Karl Heinz Däke
im tacheles.02-Chat am 10.06.2004


Moderator: Liebe Steuerzahlende
und nicht Steuerzahlende Politik-Interessierte, herzlich willkommen
im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de
und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de
und von sueddeutsche.de. Im ARD-Hauptstadtstudio begrüße
ich heute Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Moderator: Kann es losgehen?

Karl Heinz Däke:
Es kann losgehen,

Damokles:
Wo muss der Steuerabbau angesetzt werden? Bei uns in Deutschland? Oder
müssen wir nicht weiter gehen und auch in der EU Steuerabbau betreiben?

Karl Heinz Däke:
Es gibt gerade bei den neuen Beitrittsländern der EU, die wesentlich
geringere Steuersätze haben als wir in Deutschland, z.B. in Estland
und Lettland. Daran müssen wir uns in Zukunft orientieren.

Hydra: Das
Wehklagen über den Fall Vodafone sagt weniger über das britische
Unternehmen aus, als über viele deutsche Politiker. Sie kennen
die eigenen Gesetze nicht, oder?

Karl Heinz Däke:
Sie haben Recht. Diejenigen, die heute schreien, "Haltet den Dieb!",
sind diejenigen, die die Gesetze beschlossen haben, die Vodafone in
Anspruch nimmt.

Beckham:
Wer trägt in der causa Vodafone die politische Verantwortung?

Karl Heinz Däke:
Die politische Verantwortung tragen Bundestag und Bundesrat, denn dort
sind die Gesetze beraten und beschlossen worden. Insgesamt herrscht
aber gerade auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung seit 2000 ein
heilloses Durcheinander. Fast in jedem Jahr kam es zu Gesetzesänderungen.

Treudumm:
Nutzen weitere Konzerne Abschreibungen auf den Wert von Tochterfirmen
dazu, um ihre Steuerlast zu mindern? Kennen sie weitere?

Karl Heinz Däke:
Die Teilwertabschreibungen werden von vielen Unternehmen und Konzernen
in Anspruch genommen und zwar immer dann, wenn es heftige Kursverluste
gegeben hat. Unser Steuerrecht sieht nun einmal vor, dass dann, wenn
der bilanzierte Wert eines Wirtschaftsgutes über längere Zeit
hinter dem aktuellen Marktwert zurückbleibt, der dann angepasst
werden muss. Firmen wie Eon und Telekom haben es genauso getan wie Vodafone,
nur nicht in der Höhe.

Moderator:
Teilweise bereits beantwortet, dennoch:

Robert_T:
In NRW hätten die Finanzämter alleine dem Telekom-Konzern
für das Jahr 2002 unterm Strich 2,847 Milliarden Euro Körperschafts-
und Gewerbeertragssteuern erstattet, lese ich. Stimmt das und was sagen
sie dazu?

Karl Heinz Däke:
Das ist möglich, dass Sie das gelesen haben und es ist auch möglich,
dass es zu diesen Erstattungen gekommen ist. Ich persönlich weiß
davon nichts.

Moderator:
Der CDU-Vizevorsitzende Christoph Böhr hat in Sachen Vodafone erklärt,
wenn es eine Möglichkeit für eine rückwirkende Änderung
des Steuerrechts gebe, solle man das tun. Guter Vorschlag?

Karl Heinz Däke:
Vor einer rückwirkenden Änderung des Steuerrechts kann ich
nur warnen. Zurzeit werden von den Finanzgerichten rückwirkende
Steuergesetze bereits für verfassungswidrig gehalten und dem Bundesverfassungsgericht
zur Entscheidung vorgelegt. Eine "Lex Vodafone" darf es nicht
geben, auch wenn auf den ersten Blick vieles dafür spricht, ein
solches Gesetz zu fordern. Besser wäre es, das Steuerrecht grundlegend
zu reformieren, dass heißt, zu vereinfachen und die Steuersätze
zu senken.

petraB: Hat
Vodafone bereits nach heute geltendem Recht Missbrauch steuerlicher
Gestaltungsmöglichkeiten begangen?

Karl Heinz Däke:
Nein, auch nach heutigem Recht nicht. Zwar ist das Steuerrecht in den
letzten Jahren geändert worden, z. B. bei den Teilwertabschreibungen
und bei der Mindestbesteuerung, aber Vodafone hätte sich wahrscheinlich
heute nach dem heute geltenden Recht gerichtet.

