childKann die Digitalisierung den Fortschritt in Entwicklungsländern wie Guatemala beschleunigen? Die bisherigen Erfahrungen in Guatemala lassen hoffen. Durch Ideen wie neu entwickelte Apps im Bereich Migration und die zunehmende Digitalisierung in der Schule könnte Guatemala aufschließen. Doch das Land steht immer noch vor großen gesellschaftlichen und politischen Herausforderung wie Korruption, Armut und Kriminalität. Ohne Lösungen für diese Probleme bleiben auch viele Chancen des digitalen Fortschritts ungenutzt.

Dass das Internet weniger entwickelten Ländern die Chance bietet, zu den prosperierenden Ländern aufzuschließen, gehört zu den Erwartungen, die oft mit der Digitalisierung verknüpft sind. Die Hoffnung ist, dass durch neue Technologien und das Vernetzen per Internet Länder wie Guatemala die Chance bekommen, aufzuholen und beispielsweise durch die Digitalisierung der Bildung die Nachteile einer schlechten schulischen und universitären Infrastruktur auszugleichen. Generell lautete die Annahme, dass durch Leapfrogging, also das Überspringen einzelner technischer Entwicklungsstadien, Entwicklungsländer schneller Anschluss finden. Betrachtet man die Entwicklungen am Beispiel des mittelamerikanischen Landes Guatemala genauer, lassen sich jedoch nicht nur positive Effekte beobachten. Durch die schwierigen strukturellen Gegebenheiten in Guatemala ist das Mithalten in technischen Bereichen schwer. Es besteht sogar die Gefahr, dass Länder mit schlechteren Voraussetzungen wie Guatemala beim rasanten Fortschritt abgehängt werden.

Durch eine schwache Netz-Infrastruktur, vor allem in ländlichen Gebieten, kann Guatemala nur schwer im internationalen Vergleich bestehen. In den Regionen, wo die Menschen in extremer Armut (13,3%) leben und der Analphabetismus verbreitet ist, ist das Radio die einzige Quelle für Informationen. In den anderen Gebieten ist vor allem der Fernseher das Hauptmedium. Im Durchschnitt werden sieben Stunden pro Tag pro Haushalt ferngesehen, meist einer der vier Kanäle von Alba Vision. Dabei dreht sich fast alles um Sport, Fußball um genau zu sein. Wenn man sich in Guatemala länger aufhält, kommt man um die Frage “Madrid oder Barcelona?” nicht rum. Vorsicht bei der Antwort ist hier allemal geboten. Aber die Chancen für die richtige Antwort stehen ungefähr bei 50:50. Regionaler Fußball spielt hier so gut wie keine Rolle.

Einen eigenen Computer und Zugriff auf das Internet hat bislang nur ein geringer Teil der Bevölkerung (16%). Davon haben gerade einmal ein Prozent Anschluss über Breitband. Einen Antrag zum staatlichen Ausbau der Breitband-Infrastruktur lehnte die Regierung 2010 ab. Dies führte in Folge zum Ausbau des Mobilfunknetzes von privaten Betreibern.

In Guatemala wird vor allem das Smartphone für den Zugang zum Internet genutzt. Nicht nur für Whatsapp, Facebook und Co, sondern auch um fernzusehen oder Radio zu hören. Besonders für die Jugend Guatemalas spielt das Smartphone eine große Rolle. Mangels Alternativen gehen die Menschen meist mobil ins Internet. Vor allem die sozialen Medien, wie Instagram und Twitter, stehen hier hoch im Kurs. So bekommt man zum Beispiel ein Prepaid-Angebot für umgerechnet 25 Euro, welches 4GB Internet und zusätzlich unbegrenzten Zugriff auf Facebook und Whatsapp im Monat gewährt. In der Hauptstadt allerdings sind Technik und das Internet allgegenwärtig. Auch deswegen zählen guatemaltekische Unternehmen in Lateinamerika zu den Vorreitern der Digitalisierung. So hat selbst das staatlich geförderte Bussystem freien Wifi-Zugang. In der Praxis hapert es allerdings oft noch beim Verbinden.

Obwohl die Digitalisierung in Guatemala insgesamt hinterher hinkt, tut sich in einigen Bereich was. So zum Beispiel in den Bereichen Bildung und Migration.

Digitale Fernschule für guatemaltekische Kinder

In einem Land, wo der Bildungssektor mit der Unterernährung der SchülerInnen alle Hände voll zu tun hat, wo Dorfschulen überfüllt sind, die Kommunikation zwischen LehrerIn und SchülerInnen durch Sprachbarrieren oft erschwert ist, der Unterricht selten kontinuierlich stattfindet und Kinderarbeit nach wie vor ein Thema ist, spielt dort die Digitalisierung überhaupt eine wichtige Rolle?

