Dienstag, 11. November 2008, war der zweite Tag der tagesschau-Chat-Serie zur Finanzkrise in Zusammenarbeit mit politik-digital.de. Diesmal war Carl-Ludwig Thiele zu Gast. Der Finanzexperte und Vize-Chef der FDP-Bundestagsfraktion beantwortete 45 Minuten lang die Fragen der Chatter.

Moderator: Herzlich willkommen zum zweiten Teil unserer Chat-Serie zur Finanzkrise. Noch bis Freitag können Sie, liebe User, jeden Tag Ihre Fragen an die Finanzexperten des Bundestages richten. Hier bei uns im ARD-Hauptstadtstudio begrüße ich jetzt den stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Carl-Ludwig Thiele. Herr Thiele, sind Sie bereit für die erste Frage?

Carl-Ludwig Thiele: Ja!

Moderator:
Nach einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung
(ZEW), die heute veröffentlicht wurde, legen die Konjunkturerwartungen
– im Vergleich zu Oktober – wieder zu. Rettungsschirm und Ankündigung
eines Konjunkturpakets scheinen sich bemerkbar zu machen?

Carl-Ludwig Thiele:
Es wäre wünschenswert, wenn es so ist. Wir erleben momentan aber immer
nur Momentaufnahmen. Als FDP haben wir uns auch für den Rettungsschirm
ausgesprochen, weil er erforderlich ist, um Vertrauen wieder
herzustellen. Dieses Vertrauen ist insbesondere im Interesse der Sparer
und Anleger.

Kenny: Sollte nicht erst einmal abgewartet werden, welche Wirkungen die Krise insgesamt hat, um dann umfassend zu reagieren?

Carl-Ludwig Thiele:
Nein, es ist kurzfristiges Handeln erforderlich gewesen. Inzwischen
sind die meisten Akteure sich einig, dass es ein Fehler war, die große
Bank Lehman Brothers in den Vereinigten Staaten in die Insolvenz gehen
zu lassen. Dieses hat zu erheblichen weiteren Schädigungen im
Finanzsektor – aber sogar in der Versicherungswirtschaft – geführt.

Keks:
Inwiefern ist das Rettungspaket wirklich notwendig? Ist eine
Sozialisierung der Bankenverluste nach der Privatisierung der Gewinne
nicht schlicht und ergreifend unfair?

Carl-Ludwig Thiele:
Das Problem der Sozialisierung der Verluste und Privatisierung der
Gewinne sehen wir als FDP genauso und kritisieren es auch. Gleichwohl
muss man feststellen, dass in der Finanzkrise das Vertrauen im
Interbankenmarkt – in den Geschäftsbeziehungen der Banken untereinander
– zusammengebrochen ist. In der Vergangenheit gaben die Banken sich
untereinander Gelder und stellten dadurch die Liquidität für sich und
für andere Banken sicher – in der heutigen Marktsituation trauen viele
Banken den anderen Banken nicht mehr. Das ist der Grund, warum der
Interbankenmarkt zusammengebrochen ist und die Zentralbanken gewaltige
Finanzströme in Gang gesetzt haben, um Liquiditätsengpässe möglichst
nicht entstehen zu lassen.

eschatlon: Warum
folgt man nicht dem obersten Maxim der Globalsierung: Alles regelt der
Markt? Hat man nun Angst vor den eigenen Lehrsätzen?

Carl-Ludwig Thiele:
Nein, wir müssen feststellen, dass kein Bereich der Wirtschaft so stark
reguliert ist wie der Finanzsektor. Es gibt das Kreditwesengesetz in
Deutschland, in dem den Banken klare Auflagen gemacht wurden. Der
Finanzsektor ist wegen seiner ihm eigenen Unwägbarkeiten und
Unsicherheiten deshalb traditionell stark reguliert. Wer Kredit
einräumt, gewährt einen Vertrauensvorschuss. Ohne Vorschuss gibt es
keinen Kredit und insofern ist es wichtig, dass Vertrauen wieder
hergestellt werden muss. Es hat im Finanzsektor keine völlige Freiheit
gegeben, wir als FDP wollen diese völlige Freiheit auch nicht.

