Am 1. September 2008 war Markus Gürne im tagesschau-Chat live von der Internationalen Funkausstellung in Kooperation mit politik-digital.de. Der ARD-Korrespondent für Indien, Pakistan und Afghanistan berichtete Politisches und Persönliches von seinem außergewöhnlichen Arbeitsalltag.

Moderatorin: Guten Morgen beim dritten tagesschau-Chat von der diesjährigen Internationalen Funkausstellung Berlin. Ich freue mich, heute einen Gast begrüßen zu dürfen, der nur noch selten in Deutschland ist. Denn sein Dienstort heißt Neu-Delhi und er reist als ARD-Korrespondent auch oft nach Afghanistan. Direkt von diesem Chat hier wird er wieder dorthin aufbrechen: Markus Gürne, herzlichen Dank, dass Sie Zeit für uns haben. Sind Sie vor Afghanistan-Reisen nervöser als sonst aufgrund der aktuellen Gefahrenlage?

Markus Gürne: Ja, also Afghanistan-Reisen sind immer etwas Besonderes, weil Reisen in Krisengebiete besondere Vorbereitung erfordern und man muss sich auch auf die Leute vor Ort sehr verlassen können. Das können wir Gott sei Dank. Und ein bisschen Nervosität ist auch ein großer Schutz, dass man nicht übermütig wird, auch wenn man viel Erfahrung hat.

Moderatorin: Was bedeutet das konkret, was würde man vielleicht aus Übermut tun?

Markus Gürne: Man kann nicht immer zu jeder Zeit die Lage so einschätzen, wie sie tatsächlich ist. Man hat einen gewissen Erfahrungsschatz und man hat auch ein Gefühl, – was ganz wichtig ist – dass man sich auf die Mitarbeiter vor Ort, die immer da sind – in Kabul zum Beispiel – auch verlässt und auf diese hört. In einem bestimmten Stadtviertel ist es im Moment zu gefährlich, dann kann man da nicht hinfahren.

Ihr Benutzername: Wie lange werden Sie dieses Mal in Afghanistan bleiben?

Markus Gürne: Voraussichtlich drei Tage und dann nach Pakistan weiterreisen. Weil dort die Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Jim Panse: Pakistan, Indien und Afghanistan sind ja schon ein weites Feld. Sind Sie denn noch für weitere Länder der Region zuständig, etwa Bangladesch, Sri Lanka oder die Himalaya-Staaten? Oder vielleicht noch mehr?

Markus Gürne: Diese Staaten, die sie genannt haben, und noch mehr. Zum Berichtsgebiet gehören neben Indien, Afghanistan, Pakistan noch Nepal, die Malediven, Bhutan, Bangladesch und Sri Lanka.

zenzi: Man suggeriert uns, dass der Einsatz der ISAF- und NATO-Truppen in Afghanistan unbedingt nötig ist, um der afghanischen Bevölkerung zu helfen. Ist das nicht wieder eine Kriegslüge? Gibt es nicht ganz andere Gründe für den Einsatz von westlichen Truppen in Afghanistan?

Markus Gürne: Das ist sehr, sehr schwierig zu sagen. Wer dort war, sieht, dieses Land hat dreißig Jahre Krieg hinter sich. Und die Situation ist extrem schwierig und auch verfahren. Es ist notwendig, dass westliche Truppen im Land sind, um Strukturen dort zu schaffen. Dass in Zukunft, egal ob diese nah oder fern sein mag, Afghanistan in der Lage ist, aus eigener Kraft ein stabiles Gesellschaftssystem auf die Beine zu stellen.

fairtrialforw: Hallo Herr Gürne! Ist Indien in Afghanistan aktiv, um dem Rivalen Pakistan eins auszuwischen?

Markus Gürne: Sehr interessante Frage. Indien hält sich militärisch völlig aus der Situation in Afghanistan heraus, hat aber sehr viele zivile Aufbauprojekte dort.

fairtrialforw: Von indischen Freunden höre ich, dass die zahlreichen Terroranschläge in Indien von Pakistan unterstützt wurden. Wie sehen Sie das?

Markus Gürne: Darüber gibt es sehr, sehr viele verschiedene Theorien und Ansichten. Eine verlässliche Antwort kann man darauf nicht geben. Zu den Anschlägen in Indien, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, haben sich ja Rebellengruppen aus Bangladesch bekannt. Aber klar ist, dass zwischen Indien und Pakistan es ja immer noch einen schwelenden Konflikt um Regionen und Gebiete gibt. Und es ist nicht auszuschließen, dass sich noch immer Kämpfer aus Pakistan an solchen Anschlägen beteiligen.

