"General T" hat abgedankt. Er war der erste Internetkanzler und das für ganze zwei Monate. Ihm folgte  Reto", der den Job jetzt seit ca. einem Monat macht. Gemein ist beiden, dass sie politisch engagiert sind, aber dennoch keine reale Macht besitzen. Nun ist dies nichts grundsätzlich neues, da mit politischem Engagement nicht unbedingt der Besitz von politischer Macht einhergeht.

Die Politik-Community democracy online 2day", die bereits
die zweite "Kanzlerwahl im Internet" veranstaltete, möchte deshalb auch eher die heutige
Einstellungen der Internet-Generation an die Politiker vermitteln und zeigen, dass das Internet
sehr wohl als politisches Medium taugt. Dazu haben sie sich quasi ein politisches Monopoly-Spiel
im Internet ausgedacht, bei dem die einzelnen Parteien und ihre Kandidaten u.a. "Bimbes" sammeln
müssen, um den über 5.000 Mitgliedern zu zeigen wie engagiert sie sind.

Solche und andere Beispiele von Bürgerengagement wie Petitionen gegen die Flut von Werbeemails
oder Aktionen für die Einführung von günstigen Pauschaltarifen, die ohne Taktung abrechnen
zeigen, dass das Interesse an politischen Auseinandersetzungen im Netz
größer als je zuvor ist. Der eigentliche Inhalt gerät dabei im Vergleich zur Kommunikation
über das Ereignis sowie der Möglichkeit zur schnellen und unbegrenzten Vernetzung der Aktivisten
immer mehr in den Hintergrund. Bezogen auf das Medium erscheint dies sinnvoll, doch dem
demokratischen Image scheint es eher zu schaden.

Entsteht hier eine neue Form des Politikverständnisses und des Protests? In Fachkreisen gilt es
als unbestritten, dass das Internet als Medium sinnvoll eingesetzt werden kann, damit sich
Akteure besser aggregieren, aber auch artikulieren können. Angefangen von den E-Mail Bombardements
auf den französischen Präsidenten, als der die Atombombe unter dem Mururoa-Atoll hochgehen ließ,
bis hin zu den Aktivitäten von Teilen der jugoslawischen Bevölkerung, die unter dem Namen
"Cyber Yugoslavia" als sogenannte Mikronation im Netz firmiert, lässt sich die digitale Spur
des politischen Protests verfolgen. Dennoch besitzen solche Aktionen auch Auswirkungen auf die
"reale Welt". So plant die Mikronation Cyber Yugoslavia bei Erreichen einer Einwohnerzahl von
fünf Millionen Bürgern, eine Mitgliedschaft bei der UNO zu beantragen und somit als souveräner
Staat zu gelten. Demnach wollen sich die virtuellen Bürger ein Territorium von 20 Quadratmetern
von der UNO erbitten, in dem sie als Zentrum des Staates ihren Server platzieren können.

Für die Haudegen der mittlerweile "alten sozialen Bewegungen" muten diese neuen Artikulations-
und Vergemeinschaftungsformen wohl ein wenig seltsam an und momentan werden diese Aktionen im
Diskurs um gesellschaftspolitische Probleme eher am Rande wahrgenommen. Doch ablesbar an diesen
Beispielen ist, dass sich die Formen der politischen Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren
gehörig ändern werden, und dass sich hier nur der Anfang einer neuen politischen Kultur offenbart.

Ein Generationskonflikt?

Aber auch die hiesigen Aktivitäten auf dem Weg zur digitalen Demokratie werden äußerst skeptisch betrachtet
oder allzu oft fälschlicherweise auf das bloße Wählen am Computer reduziert. Sicherlich hatten
dem Netz verbundene Menschen wie Howard Rheingold oder Al Gore andere Hoffnungen als sie von
einer "Wiederbelebung des griechischen Marktplatzes" bzw. von der "Neugeburt der athenischen
Demokratie" sprachen. Überrascht muss man deswegen auch feststellen, das mit den ersten
Einbrüchen auf dem neuen Markt sowie mit einigen Konkursen sogenannter "Start-Ups" auch
gleichzeitig die digitalen Visionen einer demokratischeren und engagierteren Gesellschaft ins
Abseits geraten sind. Es wird kräftig gerudert zur Zeit, leider mehr zurück als nach vorn. Die
Rede von der wachsenden digitalen Spaltung (digital devide) zwischen Arm und Reich oder von der
Flut unnützlicher Informationen macht die Runde. Das Überschwängliche ist dabei zum Leidwesen der
politisch motivierten Akteure im Internet nicht dem Realistischen, sondern vielmehr einem
allgemeinen Pessimismus gewichen.