Roland 43: Wo hätte die FDP, anders als die Große Koalition, bei der Finanzkrise reagiert?

Carl-Ludwig Thiele:
Aus unserer Sicht haben der Finanzminister, die Bankenaufsicht aber
auch die Wirtschaftsprüfer versagt. Es hätte nie zugelassen oder
stillschweigend geduldet werden dürfen, dass auf der Anlageseite der
Banken Gelder in Zweckgesellschaften angelegt werden, ohne die Risiken
entsprechend zu erkennen. Hier reicht es auch nicht, sich auf
Rating-Agenturen zu verlassen. Man muss selbst bei der Anlage von
Geldern in diesen Instrumenten wissen, welche Risiken hierbei bestehen.
Dies ist nicht entsprechend erfolgt und hat zu den dramatischen
Konsequenzen geführt. Zusammengefasst: Als FDP sehen wir in dieser
Finanzmarktkrise Staatsversagen, insbesondere Staatsversagen in der
Aufsicht.

george: Die Banken haben sich zu sehr
auf spekulative Geschäfte konzentriert. Sowohl für sich selbst, als
auch in der Kundenberatung. Der deregulierte Finanzmarkt hat hier
versagt und wir brauchen eindeutigere und restriktivere Regeln. Was
schlägt die FDP hier vor?

Carl-Ludwig Thiele:
Ich bin der Auffassung, dass Vorstände von Banken, die Papiere kaufen,
diese auch tatsächlich kennen. Diese Vorstände sind ihren Eigentümern
gegenüber verantwortlich und insofern ist es richtig, wenn die
Eigentümer sich für diese Verantwortung an ihre Vorstände wenden. Wer
jetzt nach dem Staat ruft, muss wissen, dass der Staat gerade in Form
der öffentlichen Banken in Deutschland die Spitze des Eisberges
darstellt. Insofern ist für uns als FDP der Staat der schlechteste
Banker.

Moderator: Welche Funktionen sollen die Landesbanken in Zukunft wahrnehmen?

Carl-Ludwig Thiele:
Aus meiner Sicht muss zwischen den Landesbanken deutlich differenziert
werden: Es gibt einige Landesbanken mit großen Problemen, Fusionen sind
schon erfolgt, andere Landesbanken haben weniger Probleme. Hier sollten
die jeweiligen Eigentümer den Weg der Bank bestimmen – und die
Eigentümer sind in der Regel die entsprechenden Länder und ihre
Sparkassen. Als FDP sind wir der Auffassung, dass die Länder sich von
ihren Beteiligungen an Landesbanken trennen sollten. Insofern ist es
vernünftig, hier auch das Gespräch mit den Sparkassen zu suchen.

ChrEich008:
Was ist außer der Liquiditätsstütze für den Bankensektor noch von
großer Wichtigkeit? Sind für einzelne Wirtschaftsbereiche Staatsmittel
vonnöten?

Carl-Ludwig Thiele: Der Staat sollte
die Rahmenbedingungen setzen, der Staat sollte aber nicht selbst als
Akteur wirken. Jeder staatliche Eingriff zieht Wettbewerbsverzerrungen
nach sich. Es ist sehr schwer, Marktteilnehmern Hilfe zu verweigern,
nachdem man sie anderen gewährt hat.

Moderator:
Axel Troost, Finanzexperte der Linksfraktion, war gestern hier bei uns
zu Gast, er kritisiert den Umfang des Konjunkturpakets der
Bundesregierung als zu gering. Er fordert mindestens 50 Milliarden
Euro. Was halten Sie davon?

