Jens Schröder über eine neue Aufsatzsammlung zur politischen
Dimension des Internets

 

Wenn von den politischen Auswirkungen des Internet die Rede ist, dann gehen
die Meinungen meist weit auseinander: Die einen rufen euphorisch die
virtuelle Wiedergeburt der athenischen Demokratie aus, und für die
anderen ist das Netz der Netze ein gefährlicher Tummelplatz für
digital-vernetzte Staatsfeinde und Extremisten. Wie so oft liegen die
eigentlich interessanten Aspekte des Themas genau dazwischen. In ihrer
Aufsatzsammlung "Demokratie und Internet" werfen der Passauer Politologe
Winand Gellner und sein Mitarbeiter Fritz von Korff deshalb einen etwas
differenzierteren Blick auf das, was am Internet politisch ist. Der Band ist
das Ergebnis einer Fachtagung des Passauer Lehrstuhls für
Politikwissenschaft im März 1998. In 16 Aufsätzen nähert er
sich der Frage, wie das Internet die repräsentative Demokratie und das
menschliche Zusammenleben verändern könnte.

"Das Internet verkörpert den Bedeutungszuwachs der Information," meint
Gellner im Vorwort zu seinem Buch. Nach Ansicht des Wissenschaftlers werden
durch die Online-Kommunikation die politischen Trends verstärkt, die
uns der Medienwandel der letzten Jahrzehnte ohnehin schon beschert hat:
Wertewandel, Individualisierung, Globalisierung und Fragmentierung der
Gesellschaft. Darüber hinaus, so Gellner, werde die klassischen Medien
um zwei neue Komponenten ergänzt: Interaktivität und
Hypertextstrukturen.

Sind diese Neuerungen für die Demokratie per saldo positiv oder
negativ? Macht das interaktive Netz politikverdrossene Bürger zu
Cyberaktivisten oder zu Couch-Potatoes? Wird die politische
Öffentlichkeit zum "total digitalen" oder zum ‘total egalen" Raum? Das
alles ist heute schwer abzusehen. Aus den bisherigen Erfahrungen und mit
Hilfe politologischer Theorien zeichnet der Sammelband aber zumindest eine
Moment-auf-nahme des politischen Internet und beleuchtet Zukunftsperspektiven.

 

Das Internet und die Studentenstreiks

Der rote Faden verläuft dabei vom Allgemeinen zum Speziellen: Drei
theoretische Annäherungen beleuchten das Internet zunächst aus
Perspektiven der politischen Philosophie, der Demokratietheorie und der
Organisationslehre. Im Kernsttück des Buches charakterisieren dann neun
Wissenschaftler die Herausforderung, die die Internet-Kommunikation an die
Akteure des politischen Systems stellt. Behandelt werden die
Netz-Aktivitäten von Parlamenten, Parteien, sozialen Bewegungen,
Journalisten und der Europäischen Union. Besonders herauszuheben ist
hier die spannende Fallstudie von Christoph Bieber und Eike Hebeker
über die Rolle des Internet bei der Organisation der Studentenproteste
im letzten Jahr. Ein weitere Schwerpunkt der Sammlung, dem sich Volker Leib
und Co-Herausgeber Fritz von Korff widmen, ist die Bedeutung von kommunalen
Bürgernetzen. Abgerundet wird das Aufsatzmenü wieder mit etwas
mehr Theorie: Anhand von sozialwissen-schaftlichen Modellen prüfen
Patrick Rössler und Christina Holtz-Bacha, ob das Internet die
Abhängigkeit der Bürger von Medieninformationen erhöht und ob
es die Zersplitterung des Medienpublikums vorantreibt.

Insgesamt ist "Demokratie und Internet" eine empfehlenswerte Lektüre
für alle diejenigen, die bereit zu mehr als einem nur
oberflächlichen Blick auf das Thema sind. Vor allem ein ausgefeilter
Fußnotenapparat ermöglicht gezielte weitere Recherche auch zu ganz
speziellen Aspekten des Themas. Unglücklicherweise krankt das Buch aber
an einigen der üblichen Problemen thematischer Aufsatzsammlungen:
Standardinformationen wie die statistischen Daten über die Onliner oder
die Geschichte des Internet werden von den meisten Beiträgen in
ermüdender Weise wiedergekäut. Außerdem schwankt das Niveau der
einzelnen Beiträge stark: Von recht abgehobenen Theorien bis hin zu
eher trivialen Erkenntnissen oder rein deskriptiven Artikeln ist alles
dabei. Aber das sind natürlich wieder mal nur die Extreme. Und wie so
oft liegen das eigentlich Interessante… genau dazwischen.

Demokratie und Internet. Herausgegeben von Winand Gellner / Fritz von Korff,
Nomos Verlag, Baden-Baden 1998, 240 Seiten, 68,00 Mark