"Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie", sang
schon Pop-Schlager-Ikone Andreas Dorau in den 80er Jahren als das Internet noch lange nicht
erfunden schien. Und auch heute erscheinen die demokratischen Prozesse in unserer Gesellschaft
spannender als je zuvor.

Sieht man sich die Prognosen aus den frühen 90ern an, einer Zeit also, als das Internet erstmals
den Sprung aus den dunklen Stuben der Militärstrategen und hornbebrillter Nerds schaffte, so kann
man nur festhalten: Wohin die Reise geht, ist unklarer denn je. Galt damals die Vision des
elektronischen Wählens als das höchste der Cyber-Gefühle, so scheint die Digitalisierung gerade
dieses Aktes politischer Teilhabe unmittelbar bevorzustehen.

Aber was passiert derzeitig mit unserer Demokratie beziehungsweise der Politik durch die
"Vernetzung der Gesellschaft", welche Antworten und Beiträge sind von dort aus zu erwarten?
Trotz aller Skepsis und Probleme (Informationelle Selbstbestimmung, Multimedia-Gesetzgebung,
Kryptografie) sind derzeit nicht nur ökonomische Erfolge feststellbar, sondern viele Experten
gehen sogar von einer "Wiederbelebung des griechischen Marktplatzes" (Howard Rheingold) oder
auch von der "Neugeburt der athenischen Demokratie" (Al Gore) durch die Neuen Medien aus.
Sicherste Anzeichen für die "Digitalisierung der Politik" sind die weithin sichtbaren Online-Präsenzen
von Parteien (Virtuelle Parteizentralen), Politikern (Personality Server, Kandidatendomains),
Institutionen (www.bundestag.de,
www.bundesregierung.de
) und sogar Gesetzen (www.iukdg.de).
Eine weitere wichtige Rolle spielen die immer zahlreicher werdenden Online-Auftritte von Politikern
in Form von Online-Chats, die als digitale Fortsetzung von Bürgersprechstunden gelten können.
Derartige "Netzevents" können zukünftig nicht nur der Einbeziehung aller in den politischen
Meinungs-, Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß Vorschub leisten. Unverhohlen optimistische
Szenarios sehen in der Vertreibung der Politikverdrossenheit gleich auch noch die "die Befreiung
von uralten Geißeln der Menschheit" – Unternehmer-Visionär Jost Stollmann schließt so etwas
zumindest nicht aus.

In den politischen Organisationen dieser Republik scheinen solche euphorischen Statements,
die meist Ausdruck einer staatstragenden digitalen Vision sind, derzeit aber noch nicht angekommen
zu sein. Gerade der Umzug nach Berlin hätte hier ein wegweisendes Signal für die zukünftige
Organisation und Vernetzung der Abgeordneten und Ministerien sein können, zumal die technischen
Voraussetzungen durch den Informationsverbund Bonn-Berlin durchaus gewährleistet waren. Doch
wie immer haperte es weniger an der Technik, sondern doch mehr an den Menschen, die gerne
"menscheln" und mit dem Argument der "face to face-Kommunikation" sich gerne den anderen
verweigern. Die zukünftige Kommunikationsform zwischen Politiker und Bürger wird deshalb auch
davon abhängen, inwiefern Konzepte wie "Lebenslanges Lernen" – die ja bezeichnenderweise von
der Politik propagiert werden – auch in die Köpfe der Entscheider Einzug halten werden. Daher
wird die Berliner Republik nicht nur anhand ihrer geschichtsträchtigen Geografie gemessen,
sondern auch an den Umständen wie sie die Brücke ins 21. Jahrhundert bauen wird.