Carl-Ludwig Thiele:
Die Konjunkturprogramme der Vergangenheit haben gezeigt, dass sie vor
allem Strohfeuereffekte erzielt haben. Das bedeutet, kurzfristig
entsteht etwas, langfristig bleiben Schulden und die Schulden von heute
sind die Steuererhöhungen von morgen. Insofern halten wir als FDP
nichts von kurzfristigen Konjunkturprogrammen. Wichtiger ist für uns
mehr netto für alle. Nur so kann die Nachfrage und der Konsum in
unserem Lande angekurbelt werden.

chriwi: Wie
erklären Sie einem Hartz-IV-Empfänger, warum er nicht mehr Geld
bekommt, eine Bank im Gegenzug aber Milliarden? Schließlich hat die
Bank auch nichts geleistet.

Carl-Ludwig Thiele:
Ich glaube dass es auch im Interesse eines Hartz-IV-Empfängers ist,
unser Finanzsystem aufrecht zu erhalten. Von einem Zusammenbruch des
Finanzsystems würden gerade auch die kleinen Leute getroffen. Wir haben
als FDP Wert darauf gelegt, dass die staatlichen Gelder nicht an
Personen als Einkommen weitergereicht werden. Wer die staatlichen
Hilfen in Anspruch nimmt, muss sich einer stärkeren staatlichen
Kontrolle, auch was die Einkünfte der Bankvorstände angeht, unterwerfen
und zusätzliche Zinsen für diese Gelder bezahlen. Es wird auch
abzuwarten sein, ob diese Hilfen, die der Staat gewährt in einer
späteren Betrachtung den Staat Geld gekostet haben oder nicht sogar
Einnahmen gebracht haben. Denn für den Fall, dass keine Bank notleidend
wird, wird von einem erheblichen Überschuss aus dem Rettungspaket für
die Banken zugunsten des Staates ausgegangen.

rooterbob: Was wird uns Steuerzahlern das kosten?

Carl-Ludwig Thiele:
Das ist unbekannt. Es ist ein Sondervermögen geschaffen worden und es
wird abzuwarten sein, wie sich dieses Sondervermögen entwickelt.
Aktuell können wir feststellen, dass die Bereitschaft von
Kreditinstituten, sich an diesen Schutzschirm zu wenden und zusätzliche
Sicherheit gegen Zinskosten und Gebühren zu erhalten, deutlich steigt.
Das Risiko für den Steuerzahler besteht insbesondere dann, wenn Banken
notleidend werden, die unter dem Schutzschirm stehen und hier der Staat
als Gläubiger der Banken das Geld nicht mehr zurückerhält, was er ihnen
zuvor geliehen hat.

breakdown: Warum sollte man
dieses unsoziale System nicht zusammenbrechen lassen und ein neues
einführen, das nicht nur die Reichen bevorzugt?

Carl-Ludwig Thiele:
Das derzeitige System stellt keine Bevorzugung der Reichen dar, das
derzeitige System sichert den Geldverkehr in unserem Lande für die
gesamte Bevölkerung unabhängig vom Einkommen des Einzelnen. Ich halte
es für absurd und irreal, hier den Zusammenbruch zu wagen. Keiner weiß,
was stattdessen kommen würde und welche Auswirkungen es hätte. Ich
halte es für unverantwortlich.

Borch: Sehr
geehrter Herr Thiele, wäre es nicht sinnvoll gewesen, einzelne Banken
wie die IKB oder Sachsen LB ausfallen zu lassen? Da den Managern
ansonsten signalisiert wird, dass sie ein höheres Risiko eingehen
können, da der Staat als "leader of last resort" einspringt?

