Data vs GoliathBruce Schneiers Buch „Data and Goliath“ stellt nicht nur Ausmaß und Gefahren globaler Massenüberwachung anschaulich und leicht verständlich dar. Es bietet darüber hinaus auch konkrete Lösungsansätze und leistet damit einen wertvollen Beitrag zu Bewusstmachung und Diskussion der durch Edward Snowden aufgeworfenen Fragen.

“Jeden Morgen, wenn Sie Ihr Mobiltelefon einstecken, gehen Sie mit dem Netzbetreiber implizit einen Handel ein: „Ich möchte Anrufe tätigen und entgegen nehmen können. Im Gegenzug ermächtige ich den Betreiber, jederzeit zu wissen, wo ich mich aufhalte.“

Bruce Schneiers Buch „Data and Goliath“ beginnt damit, den Handel zu beschreiben, den die meisten von uns täglich unbewusst eingehen: im Tausch gegen Bequemlichkeit nehmen wir einen Zustand der Dauerüberwachung bereitwillig in Kauf. In einer von Daten und digitaler Kommunikation dominierten Welt ist es Geheimdiensten und Konzernen somit ein Leichtes, uns millionenfach auszuspähen.

Schneier kenData-and-GoliathWebnt sich aus: Als Experte für Kryptographie und Computersicherheit, Mitbegründer einer Computersicherheitsfirma und Vorstandsmitglied der Electronic Frontier Foundation steht der Amerikaer dem britischen Guardian bei dessen Berichterstattung zu den von Edward Snowden entwendeten NSA-Dokumenten beratend zur Seite. Schneier beherrscht seine Materie nicht nur fachlich, er schafft es zudem, anschaulich und leicht verständlich darzustellen, wie globale Überwachung funktioniert und wie den daraus resultierenden gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu begegnen ist.

Worum geht’s genau?

Das Buch ist in drei Teile gegliedert und einen ausführlichen Glossar gegliedert. Der erste Teil, „The World We’re Creating“, befasst sich mit der Bedeutung von Daten, die als „Nebenprodukt“ der Nutzung von Computern und vergleichbaren Technologien entstehen und sowohl von Konzernen als auch von Regierungen massenhaft gesammelt und analysiert werden. Hier dürfte es selbst gut informierte Laien und Experten bisweilen gruseln, denn Schneier macht anhand einer Fülle von Beispielen unmissverständlich klar, wie verräterisch, langlebig und daher begehrt Kommunikationsdaten sind. „Google weiß besser, was ich denke, als ich selbst“, schreibt er. „Denn Google erinnert sich an alles – perfekt und für immer.“

Im zweiten Teil mit dem Titel „What’s at Stake“ erläutert Schneier die negativen Auswirkungen der Massenüberwachung auf politischen Aktivismus, Redefreiheit und gesellschaftliche Veränderung und illustriert, wie leicht Überwachung missbraucht und zum Instrument von Diskriminierung und Manipulation werden kann. Schneier widerspricht einmal mehr der Idee, dass Privatsphäre nur für diejenigen erstrebenswert ist, die etwas zu verbergen haben. Und er erklärt, warum Übergewichtung nationaler Sicherheit auf Kosten der Privatsphäre schädlich und wenig sinnvoll ist.

Der dritte Teil des Buches, „What To Do About It“, greift die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der ersten beiden Teile auf und richtet sich an Elektronikkonzerne, Regierungen und die sogenannten Endnutzer, also an uns alle. Schneier macht es sich zur Aufgabe, umfassend Antworten und Lösungsvorschläge anzubieten. Dieser Teil ist sicherlich insbesondere für diejenigen Leser, die mit der Materie vertraut und angesichts der nur schleppend folgenden Veränderungen frustriert sind, der interessanteste. Aber schafft Schneier es, Fragen zu stellen, die nicht bereits tausendfach wiederholt und mit nur mäßigem Erfolg diskutiert worden sind? Bringt er neue Argumente, die endlich wirkliches Verständnis dafür vermitteln, warum das Problem Massenüberwachung uns alle nicht nur theoretisch und abstrakt, sondern jederzeit praktisch und konkret betrifft? Die Antwort lautet ja.