Das Baumaterial dafür ist heute schon vorhanden. Eine besonders wichtiges
Potential der neuen Technologien ist die Verwendung politischer Informationssysteme,
die gerade im Internet ihren "digitalen Mehrwert" ausschöpfen können. Innerhalb
einer sich im Zuge der steigenden politischen Kommunikation in den Netzen ebenso
konstant wie rapide ausbreitenden "Arena digitaler Politik" (Leggewie/Bieber)
werden vor allem Datenbanken wertvolle Dienste für Bestandsaufnahme, Pflege
und Zugangssicherung zu politischer Information nahezu aller Art leisten. Während
einzelne Web-Sites politischer Akteure zumeist einer gewissen Kurzlebigkeit
unterworfen sind, kann die offene Anlage von Datenbanken dazu beitragen, Kontinuität
und Stabilität in einer sich rasch wandelnden Online-Umgebung herzustellen.
So werden wohl neben den proprietären Datenbanken, die sich bei den politischen
Akteuren selbst im Aufbau befinden (Beispiele sind hier die internen Netze und
Datensammlungen von Parteien, Fraktionen, Verbänden, Interessengruppen oder
NGOs), gerade unabhängige und überparteiliche Informationsagenturen einen wichtigen
Gegenpol darstellen. Die Inhalte politischer Datenbanken können jedoch auch
einen schnellen Eingriff in politische Prozesse ermöglichen, da Informationsbereitstellung
und -aufbereitung beschleunigt werden und daraus strategische Vorteile in Zukunft
entstehen können. Doch nicht nur auf der exponierten Ebene der bundespolitischer
Angelegenheiten wird Politik in Zukunft digitaler. Bevorzugte Projekte kommunaler
Datenarchitekten sind "digitale Städte"
wie die "Digitale Stad Amsterdam" und immer häufiger auch "virtuelle Rathäuser".
Dabei verquirlen Klein-, Mittel- und Großstädte wie Bremen
, Esslingen und Nürnberg
Touristikinformationen, Ämteradressen und -öffnungszeiten, Infos aus dem
Stadtparlament und zuweilen auch interaktive Bürgerdienste zu einer neuartigen
städtischen Informationsmixtur. Die Errichtung digitaler Dienstschalter kann
durchaus zu einer effizienten und bürgernahen Verwaltung führen. Dem zweifellos
vorhandenen Rationalisierungspotential der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien
stehen auf dem Sektor der öffentlichen Verwaltung in Zukunft neue Möglichkeiten
zur Entwicklung und Betreuung digitaler, interaktiver Bürgerdienste gegenüber.
Eine Verschlankung der Verwaltung darf aber keineswegs ausschließlich den Personalbereich
betreffen: Auch so manchem Aktenordner stünde ein Gewichtsverlust gut zu Gesicht.

Was als Kostenreduktion im Magistrat beginnt, könnte sich aber auch schnell zur politischen
Plattform entwickeln. Ziel ist dabei nicht, das Kreuzchen auf dem Wahlzettel durch
Tastendruck zu ersetzen – politische Kommunikation mit dem Bürger ist gefragt. Ein Ort der
Entscheidung so der englische Soziologe Anthony Giddens sei das Netz nämlich nicht, aber ein
Ort der Kommunikation, ohne die Entscheidungen undemokratisch und ineffektiv seien. Natürlich
brauche die Öffentlichkeit Informationen, aber es gehe um Informationen, die durch Debatte
geschaffen würde. Diskussionen in Online-Foren beispielsweise über städtebauliche Maßnahmen,
sinnvolle Verteilung des Haushalts, mangelnde Kindergartenplätze oder soziale Probleme im Stadtteil
sind in den nächsten Jahren sicher schon Alltag. Aus ihnen werden sich reale Aktionen ableiten.

Für die Partzipation der Bürger an einer zukünftigen digitalen Demokratie lautet die
Grundvoraussetzung: keine Zugangsbarrieren. Im Moment scheint dies weltweit noch in weiter
Ferne zu liegen und für Schwellen- und Entwicklungsländer wird es schwer die technologische Kluft
zu den Ländern der nördlichen Hemisphäre in den nächsten 25 Jahren zu überbrücken.
Information-have und -have not wird es geben, solange Ungleichheit in der Verfügung über
Basisressourcen wie Energie, Telefon, die nur bei zirka einem Fünftel der Weltbevölkerung
vorliegt; in der geographischen Verteilung der Standorte der Netzwerkcomputer ganze
Kontinente und geopolitische Großräume ausblendet und aus kulturellen, sozialen, politischen
oder finanziellen Gründen Menschen der Zugang verwehrt bleibt.
Aber auch heute gibt es bereits eine Masse Netz-Aktivitäten sowie Aktivisten, die Partizipation
und Demokratisierung durch die Neuen Medien anstreben und das Netz auch als subversives
Politikmittel einsetzen. Denn auch autoritäre Staaten verfügen nicht ausreichend über Mittel,
die Kommunikation im Netz zu verhindern und anders als die Presse lässt sich das Netz nur
schwer, wenn überhaupt kontrollieren sagt z.B. Ossi Urchs. Eli M. Noam, Director des Columbia
Institute for Tele-Information an der Columbia University vertritt in dieser Hinsicht eine
andere Auffassung: "Die Politik eines Staates kann international manipuliert werden Warum mit
einem US-Botschafter verhandeln, wenn man sich auf den entscheidenden Kongressabgeordneten
direkt einschießen kann: durch E-Mail-Kampagnen, Einsprüche in sogenannten chat-groups und
Fehlinformation."

So bleibt es Grundvoraussetzung für die Vision einer Demokratisierung unserer Gesellschaft durch
die Neuen Medien, dass vor allem für wirtschaftlich arme Länder eine Chance bestehen muß zukünftig
an der digitalen Kommunikation teilzunehmen und deshalb die großen Industriestaaten ihre
Entwicklungshilfe auf den Ausbau der Kommunikationsstrukturen ausweiten müssen. Vor allem die
Kluft zwischen nördlicher und südlicher Hemisphäre könnte sonst in den nächsten Jahren noch viel
krasser werden und in eine tiefe Abhängigkeit münden.

