Christian Thiels war am 21. Oktober zu Gast im tagesschau-Chat in Zusammenarbeit mit politik-digital.de. Der Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio Berlin, zuständig für die Themen Verteidigung und Äußeres, stellte sich den zahlreichen Fragen zur Lage der Bundeswehr in Afghanistan.

Moderatorin: Herzlich willkommen, liebe Leser, zum tagesschau-Chat. Heute zu Gast bei uns: Christian Thiels, Korrespondent hier im ARD-Hauptstadtstudio und verantwortlich für Verteidigung. In den kommenden 60 Minuten stellt er sich Ihren Fragen rund um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Vielen Dank, Christian Thiels, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Wir beginnen mit der ersten Frage.

Flitzer: Wie oft sind Sie schon in Afghanistan gewesen?

Christian Thiels: Ich war acht Mal in Afghanistan. Ein sehr spannendes und an vielen Stellen wunderschönes Land.

Redondo: Wie lange muss die Bundeswehr Ihrer Einschätzung nach noch mindestens in Afghanistan bleiben? Kann man das in Jahren abschätzen?

Christian Thiels: Das kann man nicht abschätzen. Ich bin kein Prophet. Aber wenn die Bundesregierung an ihrer Strategie festhält, können wir schon von einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren ausgehen.

Klaus: Ist Ihrer Meinung nach die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan richtig?

Christian Thiels: Meine persönliche Meinung spielt da keine Rolle. Ich fürchte, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Alternative zur Verlängerung dieses Einsatzes gibt.

Gudrun: Was denken Sie: Was passiert mit Afghanistan, wenn alle Truppen abgezogen sind? Wann könnte das sein?

Christian Thiels: Im Idealfall können die Afghanen selbst für Sicherheit sorgen und im schlimmsten Fall versinkt das Land wieder in Chaos und Bürgerkrieg.

logojan: Kann nicht humanitäre Hilfe mehr bewirken als militärische?

Christian Thiels: Auf jeden Fall geht das Eine nicht ohne das Andere. Humanitäre Hilfe kann nur dann richtig wirken, wenn das Umfeld sicher ist. Dazu braucht man zur Zeit wohl auch Militär.

Moderatorin: Das war die Frage, die die meisten User schon Vorfeld als interessanteste bewertet haben. Hier kommt die Nummer zwei unserer "Top Ten":

UH-1D: Hat nicht auch die viel kürzere Ausbildung von Unteroffizieren und das Lösen vom Prinzip "immer eine Stufe höher Ausbilden" einen Einfluss auf die steigenden Gefallenenzahlen?

Christian Thiels: Die Ausbildung der Soldaten für den Afghanistan-Einsatz ist auch im internationalen Vergleich sehr, sehr gut. Trotzdem kann keine Ausbildung der Welt die Soldaten auf alles vorbereiten.

Demos: Wie erleben die Soldaten vor Ort die Situation?

Christian Thiels: Für die Soldaten ist das ein Krieg, in dem sie stehen. Für sie ist es unwichtig, wie die Politik das nennt.

RheinhessenAZ: Ausbildung und Ausrüstung sind Schlüsselbegriffe in der Diskussion um den Einsatz. Wie fühlen sich die Soldaten im Einsatzgebiet ausgerüstet und ausgebildet? Sind sie auch dann noch zufrieden, wenn die Kamera aus und das Mikrofon weg sind?

Christian Thiels: Die Soldaten sind nicht hundertprozentig zufrieden mit ihrer Ausrüstung, vor allem gibt es zu wenig gepanzerte Fahrzeuge. Das sagen die Soldaten inzwischen auch in die Kamera.

afga: Wie sind die deutschen Soldaten in Afghanistan geschützt?

Christian Thiels: Die Soldaten haben verschiedene gepanzerte Fahrzeuge. Manche sind nur sehr leicht geschützt, andere sehr stark gepanzert. Die Ausrüstung hat sich ansonsten in den vergangenen Jahren sehr verbessert. Was es in Afghanistan für die Soldaten nicht gibt, wird vor allem aus politischen Gründen nicht zur Verfügung gestellt.

Bacio: Können unsere Soldaten ihre eigentliche Aufgabe, nämlich für die Sicherheit der Afghanen zu sorgen, überhaupt noch erfüllen, wenn sie nur noch mit dem Eigenschutz beschäftigt sind? Je mehr sie sich einigeln müssen, desto größer wird doch die Distanz zur Bevölkerung?

