Der grüne Stadtrat Christian Moravcik aus Augsburg darf vorerst nicht mehr aus den Ratssitzungen twittern. Die Abgeordneten des Kommunalparlamentes sprachen sich mit großer Mehrheit gegen die Benutzung des Kurznachrichtendienstes aus. Nun will Moravcik seinen Kollegen das Web 2.0 erklären. politik-digital.de hat mit Moravcik gesprochen.

Live berichtete der Stadtrat Christian Moravcik am 17. Dezember 2009 im Internet von einer öffentlichen Sitzung im Augsburger Stadtrat. Viele Mitglieder fühlten sich jedoch offenbar durch die 140-Zeichen Updates „unbehaglich“ oder „unwohl“, beschreibt Moravcik die Situation in seinem Blog.  Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Christa Stephan, gab demnach an, dass sie sich durch das Twittern gestört fühle.

 

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Diskussion im Stadtrat

CSU-Stadträtin Claudia Eberle verfolgte die Kurznachrichten während der Sitzung auf dem Laptop, berichtet die Augsburger Allgemeine. Eberle machte ihre Kollegen dann auch auf den Tweet aufmerksam, der die Diskussion ins Rollen brachte: “grab antwortet. is ziemlich ausser sich. wurde von allen mehr oder weniger kritisiert, auch von kränzle.” Der Vorsitzende der CSU-Stadtratsfraktion, Bernd Kränzle, bezeichnete den Inhalt als Unterstellung. Er habe Kulturreferent Grab nicht kritisiert. Auch diese Aussage twitterte Moravcik.

 

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Daraufhin bat Oberbürgermeister Kurt Gribl den 26-jährigen Moravcik, mit dem Twittern während der Sitzungen aufzuhören, so die Augsburger Allgemeine. Moravcik verteidigte demnach seine Informationspolitik und betonte, dass er sich in seinen Tweets nicht zu Inhalten geäußert habe. Als der junge Grüne kurz vor Ende der Sitzung den Saal verließ, stimmten die Stadträte über das Twittern in den Stadtratssitzungen ab. Gegen die Stimmen der Grünen beschlossen die Stadträte in großer Mehrheit, dass das Twittern vorerst zu unterlassen sei. Verbieten können die Kollegen es Moravcik nicht, da die rechtliche Grundlage noch unklar ist, schreibt die Augsburger Allgemeine. Der Ältestenrat wird nun über die Zukunft der Live-Berichterstattung aus dem Stadtrat entscheiden.

Transparenz und Bürgernähe im Stadtrat

In einem Gespräch mit politik-digital.de betont Moravcik die Vorteile des Twitterns: „Twitter bietet unmittelbar die Möglichkeit, Inhalte zu transportieren, die sonst nicht nach außen dringen.“ Genau dies erzeuge jedoch Angst und Unsicherheit bei seinen Kollegen, meint er. Könnten unbedachte Bemerkungen doch leicht zu Spott unter den Internet-Usern führen.

Ein Unterhaltung mit den älteren Kollegen seiner Fraktion hätten ihm gezeigt, wie fremd die neuen Medien für diese Generation seien. „Viele wissen nicht, wie Twitter funktioniert. Deshalb haben sie Angst davor.“ In einem offenen Schreiben an seine Kollegen bietet er nun ein Gespräch an. Darin möchte der Student über Twitter aufklären, über Vorbehalte und Bedenken sprechen sowie einen Konsens im Umgang mit „Twitter“ in Sitzungen des Stadtrats finden.

Die Stadtratssitzung im Livestream

Moravcik habe bisher nur gute Erfahrungen mit dem Kurznachrichtendienst gemacht, sagt er. Manchmal bekommt er auch live Antworten während der Sitzungen und kann Fragen der Bürger direkt beantworten. Vor allem junge Menschen möchte er mit seinen Tweets erreichen. Die Politik allgemein sollte daran interessiert sein, transparenter zu sein, meint er. Die neuen Medien ließen sich zu diesem Zweck gut nutzen. Er selbst schreibe ja auch über seine Tätigkeiten im Stadtrat einen Blog. „Die 10-stündige Stadtratssitzung im Live-Stream zu übertragen finde ich dann aber doch übertrieben. Das ist schon ein sehr trockenes Geschäft.“ Gegner des Twitterns im Stadtrat befürchten, dass die Diskussionskultur
durch diese Art von Live-Berichten nachhaltig beschädigt wird.

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Blogger-Abmahnung in Augsburg

Ohnehin scheint das Web 2.0 scheint der Augsburger Politik und Verwaltung Augsburgern nicht geheuer. Vor kurzem war ein Blogger von der Stadt wegen der Internetadresse augsburgr.de abgemahnt worden. Michael Fleischmann hatte die Stadt nach der Registrierung angeschrieben und um Erlaubnis gefragt. Die Stadt-Juristen sahen allerdings eine Verletzung des Namensrechts der Stadt und schickten als Antwort eine Rechnung über 1890 Euro. Der Fall sorgte für Entrüstung. Letztendlich sprach Oberbürgermeister Kurt Gribl ein Machtwort und erließ dem Blogger die Kosten.

Die „Twitter-Affäre“ im Bundestag

Die Debatte um das Augsburger Twitter-Theater erinnert an die „Twitter-Affäre“ in Berlin zur Wiederwahl Horst Köhlers als Bundespräsident. Gut eine Viertelstunde vor der Bekanntgabe durch den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert twitterte der Bonner SPD-Parlamentarier Ulrich Kelber bereits Köhlers Sieg in die weite Welt. Der Tweet entfachte eine Debatte: ist so viel Transparenz aus dem Hohen Haus im Internet zulässig? Die Twitter-Affäre wurde zum Thema im Ältestenrat des Bundestags, blieb aber ohne Konsequenzen.

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