo im eGovernment angeboten werden soll. Das
digitale Ruhrgebiet als Ballungsraum mit 5,7 Millionen Bürgern gilt hier als derzeit interessantestes Projekt. Die Initiative
Bund-Online 2005 hat zwar die Zuständigkeit erkannt, aber das reicht nicht mehr aus. Der Bund muss als strategischer Kopf die Rolle des Gestalters im eGovernment umfassend übernehmen.” Kopfloses Deutschland? Als Zentrum schlägt die Studie eine Agentur “Deutschland online” mit Koordinations- und Katalysatorfunktion nach
schwedischem Vorbild vor. Letztlich muss die Modernisierung aber an der Basis erfolgen. Auf interkommunaler Ebene sollten verstärkt auf Plattformen eGovernment angeboten und breiter kommuniziert werden.

Erschienen am 13.2.2003