Christian Thiels: Genau so ist es. Deshalb versucht die Bundeswehr auch verstärkt, afghanische Polizisten und Soldaten auszubilden. Aber der Kontakt zur Bevölkerung ist ansonsten immer eingeschränkter.

lieselotta: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen deutschen Soldaten und den Hilfsorganisationen vor Ort aus?

Christian Thiels: Die Hilfsorganisationen wollen nicht direkt mit den Soldaten in Verbindung gebracht werden, weil sie Angst vor Anschlägen haben. Aber sie schätzen die Präsenz der Bundeswehr, weil sie eine Atmosphäre sicher stellt, in der die Hilfsorganisationen arbeiten können.

Schekker: Mein Eindruck ist, dass die Empörung in der deutschen Bevölkerung über den Verlust (so nennt man es doch militärisch) von deutschen Soldaten im Ausland gar nicht so groß ist. Haben sich die Deutschen schon daran gewöhnt, dass Soldaten im Einsatz auch fallen können? Teilen Sie diesen Eindruck?

Christian Thiels: Diesen Eindruck teile ich nicht. Bislang hat die Bundeswehr vergleichsweise wenig Gefallene zu beklagen. Ich bin aber sicher, dass die Empörung sehr groß sein wird, wenn plötzlich eine große Anzahl Soldaten getötet wird, z. B. bei einem Hinterhalt, wie ihn die Franzosen vor wenigen Wochen erlebt haben.

Timo Haller: Warum ist die Politik nicht "Manns genug", endlich diesen Einsatz als Kriegseinsatz zu definieren, der er ja ist und der Truppe auch ein entsprechendes Mandat und Bewaffnung zu geben?

Christian Thiels: Streng juristisch ist es kein Kriegseinsatz und auf diese Position zieht sich die Politik zurück. Ob das ehrlich ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn die Politik zugeben würde, dass in Afghanistan so etwas wie ein Krieg stattfindet, hätte das auch Folgen für Wahlkämpfe.

hh12345: "Deutschland und unsere Freiheit werden am Hindukusch verteidigt", wird oft gesagt. Ich kann das ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Inwiefern ist die Sicherheitslage hier von der in Afghanistan abhängig?

Christian Thiels: Afghanistan war jahrelang ein Land, in dem internationale Terroristen ausgebildet wurden und ihre Anschläge vorbereitet haben. Auch Anschläge in Großbritannien zum Beispiel. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Afghanistan und auch Pakistan eine Brutstätte für diesen Terrorismus sind.

Samson: Hallo, Herr Thiels. Denken Sie, dass die Bundeswehr seinen Bündnispartnern gegenüber in der Pflicht steht, auch Truppen in den stärker umkämpften Süden Afghanistans zu schicken? Bzw. denken Sie, dass die deutschen Soldaten hierzu überhaupt über die nötige Ausrüstung bzw. Ausbildung verfügen?

Christian Thiels: Der Druck auf die Bundesregierung wird zunehmen, die Bundeswehr auch in den Süden zu schicken. Länder wie Kanada und die Niederlande tragen dort die Hauptlast der Kämpfe. Grundsätzlich könnten auch deutsche Soldaten Kampfeinsätze durchführen. Sie sind dafür ausgebildet und auch ausgerüstet. Die Kanadier haben sich zum Beispiel deutsche Panzer geliehen, um sie in Afghanistan einzusetzen.

Ergo: Wie beurteilen Sie die Polizeiausbildung durch deutsche Polizisten? Laut Medienberichten sind wohl sehr wenige Beamte vor Ort.

Christian Thiels: Die Ausbildung ist an sich gut, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sind tatsächlich viel zu wenig Ausbilder vor Ort und diese müssen mit wenig geeigneten Polizeirekruten arbeiten. Die Kurse sind zudem viel zu kurz, um effektiv zu sein. Da muss noch sehr, sehr viel geschehen.

Sanchez: Welche Rolle spielt die EU in Afghanistan?