Moderatorin: Zwei häufig im Vorab-Chatroom gestellte Fragen kommen jetzt:

Seppi: Fahren Sie häufig nach Afghanistan oder Pakistan oder kann man das auch von Neu-Delhi aus abdecken?

studi: Sie sind doch fast nie in Afghanistan. Wie wollen Sie von Neu-Delhi aus die Lage in Afghanistan beurteilen?

Markus Gürne: @Seppi: Wir fahren regelmäßig nach Afghanistan und haben dort auch eine eigene Infrastruktur, die wir immer vorhalten können. Das gilt auch für Pakistan. Im Moment sind wir mindestens eine Woche im Monat in Afghanistan und nicht nur in Kabul, sondern reisen auch durch das ganze Land.

ifabesuchereins: Ihr Berichtsgebiet ist ja riesig: wie bekommen Sie die Informationen aus den verschiedenen Ländern?

Markus Gürne: Wir haben in allen Ländern unseres Berichtsgebietes sogenannte Producer oder Stringer, das heißt Journalisten, die in ihren jeweiligen Heimatländern arbeiten und von dort berichten und seit langer Zeit auch für die ARD arbeiten. Von dort bekommen wir regelmäßig und in sehr kurzen Abständen laufend Informationen über das, was in diesen Ländern passiert und dann machen wir natürlich das, was zum Job des Auslandskorrespondenten gehört: Reisen, Reisen, Reisen. Kurzer Nachtrag noch zu der Frage von Studi: Ich hoffe, dass ihre Frage damit ausreichend beantwortet ist.

Ihr Benutzername: Zum Beispiel Krankenhäuser?

Markus Gürne: Die Bundesrepublik baut in Masar-i-Scharif gerade das Krankenhaus wieder neu auf. Diese Klinik wird von etwa hundertfünfzig- bis zweihunderttausend Menschen pro Monat besucht. Das Einzugsgebiet dieses Klinikums sind neun Millionen Menschen. Und wenn dieses Krankenhaus fertig gebaut ist, soll Masar-i-Scharif in die Lage versetzt werden, dieses Krankenhaus selbstständig zu betreiben und weiter auszubauen, damit es auch in den nächsten Jahren für die Menschen in dieser Region Anlaufstation und Hilfestellung sein kann.

Moderatorin: Man hat bei den Nachrichten manchmal das Gefühl, in Afghanistan leben nur Terroristen und Bombenleger. Kommen Berichte über das "normale" Leben zu kurz, Ihrer Ansicht nach? Haben Sie zum Beispiel schon mal auf einer Hochzeit gedreht?

Markus Gürne: Für diese von Ihnen angesprochenen Themen gibt es vor allen Dingen die Formate Weltspiegel und Weltreisen. In beiden Sendungen kann man sehr schön und sehr ausführlich über Themen berichten, die abseits der Aktualität spielen. Wir haben einen Weltspiegel, der demnächst laufen wird, aus Afghanistan geliefert, der sich um das Leben der Zootiere im einzigen Zoo Afghanistans dreht. Denn der einzige Überlebende des letzten Krieges war ein Löwe mit dem Namen Majan…

Markus Gürne: …und diesen Löwen haben alle Afghanen total verehrt und eine besondere Beziehung zu ihm. Dieser Löwe war einmal ein Geschenk des Kölner Zoos. Und da jetzt wieder Leben ist im einzigen Zoo Afghanistans und die Menschen das sehr genießen als eine kleine Insel der Erholung, haben wir dort einen sehr netten Film drehen können.

ifabesuchereins: Wie viele Stringer / Producer hat das ARD-Studio Neu-Delhi?

Markus Gürne: In unserem Studio in Neu-Delhi, in unserer Homebase für das gesamte Berichtsgebiet also, haben wir zur Zeit drei feste Producer.

IFA-Besucher2: Inwieweit haben Sie die Chance, an exklusive Informationen in den Berichtsgebieten heranzukommen?

