Sie ist Mitbegründerin des Open Government 2.0 Netzwerks und setzt sich für Frauenrechte ein. Bereits früh erkannte Anke Domscheit-Berg den Einfluss des Internet. Mit politik-digital sprach sie über ihre Selbstständigkeit, ihr Engagement für die Rechte der Bürger im Internet und die Gleichberechtigung der Frauen.

Auch heute hat Anke Domscheit-Berg einen vollen Terminkalender. Ein Treffen folgt auf das nächste und zwischendurch müssen noch telefonisch Absprachen getroffen werden. An diesem Tag geht es direkt vom Hotel in ein Café um die Ecke – der Abendtermin nachher ist auch nur ein paar Straßen weiter. Baulärm schallt noch von draußen nach, und als sich langsam die Tür schließt, kann sie die entspannte Atmosphäre des Cafés in Berlin-Mitte wirken lassen. Trotz der Hektik wirkt die energische Unternehmerin gelassen. Solche Tage kommen schon mal vor im Alltag von Anke Domscheit-Berg. Die Selbstständigkeit lässt es aber zum Glück auch zu, an anderen Tagen auszuschlafen oder einfach mal das gute Wetter in ihrem Garten auf dem Land in Brandenburg zu genießen. Doch es gab Zeiten, in denen sie diese Vorzüge nicht so wahrnehmen konnte, räumt Domscheit-Berg ein.

„Wahrscheinlich ist es ein ziemlich durchschnittlicher DDR-Lebenslauf.“

Es war in der Zeit, in der sie ihr Abitur machte, als die DDR-Obrigkeit die 1968 im Land Brandenburg geborene Anke Domscheit-Berg aufgrund ihrer Begabung für Mathematik und Physik bereits in Richtung IT drängen wollte. Doch für die junge Abiturientin kam damals nur ein Studium der Angewandten Textilkunst in Frage. Unabhängig und frei wollte sie damals unbedingt bleiben. Nach der Wende musste sie sich allerdings eingestehen, dass sich mit der Textilkunst kein Geld verdienen ließ, weshalb sie sich entschied, nun doch ihrer „zweiten Leidenschaft“ nachzugehen.

Das Studium der internationalen Betriebswirtschaftslehre mit drei Fremdsprachen brachte sie nach Großbritannien und anschließend, auf Anraten von Kommilitonen, in eine Unternehmensberatung. Dort machte sie „durch einen dummen Zufall“ bald ihre ersten Erfahrungen in der IT-Beratung. Bereits damals stellte die Berufseinsteigerin fest, dass man das „neue“ Medium Internet viel stärker in die Unternehmensstrukturen einbinden müsste. In ihrer Abschlussarbeit an der Universität in Newcastle hatte sie sich bereits mit „elektronischen Kommunikationsmitteln im internationalen Kontext“ beschäftigt. Doch ihre Vorschläge für eine mediale Anpassung wurden Mitte der 1990er Jahre von ihrem ehemaligen Arbeitgeber zunächst noch belächelt. Zu futuristisch und praxisfern, lauteten die Argumente. Nur wenige Jahre später wurden ihre Ideen wie das Präsentieren von Reisezielen mit Bildern, Zimmerbeschreibungen und Buchung über das Internet auch in diesem Unternehmen übernommen – weil es mittlerweile zum Standard gehörte.

„Was für Kunden gilt, muss auch für die Bürger gelten“

Als Ende der 1990er Jahre das Internet zunehmend Einfluss auf sämtliche Unternehmens- und Verwaltungsstrukturen nahm, wechselte Domscheit-Berg vom industriellen IT-Bereich in den öffentlichen Sektor. Während ihrer langjährigen Arbeit für Firmen wie Accenture, McKinsey oder Microsoft  und deren Kunden erkannte sie, von welchen Vorteilen zahlende Konsumenten zunehmend profitierten: Kommunikation und Bestellmöglichkeiten rund um die Uhr über elektronische Kanäle, Auftragsverfolgung, Beratung, Auskunft oder Beschwerden-Online-Services, die eigentlich jeder Bürger in Deutschland auch bei Behörden haben sollte.