Wie könnten die Netze der Zukunft aussehen?
Ein Möglichkeit besteht darin, dass sie weitaus differenzierter sein werden als heute. Z.B.
wäre es ja denkbar, dass gegen Bezahlung Gutbetuchte nicht mehr im Internet im Stau stehen,
sondern in geschlossenen Hochgeschwindigkeitsnetzen reisen werden. Skeptiker betonen, bisher seien
die Netze privat und wer die Wege besitze, dem gehöre auch die Kommunikation. Ausufern könnte
die Macht ohne staatliche Regularien in gezielter Desinformation, absichtlich fehlgeleiteter Information
oder dem Ausschluß unliebsamer Gruppen und Communities aus den Netzwerken.

Pit Schultz, Journalist, Internet-Aktivist und Initiator des
Klub-Radio
, "Technisch gesehen werden zwar derzeit noch alle Adressen von Datenpaketen unabhängig
von Herkunft oder Ziel gleich behandelt, dennoch betrifft das nicht die Ebene der Verteilung
des Wissens und der Entscheidungen über Kosten und Standards, d.h. der Art und Weise wie der
Transport dieser Informationen organisiert und reguliert ist. Nach längerer Internet-Nutzung
stellt sich heraus, daß manche Benutzer und Nutznießer gleicher sind als andere." Sind damit der
Manipulation Tor und Tür geöffnet?

"Die globale Wirtschaft: ist abhängig von einer sich schnell selbst erneuernden technischen Infrastruktur",
so Howard Rheingold, Visionär und Mitbegründer der virtuellen Community "The Well".
"Gnadenloser Wettbewerb zwingt globale Konzerne große Ressourcen auf die technische Entwicklung
zu konzentrieren. Aus diesen Gründen ist das einzige, was wir über die Welt von morgen sicher
sagen können, daß die Technologie machtvoller sein wird als heute. Und ganz besonders die
Kommunikationstechnologien werden – schon aufgrund ihrer Fähigkeit menschliche Wahrnehmung
zu beeinflussen und zugleich Maschinen steuern zu können – mächtiger und überzeugender."

Die fortschreitende technologische Entwicklung trägt die Wirtschaft nun vor allem im Bildungswesen
in Form einer "Privat-Public-Partnership" an die unter chronischem Geldmangel leidenden öffentliche
Einrichtungen weiter. Auch das ZDF als öffentlich-rechtlicher Sender ging eine Allianz mit dem
Monopolisten Microsoft ein. Können wir also in Zukunft mit Allianzen wie www.bundestag.cisco.de
oder www.eu.bertelsmann.com rechnen?

Wie das Internet die Demokratie in einem Vierteljahrhundert verändert – Ossi Urchs hat
"keine Ahnung was in 25 Jahren sein wird." Dennoch, denkt er, werde das Internet sicher seinen
Beitrag zum freien Informationsaustausch leisten, einen größeren als alle Medien davor, eben
weil es den interaktiven Austausch über soziale und kulturelle, geographische und zeitliche
Grenzen hinaus erlaube. Und fährt fort: "Und wie immer werden intelligente Menschen diese
Möglichkeit nutzen, um intelligenter zu werden, die Dummen dagegen werden es zu überhaupt nichts
nutzen können: sie werden die Opfer der Entwicklung sein. (Das sagte übrigens Robert Anton
Wilson Co-Autor von "Illuminatus" über die Medien im allgemeinen)." Howard Rheingold ist Optimist:
"Ich habe die Hoffnung, daß informierte und engagierte Leute die Cyber-Gesellschaft von morgen
in positiver Weise lenken werden, obwohl klar geworden ist, daß sich demokratische Resultat nicht
von selbst einstellen." Er schätzt, eine humanistische und widerstandsfähige Cyber-Gesellschaft
werde dabei nur herauskommen, wenn sie jetzt bewußt verstanden, diskutiert und geplant werde,
und zwar von einer großen Bevölkerungsschicht und nicht nur von der Wirtschaft, den Medien oder
der Politik-Elite. Nach dem Motto "Augen-zu-und-durch" packt John Perry Barlow, Mitbegründer der
Electronic Forntier Foundation, eine Gemeinschaft, die sich der Verteidigung der freien Meinungsäußerung
im Cyberspace verschrieben hat, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters an: "Als globale
Gemeinschaft bewegen wir uns in ein Zeitalter, in dem die redaktionelle Systeme, die unsere
Aufnahmefähigkeit auf ein ertragbares Maß reduzierten, zusammenbrechen werden. Die Zukunft verlangt
von uns, eine Neuorganisation gewohnter Filter und die Etablierung neuer Wege. Aber diese werden
sich von den bekannten stark unterscheiden. An diesem Punkt hilft es, sich zu sagen, alles wird
anders, aber wir wissen nicht wie und rasen trotzdem mit Hochgeschwindigkeit durch den Nebel."

Der Artikel wurde zusammen mit Angelika Eckert verfasst und ist in vollständiger Version
zuerst in der Jubiläumsausgabe zum 25jährigen Bestehen der Computerwoche (11/99) erschienen.

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