Blogger und Website-Administratoren verhüllen kollektiv ihre Homepages, Internetnutzer rufen zeitgleich und massenhaft eine Website auf und User senden Fotos, um ihr Bild später gemeinsam mit denen andrer in Collagen auf einer Webseite wiederzufinden: Ein kurzer Abriss über die Geschichte der Online-Demonstrationen in Deutschland.

 

Die internationalen Anfänge dieser Form des Protests liegen in den 90er Jahren. Damals entwickelten Netzaktivisten verschiedene Formen des so genannten „Electronic Civil Disobience“, des elektronischen zivilen Ungehorsams. Aus dieser Zeit stammt das Konzept der virtuellen Sit-Ins. Die Idee ist, möglichst viele Menschen in einem vorher festgelegten Zeitraum auf eine bestimmte Website zuzugreifen, um eine Überlastung des Servers hervorzurufen.


Das von Netzaktivisten in den 90er Jahren formulierte Konzept virtueller Sit-Ins beschrieb Ricardo Dominguez in Einem Interview im Jahr 1999 als „Stück in drei Akten“. Damit war gemeint, dass nicht nur die Aktion selbst, sondern auch die Ankündigung im Vorfeld und die Kommunikation im Anschluss an die Online-Demo von großer Bedeutung ist, um das politische Anliegen zu verbreiten.
Gruppen von Aktivisten kamen aus den USA, Mexiko, Italien, Japan und England. Viele der Netzaktivisten hatten einen künstlerischen Hintergrund und hatten einen engen Bezug zur globalisierungskritischen Bewegung in den 90er Jahren.

Die ersten Online-Demos in Deutschland
Im deutschsprachigen Internetraum waren die ersten Online-Demonstrationen keine Aktionen des elektronischen zivilen Ungehorsams. Experimentiert wurde mit dem Internet als Ort für Proteste – und es wurden eigene, weniger extreme Konzepte entwickelt. Hierzu zählen unter anderem Netzstreiks, die besonders von technik- und internetaffinen Gruppen genutzt wurden.

Einer der Vorreiter der bis dahin noch recht unbekannten Form der Online-Demonstration in Deutschland war ein kleiner Verein. 1998 initiierte der Darkbreed e.V. einen überwiegend offline angelegten Protesttag gegen aus Sicht der Initiatoren zu hohe Gebühren für Ortsgespräche im Netz der Telekom und für die Einführung von Internet-Flatrates. Dieser Protesttag wurde durch den Versuch einer Online-Demo unterstützt. Die krankte daran, dass kaum eine Handvoll Website-Betreiber daran teilnahm. Diese waren aufgefordert, am Tag des Streiks kollektiv den Zugang zu ihren Websites mit dieser Protestseite zu versperren, um so im Internet auf das Thema aufmerksam zu machen.

Netzstreik für die Linkfreiheit
Deutlicher wurde das Potential dieser Form der Online-Demonstrationen zwei Jahre später beim Netzstreik „Gemeinsam gegen den Abmahnwahn“ des Vereins Freedom For Links, und den Betreibern von selfhtml.de und advograf.de im Jahr 2000. Mit einer Vorlaufzeit von zwei Tagen mobilisierten die Macher über 2500 Website-Betreiber, die für einen Tag lang den Zugang zu ihren Internetauftritten versperrten. Statt ihrer eigentlichen Startseite schalteten sie für 24 Stunden eine Vorschaltseite mit dem Hinweis „Netzdemonstration – Heute wegen Gerichtsverhandlung geschlossen“. Die Vorschaltseiten waren mit einer Informationsseite zum Protestthema verlinkt, die am Tag der Online-Demo 150.000 mal aufgerufen wurde.
Zum Einsatz kam diese Form der Online-Demonstration während der europaweiten Proteste gegen die Patentierung von Software in den Jahren 2003-2005, gegen das Gesetz zur verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland 2006 und 2007 sowie in leicht abgewandelter Form im Rahmen eines Online-Protesttages aus Solidarität mit Bürgerrechtsprotesten in Birma im Herbst 2007.