„Wir haben ein tolles, hyperaktives Team – die Allianz der Willigen!“

Mit ihrem Interesse an einer Verbesserung der Bürgerservices mit Hilfe neuer Technologien war sie – wie sie schnell feststellte – nicht allein. Bei der Ausrichtung des ersten Government 2.0 Bar Camps in Deutschland fand sich rasch eine größere Zahl von Gleichgesinnten und Interessierten, die ihre Begeisterung teilten. Im Herbst 2009 konnte dann das erste deutsche Government Bar Camp stattfinden – mit großem Erfolg. Man hatte den Kritikern bewiesen: Die Verwaltung passt in ein Bar Camp, gerade weil neben Wissenschaftlern, Studenten und Experten aus der Wirtschaft immerhin ein Drittel der Teilnehmer aus der Administration kamen. Nachdem man gezeigt hatte, welche innovativen Ansätze und Möglichkeiten vorhanden sind, wollte man die Netzwerkeffekte des Bar Camps weiter nutzen. Der organisierte Kern um Anke Domscheit-Berg entschied sich in der Folge, das Government 2.0 Netzwerk zu gründen. Zeitgleich entstand das Open Data Network. Die Grundmotive damals waren  klar: Man müsse die vielen „Goldnuggets“ in den Verwaltungen finden und miteinander vernetzen, die interessierten und engagierten Beamten also – „eine Allianz der Willigen, Leute, die etwas machen wollen“ und mit gebündelten Kräften die Idee einer offeneren Verwaltung weiter verbreiten und Widerstände abbauen.

„Die Lobbyarbeit gehört nun mal dazu“

Um die Arbeit des Government 2.0-Netzwerks bekannt zu machen, sei es notwendig, auf zahlreichen Veranstaltungen Präsenz zu zeigen, Vorträge zu halten, auch mal Gast in Talkshows zu sein, Beiträge für Medien oder Artikel für den Vereinsblog zu verfassen. Diese Lobbyarbeit „gehört nun mal dazu“, wie Domscheit-Berg pragmatisch feststellt. Ein fester kompetenter Kern an Engagierten müsse fähig sein, die Ergebnisse nach außen zu tragen und der Öffentlichkeit verständlich zu präsentieren. Das größte Hindernis besteht in der Unwissenheit, die in großen Teil der Bevölkerung aber auch bei Journalisten noch vorherrsche. Genau da setze das Open Government Netzwerk an und leiste Aufklärungsarbeit. Darüber, dass zum Beispiel der gläserne Staat nicht mit dem gläsernen Bürger zu verwechseln ist. Vor nichts graut Anke Domscheit-Berg mehr, als vor einem Überwachungsstaat, wie sie ihn in der DDR erleben musste, betont sie wiederholt. Sobald jedoch auch regionale Zeitungen von den Erfolgen offenen Regierens berichteten, sei der Schritt zur oft zitierten allein erziehenden Mutter mit drei Kindern nicht mehr weit, die von der Öffnung von Verwaltungen profitiere.

Für ein positives Beispiel hält Domscheit-Berg die Initiative „Apps für Deutschland“, die das Government 2.0-Netzwerk  – gemeinsam mit zwei anderen NGOs und unterstützt durch das Bundesinnenministerium – durchgeführt hat. Viele nützliche Anwendungen seien dabei entwickelt worden, mit denen das Leben der Bürger einfacher gestaltet werden kann. Mit solchen Veranstaltungen fällt es auch dem Government 2.0 Netzwerk leichter, die breite gesellschaftliche Ebene zu erreichen. Die größte Schwierigkeit, der sich die Mitglieder immer wieder stellen müssen, ist der ehrenamtliche Charakter der Arbeit. Auch wenn das Netzwerk sich mittlerweile als vielseitiger und kompetenter Ansprechpartner bewiesen hat, müssen die Mitglieder stets ihre beruflichen Verpflichtungen, ihr Privatleben und die Arbeit im Netzwerk organisieren. Das bedeutet zeitweise einen immensen Aufwand, der von wenigen Personen geleistet wird, und letztlich bleibe oft die Ernüchterung, einige Ziele aufgrund des personellen Mangels nicht erreichen zu können. Das sei ein Grund, warum  die „nachts arbeitenden Ehrenamtslobbyisten“, wie Domscheit-Berg sich und ihre Mitstreiter bezeichnet, oft mit verwandten Organisationen wie dem Open Data Network gemeinsame Sache machen.