Christian Thiels: Eine zu kleine. Die EU hat bspw. die Polizeiausbildung übernommen. Aber wirklich viel geschehen ist trotzdem nicht. Den größten Teil der Ausbildung von Polizei und Armee schultern nach wie vor die Amerikaner, die auch das meiste Geld nach Afghanistan pumpen.

wolf: Warum ist es nicht möglich, die Kräfte und finanzielle Mittel so zu bündeln, dass in Afghanistan der Bevölkerung sinnvoll geholfen werden kann? Das von den Politikern oft propagierte "Afghan First Programm" – welches in der Realität nicht existiert – sollte von allen GO, NGO und der NATO verinnerlicht und umgesetzt werden. Jede Verdienstmöglichkeit für die afghanischen Menschen, entzieht diesen und deren Familien den Einfluss der Taliban und sichert das Leben unserer Soldaten in AFG.

Christian Thiels: In dem Punkt haben Sie sicher Recht. Das Problem ist nur häufig, dass sehr viel Geld durch Korruption überhaupt nicht bei den Afghanen ankommt.

Fischer: Bei der Bundeswehr wird immer von Transformation gesprochen. Ist die Bundeswehr soweit mit der Transformation, um Terrorismus erfolgreich bekämpfen zu können oder müsste die Bundeswehr noch sehr viel lernen?

Christian Thiels: Die Bundeswehr hat wenig Erfahrung mit der Bekämpfung von Terrorismus. Sie muss da noch sehr viel lernen. Das könnte sie vor allen Dingen von den Briten. Denn die haben in Nordirland jahrzehntelang mit Anschlägen und terroristischen Aktivitäten zu tun gehabt.

Zweifler: Ist das Ganze nicht ein Teufelskreis? Seit dem 11. September 2001 werden so viele militärische Aktionen mit der Abwehr der Terrorgefahr begründet. Auf der anderen Seite rufen diese Aktionen immer neue Reaktionen der Terroristen hervor. Wo wird diese Spirale von Gewalt und Gegengewalt hinführen? Wie mein Chatname schon sagt, zweifele ich daran…

Christian Thiels: Gute Frage. Mit Militär allein wird man den Terrorismus nicht besiegen können. Wichtiger wäre es, für die Menschen in Afghanistan eine konkrete Lebensperspektive zu schaffen. So kann man dem Terrorismus möglicherweise den Boden entziehen. Die Gleichung "Mehr Militär gleich mehr Sicherheit" geht so sicher nicht auf.

versus: Herr Thiels, was erwarten Sie von der deutschen Medienlandschaft? Welchen Stellenwert haben sie bezüglich der Berichterstattung über den deutschen Afghanistan-Einsatz?

Christian Thiels: Die deutschen Medien müssen versuchen, ein möglichst realistisches Bild vom Afghanistan-Einsatz zu zeichnen. Dazu gehört auch die Ehrlichkeit, Kämpfe und Tote zu benennen und nicht nur das Bauen von Brücken und das Bohren von Brunnen zu zeigen. Die Leser, Zuschauer oder Hörer sollten sich so ihre eigene Meinung bilden können, ob sie diesen Einsatz für sinnvoll halten oder nicht.

Interessiert: Wie sähe eine solche Lebensperspektive Ihrer Meinung nach aus? Wo liegen die wirtschaftlichen Möglichkeiten Afghanistans, neben dem Drogenanbau?

Christian Thiels: Afghanistan war Jahrhunderte lang ein wichtiger landwirtschaftlicher Faktor in der Region. Schon jetzt werden mit landwirtschaftlichen Exporten beachtliche Umsätze erzielt – auch abseits des Drogenhandels. Diese Rolle könnte Afghanistan in Zukunft verstärken.

cgs: Herr Thiels, was hat sich in Afghanistan, sowohl positiv als auch negativ, verändert, seit die Bundeswehr dort im Einsatz ist?

Christian Thiels: Positiv ist sicher, dass es an vielen Stellen konkrete Verbesserungen für das Leben der Menschen gegeben hat. Zum Beispiel, dass die Wasserversorgung, die medizinische Versorgung und der Aufbau der Infrastruktur deutliche Fortschritte gemacht haben. Auch können viele Kinder zur Schule gehen, die früher nicht zur Schule gehen konnten. Aber natürlich gibt es auch viele Rückschläge. Ungelöst ist vor allem die Frage, wie in Afghanistan Arbeitsplätze für eine ganze Generation junger Menschen geschaffen werden können.

Sanchez: Könnten die deutschen Soldaten in AFG nicht zukünftig eine Sonderrolle einnehmen? Eine etwaige Fusion von Militär und Entwicklungshelfer? Das würde doch einiges erleichtern. Außerdem genießen die Deutschen in AFG doch recht gutes Ansehen?