Stop Deportation Business

Das klassische Konzept eines virtuellen Sit-Ins wurde in Deutschland erstmals im Jahr 2001 von der Initiative Libertad! und „kein mensch ist illegal“ umgesetzt. Mit „Stop Deportation Business“ initiierten sie die bisher größte und kontrovers diskutierte Online-Demo, über deren Rechtmäßigkeit am Ende das Oberlandesgericht in Frankfurt entscheiden musste. Mit einer großen Werbekampagne mobilisierten die Macher 13.000 Menschen, die am 20.06.2001 kollektiv auf die Website der Lufthansa zugriffen, um gegen die Abschiebung von Flüchtlingen in Linienmaschinen zu protestieren.

Online-Demo vor Gericht

Einer der Initiatoren – der Betreiber der Libertad!-Website – wurde im Anschluss an die Demonstration wegen des Aufrufs zu Nötigung verklagt. Im Ermittlungsverfahren geprüft wurden unter anderem die Vorwürfe, dass das virtuelle Sit-In den Tatbestand der Computersabotage und der Datenveränderung erfülle. Beides fand jedoch letztendlich keine Erwähnung in der Klageschrift.
Im Jahr 2005 verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 900 Euro wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ über die Website. Das Gericht entschied, dass es sich bei der Blockade der Website mittels elektronischer Signale eine Form der physischen Gewalt und somit um eine Straftat handelte. Dieses erste Urteil wurde im Jahr 2006 von der nächsthöheren Instanz, dem Oberlandesgericht in Frankfurt, aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen. Die Einschätzung, dass ein virtuelles Sit-In eine gewalttätige Handlung darstellt, wurde durch das zweite Urteil im Online-Demo-Prozess vom OLG in Frankfurt zurückgewiesen.
Die Rechtslage ist jedoch trotz des Präzedenzfalls nicht abschließend geklärt und eine gesetzliche Festschreibung dieser wie anderer Formen des Online-Protests vorerst nicht in Aussicht.

Virtuelle Sit-Ins in Deutschland

Das damals ausstehende Urteil und der knapp fünf Jahre dauernde Rechtsstreit, wird als ein Grund angesehen, dass die nachfolgend in Deutschland durchgeführten virtuellen Sit-ins weitgehend anonym organisiert wurden und keine ähnlich hohen Teilnehmerzahlen mehr erreichten. Die Kommunikation im Vorfeld und im Anschluss an die Aktionen fand aufgrund der nicht absehbaren rechtlichen Folgen nur noch in sehr kleinem Rahmen statt.
Innerhalb der Netzgemeinde sind virtuelle Sit-Ins umstritten, da sie zu viel Datenverkehr erzeugen und so die ohnehin ausgelasteten Netze mit unnötiger Datenflut belasten.

Foto-Demonstrationen

Eine weitere Form der Online-Demonstrationen sind Foto-Demonstrationen. Abgesehen von der Aktion des „genetiXproject“ – einem Jugendverband von Greenpeace – in den Jahren 1998/99 hat diese Form Protests in Deutschland erst seit Mitte des Jahres 2005 an Bedeutung gewonnen. Foto-Demonstrationen sind nichtiDemonratie aus einer bestimmten Bewegung heraus entstanden. Im Verhältnis zu den anderen beiden Typen von Online-Demonstrationen decken sie ein relativ breites Themenspektrum ab. Die einzelnen Konzepte und das optische Erscheinungsbild der Foto-Demonstrationen variieren stark. Sie reichen von einer einfachen Darstellung der Bilder über Fotocollagen, einem virtuellen Gefängnis bis hin zu Online-Menschenketten. Einige Aktionen liefen zusammen mit breit angelegten Kampagnen, andere dienten zur Unterstützung oder Vorbereitung von Aktionen in der realen Welt und wieder andere wurden durch Aktionen in der realen Welt publik gemacht.

 

Avatar-Demonstrationen
Erst im Jahr 2007 auf der Bildfläche erschienen sind Avatar-Demonstrationen. Sie orientieren sich am ehesten an realen Protestformen wie Demonstrationen und Versammlungen. Reale Menschen setzen virtuelle Abbilder der eigenen Person ein, um sich mit anderen Avataren in virtuellen Welten, derzeit insbesondere dem Second Life, zu versammeln und zu protestieren. Im Jahr 2007 fanden dort unter anderem Avatar-Demonstrationen gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen Armut und für eine friedliche Revolution in Birma statt.

Avatar-Demonstration im Second Life