Blocky: Jahrelang
haben sowohl Union als auch FDP jede Beschränkung der steuerlichen
Gestaltungsmöglichkeiten der Firmen als verkappte Steuererhöhung
oder Standortbeschädigung diffamiert und blockiert. Jetzt wird
gefordert – erkennen sie da eine klare Linie?

Karl Heinz Däke:
Nein, ich erkenne keine klare Linie. In Zukunft sollten solche scheinheiligen
Debatten vermieden werden. Nachtrag zu Vodafone: Zahlreiche Vorschläge
zur Gewinnermittlung und Teilwertabschreibung sind in der Vergangenheit
geändert worden, um steuerlichen Missbrauch einzudämmen. Bei
der ganzen Debatte muss man aber auch bedenken, dass bei Kursgewinnen
die Unternehmen höhere Steuern zahlen müssen. Wer also fordert,
dass Kursverluste nicht mehr von den Unternehmensgewinnen abgezogen
werden dürfen, muss auch zulassen, dass Kursgewinne nicht der Besteuerung
unterliegen.

Moderator:
Zweimal zur Unionslinie:

Burger: Ist
die Linie der Union unklar, wo doch Merz einen Vorschlag gemacht hat?

Steuermann:
Wie beurteilen Sie die Ernsthaftigkeit der Steuerreformpläne der
Union? Auf der einen Seite fordert Sie – wie jeder – Steuervereinfachung
und den Abbau von Steuervergünstigungen. Auf der anderen Seite
setzt sie sich für die Beibehaltung der Privilegien für Lebensversicherungen
ein und sorgt mit dem erzielten Kompromiss für eine weitere Komplizierung
des Steuerrechts.

Karl Heinz Däke:
Leider sind die Steuerreformvorschläge der Union zurzeit wieder
in die Schubladen gewandert. Das muss aber nicht heißen, dass
die Diskussion demnächst nicht wieder angeschoben wird, z.B. vom
Bund der Steuerzahler. Bei dem Stichwort Steuervereinfachung darf man
nicht übersehen, dass es einige Vorschriften weiterhin im Steuerrecht
geben muss, die einer gerechten, dem Leistungsfähigkeitsprinzip
folgender Besteuerung, Rechnung tragen müssen. Erträge aus
Lebensversicherungen unterliegen über einen Zeitraum von 12 Jahren
der Geldentwertung. Deshalb dürfen sie auch nicht in voller Höhe
besteuert werden. Ähnlich verhält es sich auch bei Zinseinkünften,
z.B. aus Sparvermögen. Der Vorschlag von Minister Clement, den
Sparerfreibetrag abzuschaffen war deshalb "voll daneben".

Moderator: Es
gibt eine ganz Reihe von Vorschlägen für eine große
Steuerreform. Die meisten erweisen sich als nicht richtig durchdacht.
Den Bierdeckel-Vorschlag von Friedrich Merz haben die Länderfinanzminister
über alle Parteigrenzen hinweg als nicht finanzierbar verworfen.
Zu groß wären die Steuerausfälle für den Bund.
Wie weit kann denn eine Steuerreform reichen.

Karl Heinz Däke:
Eine große Steuerreform muss drei Voraussetzungen erfüllen:
sie muss das Steuerrecht vereinfachen, sie muss für niedrige Steuersätze
und für mehr Gerechtigkeit sorgen. Eine Steuerreform ohne zusätzliche
Entlastung der Steuerzahler bei weitgehender Vereinfachung wird keine
Akzeptanz finden. Wir brauchen einen Eingangssteuersatz mit 15 Prozent
und einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent, der aber bei einem Ledigen
erst ab 60.000 Euro zu versteuernden Einkommen wirksam wird. Bei diesem
Tarif, einem linear progressiv Tarif, wird es für alle Steuerzahler
zu Entlastungen von insgesamt 48 Milliarden Euro Brutto kommen. Davon
werden 10 Milliarden Euro durch die Streichung von Steuervergünstigungen
erzielt, 14 bis 15 Milliarden Euro durch zu erwartende Mehreinnahmen
in Folge erhöhten Wachstums. 8 Mrd. sind bereits vorfinanziert
durch das Streichen von Steuervergünstigungen im Jahr 2004. Der
dann noch offene Finanzierungsbetrag kann nur durch Kürzungen und
Ausgabenbegrenzungen auf allen Ebenen gegenfinanziert werden. Jeder
der glaubt, eine Steuersenkung ließe sich ohne die Kürzung
der öffentlichen Ausgaben völlig finanzieren, irrt.