VertreterInnen aus dem guatemaltekischen Bildungssektor meinen: JA! Und zwar lautstark. Auf einer Präsentation der Stiftung Telefonica wurden im Sommer 2016 einige Pilotprojekte vorgestellt. In einer qualitativen Studie wurden SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen von 17 Schulen befragt. Der Tenor: Wir brauchen mehr davon, mehr Kommunikations- und Informationstechnologien an den Schulen. Denn gerade mal knapp über 10% der öffentlichen Schulen in Guatemala haben Zugang zu technologischen Hilfsmitteln wie Tablets oder Computer. Dabei ist der Zugang zum (funktionierenden) Internet eher die Ausnahme. 2014 ware von insgesamt 32.000 öffentlichen Schulen lediglich 2.000 mit einem Computerraum ausgestattet und nur 193 hatten einen funktionierenden Internetzugang. Das liegt unter anderem auch daran, dass ein Großteil des Landes, vor allem in den abgelegenen Gebieten, keine Elektrizität hat. Oder es fehlt schlichtweg das Geld.

Der digitale Analphabetismus, also die Unkenntnis über die Bedienung eines Computer oder das Nutzen des Internets, ist in Guatemala weit verbreitet. Guatemala kämpft immer noch mit einer hohen Rate an Analphabeten, auch wenn offizielle Stellen nur von 13 % Analphabeten sprechen. Doch auch die Quote von 68% digitalen Analphabeten ist erschreckend. Allerdings hat man in Guatemala erkannt, dass Computerkenntnisse immer wichtiger werden. Vor allem ist es den Eltern bewusst. Laut einer Studie der Stiftung Telefonica sehen vor allem die Eltern, welche Chancen den Kindern das Erlernen der Technologien in der Schule eröffnet. Das Wissen über und der Umgang mit Computern kann einen entscheidenden Vorteil bedeuten. Der ist wichtig, um einen guten Job zu bekommen. Einen guten Job meint hier zunächst einen Arbeitsvertrag mit geregelten Arbeitsbedingungen. Denn derzeit ist der informelle Sektor beunruhigend groß. 74% der arbeitenden Bevölkerung zwischen 15 und 29 Jahren arbeitet ohne Arbeitsvertrag. 78% von ihnen haben keine Sozial- und Krankenversicherung.

Aber was lernen die Kinder, die Zugriff auf Computer oder Tablets haben? In der Grundschule geht es vor allem um ein erstes Kennenlernen der Computer und Programme. Vor allem Programme wie Paint, Encarta (Enzyklopädie) oder Mecanet (10-Finger-Lernmethode) werden von den SchülerInnen oft benutzt. Aber natürlich stehen auch Spiele bei den Kids hoch im Kurs. In der Oberschule wird vermehrt mit Word, Excel und Powerpoint gearbeitet. Doch auch das Erstellen und Hochladen von selbstgedrehten Videos über die Gemeinde zählen die SchülerInnen begeistert auf. Ein weiteres zentrales Element ist das Wissen darüber, wie man Suchmaschinen zielgerichtet verwendet. Kinder und LehrerInnen berichten übereinstimmend, welche positiven Aspekte die digitalen Medien auf die Lernmotivation haben.

DirektorInnen, Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen sind sich einig: Dringender Verbesserungsbedarf besteht bei der Zahl der zur Verfügung stehenden Computer und bei dem Zugang zum Internet. Außerdem sehen vor allem auch die LehrerInnen selbst den Bedarf von mehr Schulung für das Personal. Sie können das Potenzial, das die Technologien mitbringen, oft nicht ausschöpfen. Eine fundierte Ausbildung und Begleitung könnte den LehrerInnen das fehlende Know-How und die Unsicherheit nehmen.

Eine wichtige Frage ist die der Finanzierung. Generell scheinen vor allem internationale Akteure Computer, Tablets und Know-How zu spenden. Dazu gehören unter anderem die Europäische Union, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Weltbank, aber auch Unternehmen wie Microsoft und Intel. Heftige Kritik entzündet sich an der Rolle der Regierung. Durch Korruption (Korruptionsindex 2016: 136/176) und schlechter Administration wurden beispielsweise in 2016 nur 0.12% des Haushalts für Bildung von insgesamt 1,6 Milliarden Euro für Investitionen genutzt. Ein Bruchteil macht da die Digitalisierung aus, da zunächst Grundlegendes wie Waschräume für die SchülerInnen bereitgestellt werden muss.