Markus Gürne: Die Chancen sind immer groß, denn die ARD hat einen hervorragenden Ruf im Berichtsgebiet. Überhaupt ist das deutsche Fernsehen bekannt und wird immer in einem Atemzug mit den Kollegen der britischen BBC genannt. Aus diesem Grund bekommen wir oft Informationen exklusiv und aus erster Hand. Aber auch die muss man natürlich sehr gründlich und gewissenhaft gegenchecken. Es gilt das Prinzip der doppelten Kontrolle. Eine Quelle, zwei weitere, die das bestätigen, das ist der Mindeststandard für uns, um sich der Geschichte noch näher zu widmen.

Herr Meinhardt: Wie sehen Sie für sich die Gefahr, als Ausländer feindseligen Handlungen ausgesetzt zu sein? Oder sind die Aggressoren durchaus gewillt, Unterschiede in Bezug auf Herkunft und politische Führung zu machen?

Markus Gürne: Das ist sehr, sehr unterschiedlich und kommt sehr darauf an, in welchem Teil eines Krisengebietes man sich aufhält. Grundsätzlich aber gilt, dass man als Ausländer – ich nehme an, wir reden jetzt mal von Afghanistan – einer recht hohen Gefahr ausgesetzt ist. Niemand, der ihnen etwas Böses tun will, fragt sie nach der Herkunft. Es reicht meistens, dass sie als Ausländer erkennbar sind. Deshalb gilt es, einige Vorkehrungen zu treffen und vor allem vor Ort besonnen zu bleiben. Unnötige Gefahren sind keine Story wert.

fairtrialforw: Wird Präsident Karsai von den Afghanen außerhalb Kabuls als Marionette empfunden?

Markus Gürne: Es gibt unterschiedliche Ansichten und Aussagen darüber. Völlig klar und unstrittig ist, dass es in einem Land wie Afghanistan – wo Familien und Clans in vielerlei Hinsicht das Sagen haben – Gewinner und Verlierer gibt. Und die, die an Karsai hängen, sind eher selten die Verlierer.

Claudia73: Haben Sie Vorgaben bei der Berichterstattung über die Länder, für die Sie "zuständig" sind?

Markus Gürne: Um Gottes Willen, nein.

Moss: Tauschen Sie sich auch mit den anderen Korrespondenten über Tricks und Kniffe aus, zum Beispiel bei einem Korrespondenten-Stammtisch?

Markus Gürne: Lieber Moss, einen Korrespondenten-Stammtisch haben wir in dieser Form noch nicht, aber das ist eine ziemlich gute Idee. Ich werde das gleich in den nächsten Tagen mal den lieben Kollegen vorschlagen. Aber Scherz beiseite: Klar ist, wir deutschen Journalisten tauschen uns natürlich und sehr oft über die Situation in unseren Berichtsgebieten aus. Es macht auch großen Sinn, losgelöst von jeglicher Konkurrenz, Meinungen und Einschätzungen der Kollegen zu hören und auch mal eine andere Sicht der Dinge zu erfahren.

Moderatorin: Ist ja fast wie in Berlin!

Markus Gürne: Das halten wir auch in einem ausländischem Korrespondentenclub in Neu-Delhi so, in dem sich sehr, sehr viele internationale Journalisten treffen können. Und das hilft uns bei der täglichen Arbeit oft auch sehr, sehr viel weiter.

Theo63: Ich habe gehört, dass sich viele Korrespondenten (bei welchem Sender auch immer) über das mangelnde Interesse der Heimatregionen beklagen. Empfinden Sie das?

Markus Gürne: Ich habe vor meiner Delhi-Zeit im ARD-Studio Kairo gearbeitet und war auch einige Male als Korrespondent für die ARD im Irak und habe noch nie mangelndes Interesse in den Heimatredaktionen empfunden. Es ist eben so, dass die Redaktionen Interesse an bestimmten Themen haben oder Vorschläge machen. Und die Korrespondenten vor Ort machen das im umgekehrten Fall ebenso. Meistens kommt man zusammen und manchmal eben auch nicht. Aber das ist auch völlig klar und ganz normal so, denn es ist eine Zusammenarbeit zwischen Auslandsbüro und Redaktion.

Moderatorin: Von den Fragen über Land und Arbeitsbedingungen kommen wir zu Fragen zu Ihrer Person, die ich bisher gesammelt habe:

ifabesuchereins: Welche Sprachen können Sie? Kommt man mit Englisch weiter?