 „Eine weitere Leidenschaft ist der Weiberkram“

Neben ihrer Arbeit im Open Government Netzwerk setzt sich Anke Domscheit-Berg in Frauennetzwerken wie dem European Women’s Management Development Network oder der Initiative FidAR e.V.(Frauen in die Aufsichtsräte) und mit dem eigenen Beratungs- und Trainingsunternehmen fempower.me für die Rechte der Frauen, speziell in Berufen mit Aufstiegschancen und auf Führungsebenen ein. Sie findet, dass es endlich eine Frauenquote brauche. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein, eine große Mehrheit der Frauen sieht das inzwischen genauso. Kaum eine Frau wolle zwar  „Quotenfrau“ sein, aber auch ohne gesetzliche Quote erhielten die wenigen Frauen in Topführungspositionen heute dieses Label. Letztlich haben zehn erfolglose Jahre der freiwilligen Vereinbarung zwischen Wirtschaft und Bundesregierung auch die Erkenntnis gebracht, dass es ohne den verfassungsrechtlich gebotenen Eingriff des Staates zur Herstellung von mehr Gleichberechtigung offenbar nicht zu nennenswerten Fortschritten kommt. Die von Familienministerin Kristina Schröder eingeführte Flexiquote hält sie für „sinnlos“. Allerdings zeige die aktuelle Führungsstruktur in deutschen Unternehmen deutlich, dass ein Wandel vollzogen werden müsse. Wenn tatsächlich eine rein leistungsspezifische Auswahl von Führungspersonal durchgeführt würde, müssten auch keine Quoten eingeführt werden, leider entspräche dies jedoch noch nicht der Praxis.

Heutzutage denke man vielerorts über Frauen nur in zwei Stereotypen, bemängelt sie: entweder als führungsstarke, aber männlich wahrgenommene Persönlichkeit oder als betont weiblich – und damit „zu schwach und zu emotional für eine Führungsrolle“. Mischformen – die führungsstarke feminine Frau – seien in der Vorstellung vieler Menschen nicht möglich, was häufig zu Fehleinschätzungen ihrer Leistungsfähigkeit führt. Das musste Anke Domscheit-Berg am eigenen Leib erfahren. Sie ist selbst Mutter eines zwölfjährigen Kindes. Trotz ihres vielfältigen Engagements und der beruflichen Erfolge hat sie direkte und indirekte Diskriminierung erlebt. Dass die ganze Debatte um eine Quote doch eigentlich gar nicht nötig sei, macht sie am Beispiel Norwegens deutlich, wo nach der Erfüllung der Quote jegliche Diskussion hinfällig wurde und keines der von Kritikern prognostizierten Desaster eintrat, selbst die durchschnittliche Qualifikation von Aufsichtsräten war durch die Quote gestiegen. Für Domscheit-Berg sind Quoten zwar eine ungeliebte aber effektive „Brückentechnologie“, die sich vielfach bewährt hat, nicht zuletzt bei den politischen Parteien.

„Ich habe keinen klassischen Tagesablauf“

Ein kurzer Blick auf die Uhr: Die Zeit ist schon bald um und der nächste Termin steht an. Da stellt sich die Frage: Wie kriegt Anke Domscheit-Berg das alles hin? Gelassen antwortet sie: „Ich schaffe eigentlich nie all das, was ich will“. Aber ihre Selbstständigkeit lässt es zu, sich die Arbeit einzuteilen. Das war auch ein Grund, weshalb sie damals ihre Festanstellung gekündigt hat. Sie genießt die Unabhängigkeit, das zu tun, worauf sie Lust hat. Allerdings will sie die Zeit, in der sie fest angestellt war, nicht missen. Immerhin hat sie dort ihre Expertise erhalten und die Erfahrungen gesammelt, von denen sie heute Gebrauch macht. Der Luxus der Selbstständigkeit erlaubt es ihr auch hin und wieder, nachts zu arbeiten und morgens länger zu schlafen oder einfach mal mitten in der Woche einen Tag frei zu machen. Wenn sie dann noch Zeit hat, wie zum Beispiel während der vielen Zugfahrten quer durch Deutschland, widmet sie sich ihrem privaten Hobby – dem Guerilla-Stricken.

Privacy Preference Center