Christian Thiels: Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll wäre, Militär und zivile Entwicklungshilfe zu vermischen. Alle Entwicklungshelfer, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass eine solche Vermischung ihre Arbeit nur schwerer machen würde, denn es würde sie zum Ziel von Anschlägen machen.

Fischer: Zu den Lebensumständen: Herr Thiels, wenn Sie mir ein Bild von Afghanistan malen sollten. Was wäre auf dem Bild zu sehen? Krieg oder Frieden? Bevölkerung oder Soldaten?

Christian Thiels: Wahrscheinlich würde dieses Bild etwas von allem enthalten, aber wenn es ein Wunschbild wäre, dann wären dort überhaupt keine Soldaten mehr zu sehen.

querbeet: Was auf der einen Seite als Terrorismus bezeichnet wird, nennt die andere Freiheitskampf. Wäre nicht eine differenziertere Berichterstattung angezeigt, damit wir die Lage objektiver beurteilen können?

Christian Thiels: Ich weiß nicht, was es mit Freiheitskampf zu tun hat, wenn kleine Kinder bei einem Anschlag zerfetzt werden.

Mel: Sind eigentlich immer noch Entführungen an der Tagesordnung? Wie bewegen Sie sich als Korrespondent in Afghanistan?

Christian Thiels: Es gibt nach wie vor Entführungen, sogar eine richtige Entführungsindustrie. Doch die trifft vor allem die Afghanen selbst. Als Korrespondenten sind wir entweder gemeinsam mit Militär unterwegs oder möglichst unauffällig in zivilen Fahrzeugen und ohne irgendwelche militärische Begleitung. Doch das ist nicht überall möglich, obwohl es einen deutlich besseren Eindruck von Land und Leuten vermittelt.

Adger: Herr Thiels, schadet die Haltung der deutschen Politik in Afghanistan zur Rolle der Bundeswehr und die Beurteilung des Konflikts der Stellung Deutschlands bei den Verbündeten?

Christian Thiels: Zumindest werden die Deutschen bei den Verbündeten immer kritischer beäugt. Der Druck auf Deutschland wird vor allem nach den US-Wahlen deutlich zunehmen. Eine Sonderrolle wird Deutschland nicht mehr gestattet sein.

Moderatorin: Stichwort US-Wahlen:

Fischer: Welche Auswirkung hätte die Wahl von Obama?

Christian Thiels: Obama hat schon während des Wahlkampfs sehr deutlich gemacht, dass er von den Europäern ein stärkeres Engagement in Afghanistan erwartet. Damit meint er nicht nur, aber auch, Deutschland.

Moderatorin: Wir kommen noch einmal zurück auf die Rolle als Korrespondent vor Ort:

cgs: Herr Thiels, in wie weit können sich Journalisten frei bewegen in Afghanistan? Stichwort "eingebettete Journalisten".

Christian Thiels: Es gibt Regionen, in denen man sich als Korrespondent relativ frei bewegen kann. Voraussetzung dafür ist, dass man sich bei den örtlichen Stammesführern "angemeldet" hat. Allerdings gilt das nicht für alle Regionen. Wenn man als "eingebetteter Journalist" mit dem Militär unterwegs ist, muss man immer wissen, dass man nur die eine Seite kennen lernt. Und da gilt es auch, besonders kritisch zu sein.

Howdy Howdy: Sind Sie zum Eigenschutz bewaffnet, wenn Sie unterwegs sind? (Ich meine in Afghanistan, nicht in Berlin ;-))

Christian Thiels: Nein, ich bin nicht bewaffnet. Ich bin ja kein Soldat oder Polizist. Übrigens trage ich auch in Berlin keine Waffe.


christian:
Wie verständigen Sie sich dort – Urdu, Persisch, Paschtu?

Christian Thiels: Mit Übersetzer. Denn mein Paschtu oder Dari ist ein bisschen "eingerostet". 😉

Sascha Keth: Wie fühlt man sich, so nahe an der Front der Taliban?

Christian Thiels: Es ist sehr spannend. Wenn man sieht, welche Probleme die Bevölkerung hat, dann relativiert das viel von dem, über was wir uns in Deutschland aufregen.

Howdy Howdy: Haben Sie manchmal Angst?

