Gehören private Daten im Internet der Vergangenheit an? Ja, meinen die Vertreter der Post Privacy-Bewegung. Wie Sebastian Westermayer, der Privatsphäre im Netz für eine Illusion hält. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar widerspricht vehement: Auch in Zeiten von WikiLeaks sei eine Vielzahl von Informationen schützenswert.

Nach Einschätzung von Christian Heller von der datenschutzkritischen Spackeria, einer Gruppe von Post Privacy-Vertretern, ist Privatsphäre ein Auslaufmodell und Datenschutz ein Kampf gegen Windmühlen. Warum das so sei, legt er in seinem kürzlich veröffentlichten Buch „Post Privacy – Prima leben ohne Privatsphäre“ dar, das gestern bei dradio.de vorgestellt wurde. Prominente Vertreter der Spackeria wie Julia Schramm zeigen sich davon überzeugt, dass Privatsphäre und Datenschutz in unserer vernetzten Welt nicht mehr zu schützen sind. Datenschützer sind ihnen ein Dorn im Auge: Sie halten sie schlicht für überflüssig.

Pro-Standpunkt von Sebastian Westermayer

Das Internet wurde erschaffen, um Daten zu teilen und sich zu verbinden. Von Anfang an war die Kommunikation im Internet eine öffentliche, prinzipbedingt. Selbst in den von Milliarden von Menschen genutzten sozialen Netzwerken ist Privatsphäre eine Illusion, denn der Diensteanbieter kann immer mitlesen, aber auch staatliche Behörden, potenziell sogar die ganze Welt, wie zahllose Datenleaks beweisen. Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Betrachtet man die Entwicklung der Computerisierung und ihren Einfluss auf unsere Gesellschaft, erkennt man leicht, dass die Digitalisierung unseres Lebens immer weiter voranschreitet. In jedem Smartphone stecken heute schon unzählige, mit dem Internet verbundene Sensoren. Die Sensorendichte und -qualität wird stetig zunehmen, parallel zu der exponentiellen Entwicklung der Speicherkapazität, Bandbreite und Prozessorleistung. In absehbarer Zukunft wird sich dem niemand mehr entziehen können, weder durch Verschlüsselung, noch durch Datenvermeidung oder Nichtteilnahme. Doch für den Zulauf sozialer Netzwerke und die Beliebtheit von Apps, die die öffentlich verfügbaren Daten – auch die intimsten – für uns nutzbar machen, gibt es einen Grund: Der Mehrwert, den wir aus der Nutzung ziehen, ist vielfältig. Sie helfen uns, persönliche soziale Bedürfnisse zu befriedigen. Aus der Entwicklung ergeben sich auch gesamtgesellschaftliche Vorteile: Je informierter wir sind, desto besser können wir agieren, beispielsweise Gefahren identifizieren und abwehren. Freie Daten bedeuten eine Beleuchtung der Machtverhältnisse und ein Ende des Herrschaftswissens. Wissen wird demokratisiert und geteilt. Auf zwischenmenschlicher Ebene schwindet die Angst vor dem unbekannten Gegenüber. Kenne ich die Schwächen, Ängste und Unsicherheiten des Anderen – und er meine -, sind wir einander nicht mehr fremd und müssten uns nicht fürchten, wir sind verbunden. Selbst wenn wir mit einigen anderen Menschen nicht zurechtkommen, finden wir durch Offenlegung unserer Interessen Gleichgesinnte, sei es für ein seltenes Hobby oder für eine Revolution. Nicht zuletzt ist das Netz eine Gedächtnis- und Geisteserweiterung, die mit sozialen Komponenten – also öffentlichen und verknüpften Daten – erst ihre volle Kraft entfaltet. Sammeln und Auswerten von Daten sind Grundlage und Treibstoff all dieser Dynamiken, und vor der Idee der Privatsphäre macht die Entwicklung nicht halt.

Contra-Standpunkt von Peter Schaar

Prima leben ohne Privatsphäre?

„Die Privatsphäre ist weg! Machen wir das Beste daraus“ – das ist die Botschaft von Post Privacy. Damit klammern sich die Postprivatisten an die Annahme, dass Daten, die einmal digital erfasst wurden, stets unkontrollierbar seien und öffentlich werden – ob der Betroffene dies wünscht oder nicht. Ein wenig erinnert mich diese Argumentation an die (vulgär)marxistische These, dass sich Gesellschaften zwangsläufig entwickeln und es den Menschen nur noch an der „Einsicht in die Notwendigkeit“ mangele. Diese behauptete Zwangsläufigkeit gibt es aber nicht. Auch wenn die Speicherungsmöglichkeiten heute ungleich größer sind als in Zeiten analoger Datenverarbeitung lassen sich auch digitale Informationen schützen, sei es durch neuartige Verschlüsselungs- und Datenseparierungskonzepte oder traditionellen Zugriffsschutz. Auch in Zeiten von WikiLeaks sind vielfältige Informationen (zum Glück) rechtlich schützenswert und technisch geschützt. Falsch ist auch die Annahme, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei rein negativ konzipiert, gar ein ‚Recht auf Verstecken’. Dabei blenden die Postprivatisten konstruktive Datenschutzkonzepte völlig aus, etwa die technologisch orientierten Ansätze des „Privacy by Design“ und des „Privacy by Default“. Und wohin soll Post Privacy eigentlich führen? Christian Heller führt in seinem Buch „Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“ etwa aus, dass sich mit ‚datenschützerischem Duckmäusertum’ und der Flucht ins Verborgene keine Freiheit verteidigen lasse. Im Umkehrschluss hieße das: Nur wer totale Transparenz anvisiert, verteidigt die Freiheit. Die damit einhergehende Überwachung wird heruntergespielt, ihre Folgen verharmlost. Gerade umfassende Registrierung, Profilbildung und Durchrasterung führt zum Duckmäusertum, nicht der Schutz davor. Post Privacy ist deshalb nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Pressemeldungen über Überwachungsstaaten lassen nur erahnen, in welchem Ausmaß Datenströme kontrolliert, zensiert und manipuliert werden können. Offensichtlich haben sich deren Apparate bereits darauf eingerichtet, die Informationen, die Facebook, Twitter und Co. liefern, zu nutzen und Oppositionelle noch gezielter zu unterdrücken. Transparenz führt in solchen Staaten nicht zur Freiheit, sondern in die totale Unterdrückung.

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