Was kann es?

Auf dem Cover des Buches findet sich eine Bewertung des kanadischen Autors Malcolm Gladwell:

„The public conversation about surveillance in the digital age would be a good deal more intelligent if we all read Bruce Schneier first“, also:

„Die öffentliche Debatte über Überwachung im digitalen Zeitalter fiele wesentlich intelligenter aus, wenn wir alle zuerst Bruce Schneier gelesen hätten.“

Gladwell hat Recht: Bruce Schneiers Buch ist nicht nur extrem gut lesbar, spannend und sinnvoll strukturiert. Als einer der wenigen Experten weltweit mit direkten Zugriff auf die Snowden-Dokumente befindet sich Schneier zudem in der außergewöhnlichen Position, Informationen aus diesen teilweise hochkomplexen und technischen Geheimunterlagen allgemeinverständlich wiedergeben zu können. Schneiers Verdienst besteht darin, dass es ihm nicht nur gelingt, Laien gut zu informieren, sondern auch denjenigen neue Argumente an die Hand zu geben, die mit dem Thema Sicherheit und Überwachung versus Privatsphäre und Bürgerrechte bereits länger vertraut sind. Denn, so Schneier, unsere Herausforderung bestehe nicht allein darin, den Überwachungsstaat zu reformieren, sondern vor allem darin, ihn und die Kontrolle, die er über uns ausübt, zu verstehen. Zu diesem Verständnis kann „Data and Goliath“ maßgeblich beitragen. Mehr noch, Schneier bietet im letzten Teil tatsächlich konkrete Lösungsvorschläge an, die bei der Errichtung einer globalen sicheren Kommunikationsinfrastruktur helfen können.

Bemerkenswert ist der moderate und vernünftige Ton, mit dem der Autor die dargestellten Problematiken angeht. Der Untertitel des Buches, The Hidden Battles to Collect our Data and Control our World, beschreibt die Welt, in der wir leben, als eine Welt geheimer Kämpfe um Daten und Kontrolle. Aber Schneier liegt es fern, Überwachung, Telekommunikation oder Technologie als Schreckgespenster darzustellen. Er erläutert neben ihrem Gefahrenpotenzial auch die enormen Vorteile, die jedem Einzelnen durch technologische Innovation entstehen. Ganz pragmatisch weist er nebenbei darauf hin, dass die leichtfertige Aussage „If you don’t like it, don’t do it“ schlicht unrealistisch ist. Gleichzeitig zeigt sich Schneier besorgt darüber, wohin uns die Bereitschaft, unsere Privatsphäre aufzugeben, führen kann.

Prädikat: besonders wertvoll

Einige von Schneiers Vorschlägen zur Vermeidung einer dystopischen Gesellschaft in Stile George Orwells erscheinen realistischer als andere. Kaum jemand wird es sich wohl zur Gewohnheit machen, nur noch in Verkleidung vor die Tür zu gehen, um die automatische Gesichtserkennung zu erschweren. Andere Vorschläge hingegen sind sehr interessant. Wie beispielsweise die Forderung, Datensammlung und Eingriffe in die Privatsphäre sichtbarer zu machen. Momentan, so Schneier, nehmen wir unsere Internetaktivität zu sehr wie eine virtuelle Party wahr, auf der wir uns mit unseren Freunden ungestört unterhalten. Was uns dabei kaum bewusst ist: dass alles, was wir sagen und (mit)teilen, von Dritten aufgezeichnet wird. Und auch wenn das schiere Ausmaß der Überwachung für manch einen nur noch Anlass zum Zynismus sein mag, es ist es nicht so, dass wir dem Ganzen hilflos gegenüber stehen. Schneier wehrt sich entschieden gegen Defätismus. Denn ob wir uns am Ende für Überwachung, Transparenz oder Privatsphäre entscheiden würden, schreibt er: Die auf unseren Entscheidungen basierende Infrastruktur nutzen in der globalen Welt des Internets schließlich wir alle. Daher sei es höchste Zeit, dass wir die Realität anerkennen, uns eingehend damit befassenund uns um die sinnvolle Veränderung unseres Verhaltens bemühen.

„Data and Goliath“ ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Bild: World Leaks

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