Carl-Ludwig Thiele: Der erste Punkt bei der
IKB ist, dass die Vorstände zur Rechenschaft gezogen werden. Hier sind
Klageforderungen im Raum. Die Staatsanwaltschaft ist zudem im
strafrechtlichen Sinne tätig geworden. Aber gerade rückblickend glaube
ich sagen zu können, dass es richtig war die IKB – als persönliche
Meinung – nicht vor die Wand zu fahren, da es die erste Bank
international gewesen wäre, mit enormen Kollateralschäden. Nicht nur
Privatanleger, sondern auch viele Kreditinstitute, Krankenkassen,
Sozialversicherungsträger haben Papiere und Anleihen der IKB in
Milliardenhöhe gekauft. Wäre die Bank nicht gestützt worden, wäre ein
Großteil dieser Kredite nicht mehr bedient worden und hätte
entsprechende weitreichende Schäden verursacht. Es wäre als erster Fall
international in kleinerer Größenordnung das eingetreten, was wir in
Amerika bei Lehman Brothers erlebt haben. Dabei darf man nicht
übersehen, dass gerade die IKB als Haupteigentümer den Staat über die
KfW hatte. Es wurde damals argumentiert, dass "die IKB das Ohr der KfW
am Mittelstand sei". Die Entwicklung hat gezeigt, dass diese Begründung
überhaupt nicht trägt, sondern nur verschleiern sollte, dass die
Staatsbank ihren Einfluss ausdehnt und in das Geschäftsfeld der
Privatbanken wollte. Die Beteiligung der KfW an der IKB ist unter der
rot-grünen Bundesregierung getroffen worden. Es war ein Fehler, diese
Beteiligung einzugehen. Ein weiterer Fehler war es, diese Beteiligung
mit Beginn der großen Koalition nicht zu veräußern. Für diese
Regierungsfehler haftet der Steuerzahler leider mit gut zehn Milliarden
Euro. Wir haben als FDP immer kritisiert, dass der Staat Eigentümer
einer Privatbank wird – und sehen uns leider in unserer Kritik durch
die Entwicklung bestätigt.

Moderator: Nochmal zurück zu den Managern: Welche Änderungen schlagen Sie bei Managervergütungen/-haftung vor?

Carl-Ludwig Thiele:
Ich bin der Auffassung, dass in keinem Land die Managerhaftung so
strikt geregelt ist wie in Deutschland. Es geht hier nicht um
zusätzliche Vorschriften, sondern es geht darum, dass die derzeit
geltenden Vorschriften auch tatsächlich angewandt werden.

Moderator: Da hat ihre Partei-Kollegin Koch-Mehrin bei "Anne Will" aber etwas anderes gesagt…

Carl-Ludwig Thiele:
Das mag so sein. Gleichwohl bin ich der Auffassung, wer sich die
Vorschriften des deutschen Aktienrechtes anschaut und diese
Vorschriften mit den Vorschriften in anderen Ländern vergleicht, wird
feststellen, dass schon bei leichter Fahrlässigkeit eines Bank-Managers
das ganze Vermögen in der Haftung steht. Und insofern bin ich auch
gespannt, wie die Aktionäre als Eigentümer der privaten Kreditinstitute
reagieren, wenn es Fehlverhalten in den Kreditinstituten gegeben hat.

Nachdenker:
Sie sind Mitbegründer der einflussreichen und arbeitgebernahen
Lobbyistengruppe INSM. Welchen Anteil hatte die Arbeit dieser Gruppe
auf die Deregulierungs- und Privatisierungsentscheidungen der
Bundesregierung?

Moderator: INSM = Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Carl-Ludwig Thiele:
Diese Gruppe hat keinen Anteil am Regierungshandeln. Ich halte es
allerdings für notwendig und richtig, innerhalb unserer Bevölkerung für
die Vorteile der Marktwirtschaft öffentlich zu werben. Viele Bürger
sehnen sich nach einem starken Staat und vergessen dabei, dass es
eigentlich immer schiefgegangen ist, wenn der Staat sich zu sehr in die
Wirtschaft eingemischt hat. Und insofern ist es richtig, täglich für
die Vorzüge der sozialen Marktwirtschaft einzutreten, die auch durch
Presse, durch Öffentlichkeit dazu beiträgt, Fehlverhalten öffentlich zu
machen und in die Kritik zu führen. Dieses ist Voraussetzung dafür,
dass offen diskutiert wird und Fehlentwicklungen korrigiert werden.

Egon:
Wird die FDP mit den Entwicklungen der Finanzmarktkrise nicht Lügen
gestraft? Schließlich hat Ihre Partei am meisten auf die regulativen
Kräfte des freien Marktes vertraut.