Doch wo sind die Chancen für die Demokratie, bei all den berechtigten Risiken, die zur Zeit
diskutiert werden? Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo zwischen Apokalypse und utopischen
Paradies. Zunächst hilft es einem sich zu fragen, wer die "Demokratie-Latte" in der Diskussion
so hoch gehängt hat. Wie fast alle Diskurse wird auch die Diskussion um die Entwicklungschancen
der Demokratie durch das Internet maßgeblich von einer Generation bestimmt, die sich selbst
eingestehen musste, schon die letzten Visionen auf dem Marsch durch die Institutionen zu Grabe
getragen zu haben. Das klingt gemein, weil diese Akteure meistens noch nicht einmal eine Ahnung
davon haben wie ein Computer funktioniert und jetzt auch noch dafür verantwortlich gemacht werden
sollen. Doch Unkenntnis schützt – wie oft erlebt – leider nicht vorm mitplappern, besonders nicht
wenn es um gesellschaftspolitische Visionen geht. So stellt man sich die berechtigte Frage, ob
neuerdings nicht ein wenig Schadenfreude mit im Spiel ist, wenn es um den vermeintlichen
"Hype ums Netz" geht.

Wie viel Bürgerdemokratie verträgt der Staat?

Immer noch kommen zu viele Parteien altbacken mit ihrem Internetauftritt daher oder lassen sie
ihren Mitgliedern nicht die Informationsfreiheit zu, nach denen das Medium geradezu schreit.
Zukünftig wird es mindestens genauso wichtig sein, den inneren Zusammenhalt mit der Basis in den
Parteien zu bewahren oder auch neu herzustellen, wie die offiziellen Website weiterzuentwickeln.
Auch die Netzinitiativen der Regierung lassen eine klare Richtung vermissen. Der Bundeskanzler
will Deutschland bis ins Jahr 2005 jede Dienstleistung der gesamten Bundesverwaltung online
bereitstellen, das Innenministerium verschlankt den Staat mit der Initiative
staat-modern und zahlreiche Kommunen und Städte arbeiten längst an der
kommunalen Online-Verwaltung (www.mediakomm.net), die vom Bundeswirtschaftsministerium mit
50 Mio. DM getragen wird. Doch wer kann da noch durchblicken oder Synergien nutzen? In diesem
Sammelsurium von Experten, Wissenschaftlern, Unternehmern und Politikern finden sich zwar immer
die üblichen Verdächtigen, teilweise aber auch in doppelter und dreifacher Funktion, ohne das ein
Hauch von Koordination durch die neuen Amtsstuben weht.

Deutschland rennt und keiner lenkt?

Sehr viel der jetzigen Multimediaintiative der Bundesregierung erinnert an die
Startschwierigkeiten nach der Wahl von Rot/Grün. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von
Booz Allen & Hamilton ("Digitale Spaltung in Deutschland – Ausgangssituation, Internationaler
Vergleich, Handlungsempfehlungen") kommt zu dem Schluss, dass noch erhebliche Defizite bei der
Abstimmung der verschiedenen Bemühungen bestehen. Es fehlt eine zentrale Stelle, die alle
Anstrengungen bündelt und den Informationsfluss beweglich hält. Ein spezielles
Internetministerium – wie es andere europäische Länder eingerichtet haben – wäre ein erster
möglicher Schritt. Dass eine solche Stelle dringend erforderlich ist, zeigt die Fülle der
Projekte und Initiativen, die derzeit wie Pilze aus dem digitalen Brachland schießen.
Landesregierungen, Ministerien, Verbände und Privatwirtschaft müssen sich stärker vernetzen und
in ihren Aktionen abstimmen. Denkbar ist auch eine Koordinierungsstelle für Konzeptionsarbeit,
ergänzt von einer bundesweit zugänglichen Datenbank zum Nutzungsverhalten, über das es noch
immer keine fundierten empirischen Erkenntnisse gibt und schließlich in der Praxis eine
konzertierte Bildungsarbeit, um die verbreitete Scheu vor der digitalen Technologie zu verringern.
Über ein solches Internetministerium müssten dann die jetzigen Internetregierungsaktionäre Schily,
Müller und Bulmahn verhandeln. Und allein daraus resultiert bereits ein neues Problem.
Vielleicht sucht "General T" ja gerade einen neuen Job bzw. was macht eigentlich Jost Stollmann?

Dieser Artikel erschien zuerst in der taz vom 19. Oktober 2000.