Markus Gürne: Indien ist durch die Kolonialherrschaft Großbritanniens völlig unproblematisch was Englisch anbelangt. Ist eben ein sehr eigener Dialekt, in den man sich erstmal sehr genau reinhören muss. Missverständnisse sind am Anfang vorprogrammiert. Für mich hörte es sich erst einmal so an, als ob alle zwei Korken im Mund haben und versuchen zu sprechen. Und ich als Schwabe hatte es auch nicht leicht. Mittlerweile haben wir uns aber gefunden und es geht wirklich sehr gut. Und in anderen Berichtsgebieten haben wir mindestens einen Dolmetscher an unserer Seite.

Der Spürpilot: Ist Ihr Beruf gut mit dem Familienleben zu vereinbaren?

Schekker: Kann man sich bei einem solchen Job eigentlich eine Familie erlauben oder sitzen Sie nicht dauernd auf gepackten Koffern?

Markus Gürne: Ja, man sitzt immer latent auf gepackten Koffern, aber das ist ein Teil des Jobs als Auslandskorrespondent. Und wenn man die Unterstützung der Familie nicht hat, dann sollte man diesen Job besser gar nicht erst antreten.

journalistcare: Als Auslandskorrespondent erlebt man nicht nur in Krisengebieten schwierige bzw. belastende Situationen. Wie bereiten Sie sich emotional darauf vor? Wie schützen Sie sich und was raten Sie Kollegen?

Markus Gürne: Nach vielen unangenehmen Erfahrungen vor allen Dingen im Irak habe ich lange darauf gewartet, dass die Ereignisse, die man dort erlebt hat, wieder hochploppen. Das ist bisher aber nicht geschehen, worüber ich sehr dankbar bin. Offenbar also habe ich mir unbewusst einen Mechanismus beiseite gelegt, der es mir erlaubt, damit umzugehen. Einen generellen Rat kann man dazu nicht geben, weil einfach jeder anders ist und anders mit so etwas umgeht.

Peter File: Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

Markus Gürne: Es ist ein unglaubliches Privileg, Teile der Welt sehen zu dürfen, in die man sonst vielleicht niemals käme und mit eigenen Augen Dinge zu sehen und begreiflich machen zu können für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Und ein ungeschminktes Bild dessen wiederzugeben, was passiert. Ich halte das für einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag und bin sehr froh, das machen zu dürfen.

FN Piontek: Hallo Markus! So exotisch der indische Subkontinent ist, wie oft vermisst Du Schwarzbrot? Und als Neu-Frankfurter Äppelwoi und Handkäs…?

Uwe Tapken: Hallo Markus, vermisst Du nicht das Büro in Frankfurt?

Moderatorin: Offenbar zwei echte Freunde im Chat??? Er sagt, es seien zwei Kollegen.

Markus Gürne: Lieber FN, Schwarzbrot sehr, Äppelwoi geht so, aber du weißt genau, Linsen und Spätzle fehlen mir unsagbar.

flybabyfly: Als Schwabe hat man es nie leicht… Auch in Berlin.

Markus Gürne: @Uwe: Absolut und wolltest Du nicht in Delhi vorbeigucken? @flybabyfly: Wie wahr! Aber wir können ja alles. Außer Hochdeutsch.

magnus lang: Sind Ihre Berichterstattungen schon mal durch nationale Zensuren beschränkt worden? Haben Sie Einschränkungen in Ihrer journalistischen Arbeit hinnehmen müssen?

Markus Gürne: Nein, Zensur gibt es nicht. Und es gibt auch keine Einschränkungen, was die journalistische Arbeit anbelangt. Was wir berichten wollen, können wir berichten. Im Gegenteil: Bei brisanten Geschichten gibt es auch oft Ermutigung, die Geschichten zu machen. Die ARD ist ein großes System mit einem breiten Kreuz.

Moderatorin: Das war eine Dreiviertelstunde Chat – wir müssen pünktlich aufhören, damit Markus Gürne seinen Flieger auch zuverlässig erreicht. Vielen Dank an Markus – und an die Leser/innen und Fragensteller/innen im Chat für die rege Teilnahme. Und natürlich speziell an die IFA-Besucher, die an den Terminals hinter uns mitgechattet haben. 🙂

Markus Gürne: Mir hat es auch großen Spaß gemacht. Vielen Dank an alle Fragensteller und die Moderatorin. Noch einen schönen Tag und vielleicht auf bald mal wieder.

Der Chat wurde moderiert von Corinna Emundts, tagesschau.de.