Christian Thiels: Eigentlich nicht. Natürlich gibt es Situationen, in denen einem schon mulmig wird. Aber wenn man aus solchen Regionen der Welt berichtet, muss man sich auf die Arbeit konzentrieren und hat wenig Zeit, ständig über die Risiken nachzudenken.

Fischer: Haben Sie es schon erlebt, dass einzelne aus der Bevölkerung Hass oder Wut auf Sie als Deutschen hatten?

Christian Thiels: Hass nicht, aber Feindseligkeit habe ich schon erlebt. Etwa, wenn Kinder Steine auf Bundeswehrfahrzeuge werfen. Ich persönlich habe mit den Afghanen bislang nur sehr positive Erfahrungen gemacht. Ein sehr gastfreundliches Volk.

Adger: Nir Rosen hat sich (nicht unumstritten) bei den Taliban "embedden" lassen und für den Rolling Stone von dort berichtet. Was halten Sie von dieser Art der Berichterstattung?

Christian Thiels: Ich habe einen Kollegen, der etwas ähnliches gemacht hat. Ich glaube, dass es zum ganzen Bild dazu gehört, auch die Motive von denjenigen zu beleuchten, die für Anschläge verantwortlich sind.

cgs: Herr Thiels, was war Ihre außergewöhnlichste Erfahrung, die Sie bislang aus Afghanistan mitnehmen werden?

Christian Thiels: Das die Menschen sehr offen, sehr freundlich und ungewöhnlich kommunikativ sind. Konkret habe ich ein sehr langes, intensives Gespräch mit einem Offizier der afghanischen Armee geführt, der die Lage in seinem Land ausgesprochen realistisch und keineswegs besonders optimistisch beschrieben hat.

Herold: Wie wird die Anwesenheit der Bundeswehr von dem größten Teil der afghanischen Bevölkerung Ihrer Ansicht nach beurteilt?

Christian Thiels: Sehr schwere Frage, denn den größten Teil der Bevölkerung kenne ich ja nicht. Aber es gibt Umfragen, die belegen, dass zumindest eine Mehrheit der Befragten die Präsenz der Deutschen als sehr positiv wahrnimmt.

buraQ: Herr Thiels, finden Sie, dass es eine richtige Entscheidung der Regierung war, überhaupt einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zu starten?

Christian Thiels: Grundsätzlich finde ich es richtig, dass Deutschland den Afghanen helfen will. Aber mir ist der zivile Wiederaufbau zu wenig betont worden. Soll heißen, es wird immer noch viermal soviel für Militär, wie für zivile Projekte ausgegeben.

Moderatorin: Eine Frage zum Selbstmordanschlag in Afghanistan, bei dem gestern zwei Bundeswehrsoldaten starben:

Ekko: Was denken Sie, wenn Sie die Reaktionen der deutschen Politiker nach so einem Anschlag hören? Sind es nicht immer die gleichen, gebetsmühlenartig wiederholten Luftblasen? Was glauben Sie: Wie kann man erreichen, dass die Politik angemessen auf die sich in Afghanistan verschlimmernde Lage reagiert?

Christian Thiels: Indem man das Thema öffentlich immer wieder diskutiert und der Politik nicht durchgehen lässt, dass sie die Lage am Hindukusch schön redet. Tatsächlich hat sich in diesem Punkt auch in den vergangenen Monaten etwas getan. Von Kampf wollte vor einem Jahr noch niemand reden.

Hase: Warum spricht die Presse nicht von Krieg? Schließlich sind wir dort im Krieg?

Christian Thiels: Weil es rein formal kein erklärter Krieg ist. Aber ich will mich nicht mit juristischen oder semantischen Haarspaltereien rausreden. Wenn wir über Afghanistan berichten, beschreiben wir sehr deutlich, dass dort gekämpft, getötet und gestorben wird.

Delta: Wie betrachten Sie die Akzeptanz des Einsatzes in der (deutschen) Bevölkerung? Wird er überhaupt wahrgenommen? Wird der Sinn verstanden? Wie steht es Ihrer Meinung nach im Allgemeinen um die Akzeptanz der Bundeswehr in der BRD?

Christian Thiels: Die Bundeswehr hat grundsätzlich ein gutes Image. Vor allem dann, wenn sie in Deutschland, zum Beispiel bei der Oderflut, konkret hilft. Den Einsatz in Afghanistan lehnt ja eine große Mehrheit der Deutschen ab. Das liegt sicher auch daran, dass die Politik ihn zu wenig erklärt und auch nicht ehrlich mit den Risiken umgeht.

