Apfelbäume, Ozonwerte und Menschenfreunde: Am ersten Tag der Berliner Social Media Week versuchte man beim Talk in der Friedrich-Ebert-Stiftung anhand praktischer Beispiele dem Wesen der digitalen Gesellschaft auf den Grund zu gehen.

Von Beirut über Buenos Aires bis Berlin diskutieren dieser Tage Wissenschaftler, Marketingexperten und Medienaktivisten während der internationalen Social media Week über den Einfluss sozialer Medien auf Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Von ähnlicher Perspektive nahm man sich auch am Montag bei der  Konferenz "Die digitale, offene Gesellschaft" in der Friedrich Ebert Stiftung in Berlin dem Thema an – begann aber mit einer eher grundsätzlichen Reflexion über das Internet selbst. Dieses sei, so argumentiert der Medienwissenschaftler Stefan Münker in seiner Eröffnungsrede, vor allem "eine ganz materielle Geschichte". Schließlich seien die Billionen umgesetzter Dollar genauso wenig virtuell wie die weltweit Milliarden von angeschlossenen Geräten und Menschen. Die Hardware und die Logarhythmen bildeten dabei die Grundstruktur und formten immer mehr unsere Wahrnehmung, zum Beispiel durch die personalisierte Suche bei Google. Trotzdem sei das Internet eher eine soziale als eine technische Schöpfung, zitiert Münker den Begründer des www, Tim Berners-Lee. Die Bedeutung des Internet entstehe erst mit dem Gebrauch durch seine Nutzer. Deswegen ließen sich zukünftige Entwicklungen auch kaum vohersagen. Bestes Beispiel dafür sei der Wandel von Twitter vom persönlichen Befindlichkeitsorgan zur globalen Nachrichtenplattform. "It`s the practice, stupid!", resümiert Münker seine Keynote. Mit der praktischen Nutzung werde auch die Unterscheidung zwischen der realen und virtuellen Welt immer mehr obsolet, denn die Online-Aktivitäten würden immer stärker mit dem restlichen Leben verknüpft. 

Neue Formen des Kollektivs   

Wie soziale Interaktion im Netz mit dem realen Leben verbunden wird, diskutierte auch die anschließende Podiumsrunde mit Moderator Jens Best, Anke Domscheit-Berg vom Verein Government 2.0, dem Sozialunternehmer Jörg Rheinboldt, Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin sowie Katharina Frosch, Initiatorin von stadtgarten.org und mundraub.org. Letztere Initiative hat sich dem legalen "Mundräubern" verschrieben und bertreibt eine interaktive Karte, auf der Nutzer bereits mehrere tausend Orte mit herrenlosen Obstbäumen, Kräuterbeeten oder Himbeerhecken eingetragen haben. Inzwischen organisiere sich die Community selbstständig und das nicht nur online, erzählt Katharina Frosch: So hat sich beispielsweise eine Gruppe von "Mundräubern" zusammengefunden und gemeinsam eine Saftpresse erstanden. Der Austausch finde aber immer noch stärker online statt, eine gewisse Diskrepanz zwischen der virtuellen und realen Öffentlichkeit bleibe bestehen, vermutet Katharina Frosch.

Was die Digitalisierung vorantreibt, ist auch das Heilsversprechen, dass die digitale die bessere Gesellschaft sein kann. Der "Menschenfreund" Jörg Rheinboldt glaubt, dass die Menschen gerne gemeinschaftlich Gutes tun. Und deshalb biete die digitale Welt neue Beteiligungsmöglichkeiten: zum Beispiel die Spendenplattform betterplace.org, auf der Nutzer direkt und individuell gemeinnützige Projekte unterstützen können und deren Mitbegründer Rheinboldt ist.

Offenheit als Prinzip –  Information als Währung

Ein weiteres Phänomen der digitalen Gesellschaft ist die Bemühung, mithilfe des Internet den Staat und die Verwaltung transparenter zu gestalten. Dafür engagiert sich Anke Domscheit-Berg mit dem Verein Government 2.0 in Projekten wie dem Open Data Portal Berlin. Auf dem kürzlich online gegangenen Portal sind Datensätze und Statistiken aus der Berliner Verwaltung für jeden frei einsehbar. Mit der bloßen Offenlegung sei aber noch nicht viel erreicht. Mehrwert entstehe vor allem dann, wenn die Informationen maschinenlesbar seien und weiterverarbeitet würden. So wie bei der Anwendung Ozon-Sonar, die basierend auf den öffentlichen Datensätzen den aktuellen Ozonwert für Berlin grafisch visualisiert. Möglich wurde die erfolgreiche Umsetzung des Open Data Portals in Berlin nach Meinung von Domscheit-Berg auch dank abendlicher Offline-Stammtische mit Vertretern aus Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Auch Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin sieht die Notwendigkeit, bei der Gestaltung des digitalen Wandels alle Interessengruppen zusammenzubringen. Das geschehe beispielsweise innerhalb des globalen Internet Governance Forum (IGF), bei dem Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zum Dialog über die Regulierung des Internet zusammenkommen. Das sei für alle Beteiligten sehr bereichernd, versichert Hofmann, die regelmäßig den Foren beiwohnt, auch wenn das Gremium über keinerlei Entscheidungsgewalt verfüge und deswegen von manchen als "zahnloser Tiger" kritisiert würde. Zumindest aber fördere es den internationalen Austausch, ohne den eine Regulierung des globalen Internet gar nicht mehr denkbar sei.