Carl-Ludwig Thiele:
Wir werden überhaupt nicht Lügen gestraft. Ich hatte schon ausgeführt,
dass es keinen Bereich unserer Wirtschaft gibt, der so stark reguliert
ist wie der Finanzsektor. Insofern bin ich immer noch der Auffassung,
dass hier nicht der Markt, sondern die Aufsicht und der Staat versagt
hat.

Moderator: Eine Frage aus dem Pre-Chat:
Wird die Luftfahrt hinsichtlich der aktuellen Finanzkrise gut
davonkommen, wie sieht ihre Prognose hinsichtlich der Luftfahrtbranche
für 2009 aus?

Carl-Ludwig Thiele: Jede Branche,
die größere Anschaffungen plant, wie z.B. Luftlinien bei Flugzeugen,
muss sicherstellen, dass die Finanzierung geregelt ist. Ich wünsche
mir, dass die Finanzierung der Flugzeuge auch weiter gesichert bleibt.

Moderator: Eine Nachfrage zu dem Thema davor:

bobo: Also noch mehr "freien Markt", Herr Thiele?

Carl-Ludwig Thiele:
Nein. Gerade im Finanzsektor haben wir einen regulierten
Wirtschaftszweig. Die FDP steht für einen starken Staat, der die
Spielregeln setzt und notfalls mit einem Schiedsrichter Foulspiel
ahndet. Das ist auch die Meinung unserer gesamten Fraktion.

maap:
Ist der Neoliberalismus am Ende? Selbst Sarkozy scheint eingesehen zu
haben, dass Liberalisierung und Deregulierung nicht zum Ziel führen.

Carl-Ludwig Thiele:
Frankreich hat eine andere Tradition. Es ist ein zentralistisches Land
mit starken Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik. Ich erinnere
mich noch an die Einführung des Euro. Es gab den Grundstreit zwischen
Frankreich und Deutschland, ob die Europäische Zentralbank unabhängig
sein soll oder ob der Staat in eine solche Bank eingreifen solle. Ich
bin froh, dass wir Deutschen uns durchgesetzt haben und die EZB nach
der Blaupause der Bundesbank geschaffen haben. Wir brauchen Freiheit in
unserem Land, wir brauchen aber auch Verantwortung in unserem Land. Für
die FDP ist Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammenzusehen.

Moderator: Was heißt das in diesem Themenfeld konkret?

Carl-Ludwig Thiele: Wir brauchen einen starken Staat, der klare Regeln setzt und an die Regeln haben sich die Marktteilnehmer zu halten.

Moderator: Hat Sie das Ausmaß der Krise zum Überdenken einiger Ihrer Leitlinien gebracht?

Carl-Ludwig Thiele:
Ich habe momentan eine kleine Anfrage von 25 Fragen bezüglich der
Hypo-Real-Estate an die Bundesregierung gerichtet. Denn im
Finanzausschuss hat die Bundesregierung auf meine Fragen eingestanden,
dass die Hypo-Real-Estate als Dax-notiertes Unternehmen, welches im
Finanzsektor tätig ist, nicht der deutschen Bankenaufsicht unterliegt.
Es wurde damit argumentiert, dass die Hypo-Real-Estate (HRE), eine
Holding sei und da die Holding selbst keine Bankgeschäfte betreibe,
müsse sie auch nicht überprüft werden. Ich halte es für einen Skandal,
dass bei Erwerb der irischen Depfa-Bank durch die HRE weder die
deutsche Bundesbank noch die BaFin noch das Finanzministerium, die
Abgeordneten im Finanzausschuss des deutschen Bundestages darauf
aufmerksam gemacht haben, dass sich die Aufsicht nicht auf diese Bank
erstreckt. Dieses ist tätig werden durch Unterlassen. Wenn Herr
Steinbrück erklärt, dass er den Brand löschen müsse, dann kann ich nur
sagen: Er hätte sich früher um vorbeugenden Brandschutz kümmern müssen.