Ackermann: Wir reden hier immer von der Ausrüstung der Soldaten. Fühlen Sie sich von der ARD gut ausgerüstet für den Einsatz in Afghanistan?

Christian Thiels: Die ARD geht sehr behutsam mit Reisen in Krisengebiete um. Ich persönlich bin in speziellen Kursen vorbereitet worden – nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei einem britischen Anbieter. Unsere Ausrüstung ist auf unsere Aufgabe als Korrespondent ziemlich gut abgestimmt. Ich kann mich nicht wirklich beklagen.

Moderatorin: Zurück zur Information der Bürger über den Afghanistan-Einsatz:

Hase: Warum kümmern sich deutsche Politiker um die Wünsche der Afghanen und nicht um die Wünsche der deutschen Bevölkerung?

Christian Thiels: Die Politik setzt die Schwerpunkte, die sie für richtig hält. Glücklicherweise haben wir Wahlen, bei denen jeder Bürger mit seinem Kreuzchen klar machen kann, ob er diese Schwerpunkte richtig oder falsch findet.

Hase: Sind Sie mit dem Vorgehen der Amerikaner in Afghanistan einverstanden?

Christian Thiels: Die Amerikaner sind nicht nur für Bombenangriffe und zivile Opfer verantwortlich, sondern sie leisten auch den größten Teil der Ausbildung von Armee und Polizei. Das befürworte ich sehr. Aber die Art und Weise, wie sie offenbar bewusst den Tod vieler Unschuldiger in Kauf nehmen, muss man heftig kritisieren.

julian: Wie muss sich die Zusammenarbeit mit Pakistan ändern, um die Terroristen in den Grenzgebieten besser verfolgen zu können?

Christian Thiels: Ohne Pakistan wird sich die Lage in Afghanistan niemals beruhigen. Europa und auch Deutschland müssen viel mehr an konkreter Entwicklungshilfe in Pakistan leisten, um den Menschen in den Regionen, wo der Terror seine Zufluchtsstätte hat, eine Lebensperspektive abseits von Terrorismus zu bieten.

Herold: Wie sieht die Information der afghanischen Bevölkerung über das Geschehen in ihrem Land aus?

Christian Thiels: In Afghanistan gibt es eine ganze Reihe von Radiostationen und Fernsehsendern, dazu auch diverse Zeitungen. Das wichtigste Medium ist aber das Radio, weil kaum jemand einen Fernseher hat und viele Menschen schlicht nicht lesen und schreiben können.

Hase: Können sich deutsche Soldaten unzensiert über die Meinung der deutschen Bevölkerung informieren? Werden deutsche Programme dorthin übertragen?

Christian Thiels: Ja. Die deutschen Soldaten können sich völlig frei zum Beispiel im Internet informieren. Außerdem werden sehr viele deutsche Fernsehsender auch in Afghanistan in den Lagern gesehen. Nur das Radioprogramm ist von der Bundeswehr.

Moderatorin: So klar scheint die Ablehnung der Deutschen des Afghanistan-Einsatzes gar nicht zu sein: In einer (nicht repräsentativen) Umfrage unter unseren Lesern haben 51 Prozent geantwortet, die Bundeswehr solle sich aus Afghanistan zurückziehen, 49 Prozent haben dagegen gestimmt. Herr Thiels, überrascht Sie das?

Christian Thiels: Das überrascht mich nicht, denn unsere Web-User sind in der Regel anders und besser informiert als der Durchschnittsbürger.

Moderatorin: Die Zeit ist fast um, wir kommen zur letzten Frage:

Andi: Wie sehen Sie die Chancen, dass Afghanistan später mal wieder ein souveräner Staat wird?

Christian Thiels: Afghanistan ist ein souveräner Staat. Aber ihre Frage zielt ja darauf, ob Afghanistan einmal ohne ausländische Hilfe auskommen wird. Ob mit oder ohne Militär – der Weg wird noch ein sehr, sehr langer sein.

Moderatorin: Die 60 Minuten sind schon wieder um. Vielen Dank, Christian Thiels, und vielen Dank, liebe Leser, für Ihre Fragen. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag!

Der Chat wurde moderiert von Nicole Diekmann, tagesschau.de.

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