Auf der Internetkonferenz re:publica hat das “Internet & Gesellschaft Co:llabo-ratory” die Forschungsergebnisse seiner 5. Initiative “Menschenrechte und Internet” vorgestellt. politik-digital.de sprach mit dem Leiter der Initiative Matthias Kettemann über den gesellschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit.

Die Publikation “Menschenrechte und Internet: Zugang, Freiheit und Kontrolle” ist das Ergebnis einer dreimonatigen Forschungsphase mit renommierten Experten aus verschiedenen Fachbereichen. Es sucht Antworten auf die Frage, wie sich klassische Menschenrechte auf das Netz übertragen lassen und welchen Beitrag das Internet zur Durchsetzung von Menschenrechten leisten kann. Die vorläufigen Ergebnisse des rund 30-köpfigen Teams des Internet & Gesellschaft Co:llaboratory wurden Ende März mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und der Öffentlichkeit diskutiert. Nun liegt der Abschlussbericht der von Google Deutschland finanzierten Kollaborationsplattform vor, der im Rahmen der re:publica in Berlin vorgestellt wurde. Die Publikation behandelt eine Vielzahl relevanter Themen, von der Zukunft der Internet Governance bis zu Formen legitimen Widerstands im Netz. politik-digital.de hat mit Matthias Kettemann, dem Leiter der 5. Initiative, über die Ergebnisse der Studie gesprochen, und darüber, was sie angestoßen hat.
Über Ideen, die das Internet & Gesellschaft Co:llaboratory für seine 6. Initiative bewegen, sprachen wir mit Sebastian Haselbeck, den Community Manager des Co:llaboratory.

Dr. Matthias C. Kettemann ist der thematische Leiter der 5. Initiative des Co:llaboratory. Er arbeitet als Universitätsassistent am Institut für Völkerrecht der Universität Graz und ist Co-Chair der Internet Rights & Principles Coalition.  Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Internet Governance und dem Schutz der Menschenrechte im Internet. Er schreibt und publiziert zu Menschenrechten, Sicherheit und Internet.

politik-digital.de: Ziel des Internet & Gesellschaft Co:llaboratory ist es nach eigenen Angaben, Internet-Experten aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammenzubringen, die die Veränderungen der digitalen Welt analysieren und Nutzen formulieren können, den die Gesellschaft aus diesen Entwicklungen ziehen kann. Im Fall der 5. Initiative “Menschenrechte und Internet”: Was ist die Haupterkenntnis, die die Experten aus Ihren Analysen ziehen, und welchen Nutzen für die Gesellschaft versprechen Sie sich davon?

Matthias Kettemann: Die Expertengruppe kam zu dem Schluss, dass das Internet nicht alles neu, aber vieles besser macht. Alle Menschenrechte, die offline gelten, gelten auch online. Das Rad muss nicht neu erfunden werden; es braucht nur bessere Stoßdämpfer. Gleichzeitig schafft das Internet neue Wege der Information und Räume für Kommunikation – auch neue öffentliche Räume – und ist ein Brennglas zur Fokussierung menschenrechtlichen Empörungs- und Engagementpotenzials. Wir merken gerade sowohl im nationalen als auch internationalen Kontext, wie wichtig es ist, diese Debatte zu führen. Das schließt auch mit ein, unaufgeregt über dieses Zusammenspiel zwischen Kommunikationstechnologie und Grundrechte zu sprechen, das in vielen politischen Bereichen eben auch für sehr viel Unsicherheit sorgt. Als Gesellschaft müssen wir offen über diese Veränderungen diskutieren.

Auch haben wir diskutiert, wie das Internet bei der Durchsetzung von Menschenrechten helfen kann, im nationalen wie im internationalen Kontext. Nicht nur, aber gerade in Ländern, die noch auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft sind, kann das Internet helfen, Rechte von Minderheiten besser durchzusetzen, indem es politische Teilhabe ermöglicht oder entlegenden Gemeinden hilft, sich zu vernetzen und zu organisieren. Probleme gibt es aber auch dort, wo man sie selten als solche betrachtet, also auch hier bei uns.

politik-digital.de: Die Initiative beschäftigte sich unter anderem mit dem Recht auf Internetzugang. Ist dieses Recht schon Realität?

Matthias Kettemann: Ja, es gibt ein Recht auf Internetzugang. Nur so können nämlich in der heutigen Informationsgesellschaft alle Menschenrechte gewährleistet wären. Wichtig ist es dabei zu unterscheiden zwischen einem Recht auf Zugang zu Informationen und Bildung (das einen Zugang zum Internet mit einschließt) und einem Recht auf Internetanschluss. Für Deutschland haben die Experten gezeigt, dass ein Recht auf Internetzugang sich aus geltendem Recht ableiten lässt. Auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf freie Meinungsäußerung Frank la Rue, mit dem wir im Zuge der Initiative ein Interview geführt haben, bestätigt dies, indem er den Zugang zum Internet als ein Menschenrecht sieht.

politik-digital.de: Eine zentrale These ist, dass das Internet ein Katalysator für Menschenrechte darstelle. Werden heute politische und Bürgerrechte tatsächlich schneller umgesetzt als vorher?