Doch die Zeichen stehen auf Wandel. In Guatemala ist man sich im Klaren, dass das Erlernen der neuen Technologien notwendig ist, um der Gesamtentwicklung des Landes zu helfen. Laut des guatemaltekischen Think Tanks ASIES sind es bislang vor allem Privatschulen, die am technischen Wandel teilnehmen. Dennoch, am heutigen 23. Februar will die Regierung ein Konzept vorstellen, das unter anderem die sogenannte Fernschule einführt. In sechs Departamentos sollen versuchsweise ab der ersten Klasse SchülerInnen und junge Erwachsene die Chance haben, ihren Schulalltag flexibel zu gestalten. Durch eine oder einen TutorIn vor Ort und technologische Ausstattung sollen die SchülerInnen Anleitung und Aufgaben bekommen. Somit können sie einerseits in die Schule gehen und andererseits ihre Eltern bei der Arbeit unterstützen. Dies könnte eine Übergangslösung sein. .

Guatemala blickt nach vorne und versucht, mit Hilfe der Technologien mehr Kindern die Möglichkeit zur Bildung zu ermöglichen. Dafür muss die Regierung jetzt handeln und investieren. Mit neuen Reformanstößen, die die weitgehende Korruption und Fehler der Justiz bekämpfen will, könnte man diesem Ziel näher kommen.

Neu entwickelte App soll guatemaltekischen Migranten und Rückkehrenden helfen

Auch bei einem anderen gesellschaftlichen Thema setzen die GuatemaltekInnen auf die Nutzung von Technologien. Migration ist in Lateinamerika seit jeher ein Thema. Das Ziel der meisten: die USA. 2010 lebten beispielsweise rund 13 % der guatemaltekischen Gesamtbevölkerung in den USA. Aber bei weitem schaffen es nicht alle bis in die USA oder dürfen dort bleiben. Einige von ihnen müssen zurückkehren. 2016 waren es 83.166 Guatemaltecos, darunter auch viele Kinder. Diese haben es meist äußerst schwer, in der Gesellschaft wieder aufgenommen zu werden. Das Stigma der RückkehrerInnen ist für einige unüberwindbar. Dies bringt neue Probleme und Schwierigkeiten mit sich. Wie zum Beispiel den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Gelingt der nicht, flüchten sich einige in die Kriminalität oder den Alkohol.

Eval Rodas möchte mit seinen neu entwickelten Apps genau hier ansetzen. Während eine App MigrantInnen im Ausland unterstützen soll, versucht die zweite App den RückkehrerInnen die Resozialisierung zu erleichtern. Mit finanzieller Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration und der Vereinten Nationen hat Eval ein Tool entwickelt, das über Daten und Zahlen der MigrantInnen verfügt und dadurch gleichzeitig vor allem Kinder und Jugendlichen konsularisch unterstützen kann. Mit der App können MigrantInnen zusätzlich aktuelle Informationen und Adressen der Botschaften und Konsulate abrufen und Termine direkt reservieren. Außerdem kann im Notfall, vor allem bei Naturkatastrophen, schnell Hilfe geleistet werden. Dafür soll nun im nächsten Schritt ein Zentrum für die Koordination entstehen. Zusätzlich soll die App auch als Kommunikationsmittel genutzt werden und der Vernetzung und gegenseitigen Unterstützung der MigrantInnen dienen.

Für Eval war es klar, dass sich diese Ziele am ehesten mit einer App erreichen lassen. Beinahe alle MigrantInnen haben ein Smartphone.

Aktuell arbeitet Eval schon an der nächsten App. Damit greift er ein weiteres Problem direkt auf. Die neue App soll rückkehrenden MigrantInnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die App soll dabei ein Portal werden, in dem Unternehmen Jobangebote reinstellen und rückkehrende MigrantInnen ein Profil erstellen können.

Ausblick in die guatemaltekische digitalisierte Zukunft

Die Digitalisierung sollte Entwicklungsländern wie Guatemala eine Chance geben aufzuholen. Die Realität sieht meistens aber anders aus. Obwohl die Bevölkerung und die Regierung sich der Chancen bewusst sind, verhindern bislang gesellschaftliche Herausforderungen und politische Strukturen den Anschluss.

Es bleibt daher abzuwarten wie sich Guatemala weiterhin entwickelt. Sollte die Regierung nicht auf Digitalisierung im großen Stil setzen, wird es schwer werden. Dennoch, abseits der Regierung entwickeln sich an einigen Stellen großartige Ideen, die für Fortschritt sorgen können.

 

 

 

 

Titelbild:  child by sasint via pixabay, licensed CC0 Public Domain

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