ArtikelbildLobbyPlagDiskussionen im und um das Internet bewegen sich oft zwischen zwei Polen: Privatsphäre und Transparenz. Die aktuelle Debatte über die EU-Datenschutzgrundversorgung ist ein passendes Beispiel. Auf der einen Seite die Datenschützer, auf der anderen Seite die datenhungrigen Wirtschaftslobbyisten. Aber Privatsphäre wird selbst von Anhängern eines strikten Datenschutzes nicht in jedem Kontext als positiv angesehen. Geht es um Hinterzimmerpolitik, soll Transparenz ans Licht bringen, was vormals verborgen war. LobbyPlag will genau das tun. In mühevoller Detailarbeit wurde analysiert, welcher EU-Abgeordnete welche Meinung zum neuen Datenschutzgesetz einnimmt.
Brüssel ist Schauplatz einer Schlacht. Gefochten wird auf Empfängen, bei Anhörungen und an Tastaturen, wenn Wirtschaftsvertreter ihre Vorstellungen eines europaweiten Datenschutzes in die Entwürfe schreiben. Welche Regelungen gelten künftig für Unternehmen und Behörden, die auf EU-Boden agieren? Soll es ein Recht auf Datenportabilität geben, ein Recht auf Löschung?

Info: Eine Arbeitsgruppe des “Internet & Gesellschaft Collaboratory” hat versucht, Ordnung in das Meinungs-Tohuwabohu zur Datenschutzreform zu bringen. Für das Projekt “360° Sicht” bekamen neun Personen aus unterschiedlichen Gesellschaftsecken jeweils dieselben Fragen gestellt.
Dazu zirkulieren angeblich mehr als 3.000 Änderungsanträge durch die Politikerbüros der belgischen Hauptstadt. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx hat sich kürzlich über den intensiven Lobby-Einfluss beklagt, der vor allem von dem Argument angetrieben wird, ein restriktiver Schutz von Daten sei unprofitabel. Verbände wie der Bitkom sorgen sich davor, dass Unternehmen Wettbewerbsnachteile entstünden, dürften sie Daten weniger leicht nutzen und austauschen. Gegen den Lobby-Sturm können Datenschutzverteidiger kaum anschreien, doch unversucht lassen sie es nicht. Anfang Juni übergaben Aktivisten um den Verein „digitalcourage“ einen an Innenminister Friedrich adressierten offenen Brief, der bisher 3398 Mitzeichner fand. Vergangenen Freitag forderte das Gezerre ersten Tribut. Das Verfahren wird verlängert, sodass ein Abschluss in diesem Jahr unrealistisch erscheint.
Das Projekt „LobbyPlag“ bietet nun eine Datengrundlage, die weitere Diskussionen auslösen könnte. Welcher EU-Parlamentarier vertritt in welchem Antrag welche Position zum Datenschutz? Wenige Klicks, und jeder weiß Bescheid.

Datenschutzfreundlichkeit bei – 147

Ohne Zustimmung des EU-Parlaments kann die Datenschutzverordnung nicht in Kraft treten. Die Institution ist ein neuralgischer Punkt im Gesetzgebungsprozess. Klar, dass sich die Konzentration der Lobbyisten nun auch auf die Abgeordneten richtet. Die haben ihre Meinung in Anträgen formuliert – die von „LobbyPlag“ Wort für Wort durchgesehen wurden.
Jeder involvierte Abgeordnete wird in einem kurzen Steckbrief vorgestellt, dem rechts ein knapper Überblick zur Seite gestellt ist. Dort springt ein Kreisdiagramm ins Auge, das sich je nach Einstellung zum Datenschutz verfärbt: grün heißt pro, rot heißt contra. In der Kreismitte steht ein Wert, errechnet aus dem Verhältnis zweier Kategorien von Anträgen: die einen wollen den Datenschutz stärken („stronger“), die anderen schwächen („weaker“). Ein positiver Wert bedeutet, dass der Abgeordnete in der Summe für mehr Datenschutz eintritt, ein negativer Wert das Gegenteil.
Unter den zwei Infokästen beginnt die Detailarbeit. Antrag um Antrag ist markiert, ob ein Satz höhere Datenschutznormen einfordert oder geringere. Die “LobbyPlag”-Redaktion hat also interpretiert – weswegen sie jeweils über zwei Buttons die Möglichkeit einräumt, zu diskutieren und zu korrigieren.
Einer Übersichtsseite ist zu entnehmen, welche Länder und Fraktionen mehrheitlich wie ausgerichtet sind. Dazu gibt es zwei Top-10-Listen: eine für die dem Datenschutz am meisten zugeneigten Volksvertreter, eine für ihre Kollegen am anderen Ende der Skala. Das Pro-Ranking führt der Grüne Jan Philipp Albrecht an, das Contra-Ranking der Christdemokrat Axel Voss.

Hintermänner

Hinter dem vom Journalisten Richard Gutjahr initiierten Watchblog „LobbyPlag“ stecken die Agentur „OpenDataCity“ und der Verein „europe-v-facebook“. Die 2010 gegründete Agentur ist spezialisiert auf datenjournalistische Dienste und hat etwa im Auftrag der „taz“ eine BER-Fluglärmkarte erstellt oder für die SZ den Zugmonitor, der live über die Verspätungen im Fernverkehr der Deutschen Bahn berichtet.
„europe-v-facebook“ geht auf den Jurastudenten Max Schrems zurück. Er setzt sich derzeit juristisch mit Facebook auseinander, weil er dem Netzwerk vorwirft, gegen den EU-Datenschutz zu verstoßen (eine Argumentationsgrundlage, die sich ändern könnte, sobald die fertige Datenschutzgrundverordnung einen EU-Standard definiert).
Erste Bekanntheit erlangte die Anfang 2013 gestartete Plattform „LobbyPlag“, weil sie das von Freiwilligen in Online-Plagiatsprüfungen erprobte Verfahren aufgriff und adaptierte: statt Doktorarbeitenauf fremde Ideen werden Gesetzestexte auf Lobby-Formulierungen geprüft. Die Gedanken anderer als eigene auszugeben war noch nie so ungemütlich wie heute. Klar ist: Bequemer wird es nicht – die Hinterzimmer sind heller geworden.
Update
Der Twitter-User @opheler hat einen berechtigten Einwand gegen die Einstufung in “mehr” oder “weniger” Datenschutz formuliert: “Die Realität ist weit komplizierter als “mehr” und “weniger” Datenschutz. Es geht um DS an den richtigen Stellen“.
Die Redaktion von “LobbyPlag” ist sich dieses Problems offenbar bewusst. Unter dem Punkt “Weaknesses of our method” erklärt sie dazu, dass nicht jede Einordnung eine politische Wertung im Sinne “gut” oder “schlecht” sei. So könnten z. B. Maßnahmen befürwortet werden, obwohl sie der Datenerhebung dienen. Inwieweit also “weniger Datenschutz” im Einzelfall schlecht ist, sollte nach Lektüre des jeweiligen Antrags entschieden werden.
 
Bilder: Screenshot LobbyPlag

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