Matthias Kettemann: Das Internet mindert radikal die Transaktionskosten für Kommunikation und Wissensverbreitung. Insofern ist Aktivismus heute einfacher als früher. Gerade im Bereich der dezentralen Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen hat das Internet enorme Hilfe geleistet. Es gibt viele Beispiele für sehr ausgefeilte internetbasierte Dienste, die es Menschen vor Ort einfach machen, Hilfe zu erhalten, Mitmenschen zu mobilisieren oder Verletzungen der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Umsetzung oder Durchsetzung an sich ist jedoch komplizierter, da diese natürlich politischen Willens und an Grundrechten orientierter Rechtstsaatlichkeit bedarf. Wenn dies nicht gegeben ist, kann das Internet höchstens eines von vielen Mitteln sein, um eine Änderung auf dieser Ebene zu bewirken.

politik-digital.de: Nach Einschätzung des UNO-Sonderberichterstatters für Meinungsfreiheit wird das Internet als offener Kommunikationsraum siegen, weil die Staaten bei der Zensur nicht hinterher kommen. Teilt die Expertengruppe diesen Optimismus?

Matthias Kettemann: In großen Teilen ja, jedoch muss man im Auge behalten, dass kurz- und gar mittelfristig die Gefahr durch und Auswirkungen von staatlicher Zensur in manchen Bereichen unserer globalen Gemeinschaft sehr intensiv sein werden. Dabei handelt es sich um Entwicklungen, die oft erst ein Extrem erreichen, bevor sie wieder zurückgedrängt werden. Wir in der EU, den USA etc. als Hauptexporteure der Technologie und des Wissens, mit denen Zensur betrieben wird, sollten unsere eigene Politik und Technologiefirmen dabei strenger zur Verantwortung ziehen. Langfristig findet Freiheit aber immer ihren Weg.

politik-digital.de: Wie wurden die Ergebnisse der 5. Initiative auf dem 5. Internet Governance Forum Deutschland (IGF D) aufgenommen?

Matthias Kettemann: Das Co:llaboratory war nicht explizit mit Ergebnissen dieser Initiative auf dem IGF-D. Es wurde jedoch zum Ende der Veranstaltung durchaus über Menschenrechtsfragen debattiert. Die Ergebnisse hatten wir in der Woche vor dem IGF-D bereits auf der re:publica vorgestellt. Den IGF-D haben wir vor allem dazu genutzt, die neue Ausgabe der MIND Diskussionspapierreihe zum Thema “Grenzen der Internetfreiheit” vorzustellen, die von Prof. Kleinwächter herausgegeben wird. Man hat jedoch auf dem IGF gemerkt, wie sehr Grundrechtsdebatten in den Vordergrund rücken. Früher wurde viel über reine Governance-Prozesse gesprochen, es scheint einen Wandel zu geben, bei dem Internet Governance vermehrt vor allem anhand von Inhalten diskutiert wird.

 

Nach dem erfolgreichen Abschluss der 5. Initiative soll es weitergehen mit dem Co:llaboratory. politik-digital.de spracht mit dem Community Manager Sebastian Haselbeck über die Pläne für die Zukunft:

politik-digital.de: Für den Sommer ist bereits die 6. Initiative des Internet & Gesellschaft Co:llaboratory geplant: Was verbirgt sich hinter dem Titel “Innovation im digitalen Ökosystem” und welche gesellschaftlichen Themen werden darunter behandelt?

Sebastian Haselbeck: Wir wollen ergründen, wie sich das digitale Ökosystem Internet im speziellen (oder digitale Ökosysteme allgemeiner) gestalten, und welche Institutionen und Ansätze (in Bezug auf Märkte, Konventionen, Recht und Architektur) dafür notwendig sind, um gesellschaftlich wertvolle Entwicklungen zu fördern. Dabei soll auch untersucht werden, wie Grenzen im Netz überwunden werden können, und wie ein offenes, funktionierendes und inklusives Ökosystem Internet sichergestellt werden kann. Die Initiative will dabei aber über den Business-Rand hinaus schauen und das Internet vor allem auch als Raum für soziale und kulturelle Weiterentwicklung betrachten. Untersucht werden sollen dazu eben die notwendigen Rahmenbedingungen, aber auch die Hürden und mögliche Überwindung der Hürden für sozio-ökonomisches Entfaltungspotential in der digitalen Welt.

politik-digital.de: Das Co:llaboratory soll in Zukunft anders organisiert werden. Welche Neuerungen gibt es und was soll mit den Änderungen erreicht werden?

Sebastian Haselbeck: Das Co:llaboratory befindet sich in konstanter Weiterentwicklung, es steht also nie still – anders organisieren ist somit Teil des Co:llaboratory, wir streben aber keine radikale Umorganisation an. Wir versuchen ständig, es zu adaptieren und Neues auszuprobieren. Viele unserer Formate und Prozesse funktionieren gut, andere weniger. Wir debattieren und evaluieren das gerade und wollen, soweit wir es für notwendig halten, noch im Herbst Verbesserungen an Formaten und Arbeitsprozessen vornehmen. Dazu gehört übrigens sowohl eine überarbeitete Website, die zu noch mehr Transparenz führen wird, als auch die diesen Monat beantragte Eintragung im Vereinsregister.