Willi Klink:
Halten Sie eine stärkere Kontrolle der Banken durch eine zentrale
Behörde überhaupt für sinnvoll? Oder ist die freie Regulierung auf dem
Markt nicht immer noch die bestmögliche Kontrolle, aus dem System
heraus?

Carl-Ludwig Thiele: Wir brauchen eine
starke Kontrolle. Als FDP wollen wir allerdings das aufsichtsrechtliche
Durcheinander zwischen Bundesbank und BaFin beenden. Wir wollen die
Finanzaufsicht bei der unabhängigen Bundesbank ansiedeln und nicht bei
der Bankenaufsicht, die dem Bundesfinanzministerium untersteht. Neben
der Regulierung muss natürlich der Markt über das Geschäft und die
Anlagen entscheiden. Die Aufsicht kann diese originäre Aufgaben der
Banken nicht übernehmen. Da wäre mir der Staatseinfluss durch die
Aufsicht zu hoch.

Moderator: Am Wochenende tagt der Weltfinanzgipfel in Washington, was erwarten Sie von dem Treffen?

Carl-Ludwig Thiele:
Hoffnung – denn wenn auch keine aktuellen konkreten Ergebnisse zu
erwarten sind, so ist es doch richtig, dass die parteilichen Akteure
miteinander reden und ins Gespräch kommen. Die Finanzkrise hat
schließlich ihre Entstehung in den Vereinigten Staaten, die Wirkungen
sind aber auf der ganzen Welt zu spüren. Ich hoffe auch, dass die
Europäische Union von ihrem unseligen Vorhaben absieht, im
Bankenbereich Kredite mit weniger Sicherheitsvorschriften zu vergeben
als bisher. Die EU hat in einem Weiß- und Grünbuch gefordert, für eine
erleichterte Kreditvergabe zu sorgen, um entsprechend dem Beispiel
Amerikas in Europa zu mehr Wachstum zu gelangen. Ich glaube gerade
Deutschland hat mit einer restriktiven Kreditvergabe an Privatpersonen
ein ganz anderes Selbstverständnis über die Finanzierung, als die
Vereinigten Staaten. Zum Glück sind in Deutschland Finanzierungen ohne
Eigenkapital nicht möglich.

Moderator: Nebenbei
haben wir unter den Chattern eine Umfrage durchgeführt: Trauen Sie es
der FDP zu, die Finanzkrise zu lösen? 10 Prozent haben ja gesagt, 90
Prozent nein.

Carl-Ludwig Thiele: Ich traue es
der FDP zu, die Finanzkrise zu lösen. Wir haben uns auch als Opposition
in dieser Frage immer als konstruktive Opposition verstanden und das
werden wir auch weiter tun. 10 Prozent wären vor einigen Jahren noch
ein Traumergebnis für die FDP gewesen. Inzwischen sind wir weiter.

Moderator: Das war der tagesschau-Chat zum
Thema Finanzkrise, heute mit Carl-Ludwig Thiele. Herzlichen Dank, dass
Sie sich die Zeit genommen haben. Und vielen Dank an die User! Wie
immer konnten wir leider nicht alle Fragen stellen. Morgen chatten wir weiter! Dann ist die Vize-Chefin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, Christine Scheel, bei uns zu Gast. Herr Thiele, haben Sie noch einen Tipp für Frau Scheel?

Carl-Ludwig Thiele:
Frau Scheel sollte doch einmal erklären, wie unter einer rot-grünen
Bundesregierung die IKB-Anteile von der KfW erworben worden sind, in
dessen Verwaltungsrat sie saß und welche finanziellen Folgen dies für
den Steuerzahler hat.

Moderator: Wir richten es aus. Das Team von tagesschau.de wünscht allen noch einen schönen Tag. Bis morgen um 13 Uhr!

Carl-Ludwig Thiele: Herzlichen Dank an alle Chatterinnen und Chatter und das Super-Team von tagesschau.de.

Moderator: Das Kompliment nehmen wir gerne an.