Moderator: Die
Frage nach der Zeit:

werter: Wo
bleibt denn die Steuerreform? Was glauben sie, wie lange das dauert?

Karl Heinz Däke:
Wir brauchen so schnell wie möglich eine umfassende Steuerreform.
Voraussetzung dafür ist aber, dass sich Bundestag und Bundesrat
in dieser Frage einig sind. Das sehe ich zurzeit leider nicht. Realistisch
gesehen kann es erst 2007 zu einer umfassenden Steuerreform kommen,
also nach der nächsten Bundestagswahl.

ThomasM2:
Als Besserverdienender bezahle ich mittlerweile 5 mal(!) mehr Steuern
als meine Frau, welche die Hälfte von dem verdient, was ich verdiene.
Wird das nach der Steuerreform noch schlimmer?

Karl Heinz Däke:
Haben Sie da wirklich richtig gerechnet?

Moderator:
Aktuell, weil am Sonntag ist ja Europawahl:

Delphi: Ist
Bürokratie nicht eine Hydra? Wenn wir in Deutschland Bürokratie
abbauen, wächst sie doppelt so schnell in Brüssel. Was kann
der EU-Bürger gegen diesen Irrsinn tun?

Karl Heinz Däke:
Er kann von den Politiker und den Eurokraten fordern, dass nicht alles
per EU-Verordnung geregelt wird, wie z.B. der Krümmungsgrad einer
Banane oder der Zuckergehalt von Bonbons. Auf der anderen Seite müssen
sich auch die Bürger davor hüten, von der Politik nicht für
alles, was nicht geregelt ist, Gesetze und Verordnungen zu fordern.

Zeus: Seit
Jahren schreibt sich die Bundesregierung den Abbau bürokratischer
Hindernisse auf die Fahnen. Wo sind die Ergebnisse? Sehen sie welche?

Karl Heinz Däke:
Nein.

Metam: Wo
liegen die größten Einsparpotentiale in der staatlichen Bürokratie?

Karl Heinz Däke:
Die größten Einsparpotentiale liegen eindeutig beim Personal
und dort wiederum, so hart es auch klingen mag, in den neuen Bundesländern.
So hat der Bund der Steuerzahler schon seit längerem die jährliche
Verringerung des Personalbestandes um 1 Prozent gefordert und strenge
Zurückhaltung bei Besoldungs- und Tarifsanpassungen. Eine verstärkte
Leistungsorientierung der Besoldung, verstärkte Eindämmungen
von Frühpensionierungen, schrittweise Abbau von Sonderzuwendungen
(13. Monatspension) und Absenkung des Versorgungsniveaus für Beamte
sowie in der Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter.

Chapui: Auch
Kürzungen der Ost-Förderung? Weil Subvention?

Karl Heinz Däke:
Die Subventionsgewährung in den neuen Bundesländern darf in
Zukunft nur noch ganz gezielt sein. Eine Sonderwirtschaftszone Ost,
z.B. mit Sondersteuervergünstigungen, ist ebenfalls verfehlt. Helfen
kann der Wirtschaft die Weitergewährung von Investitionszulagen,
aber nur unter der Voraussetzung, dass neue Arbeitsplätze geschaffen
werden und nicht gleichzeitig an anderer Stelle Arbeitsplätze abgebaut
werden.

Bszirske:
Werden Ihnen da nicht die Gewerkschaften ins Gesicht springen?

Karl Heinz Däke:
Das haben sie bereits getan.

Nero: Brauchen
wir nicht gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Depression große
staatliche Maßnahmen, um die Wirtschaft zu beleben?

Karl Heinz Däke:
Wenn Sie unter staatlichen Maßnahmen eine noch höhere Neuverschuldung
verstehen, dann sage ich eindeutig: Nein. Wir brauchen eine umfassende
Steuer- und Abgabenentlastung und mehr Zutrauen in uns selber. Immerhin
ist Deutschland noch die größte Exportnation der Welt. Was
wir da schaffen, müsste auch nach innen möglich sein.

Moderator: Eine
Steuer- und Abgabenentlastung kosten den armen Finanzminister Hans Eichel
aber noch mehr Geld. Dann reißt Deutschland wieder das 3-Prozent-Kriterium
des EU-Stabilitätspaktes. Sollen wir das in Kauf nehmen?

Karl Heinz Däke:
Nein, das müssen wir nicht in Kauf nehmen. Nach wie vor nimmt
der Staat, also Bund, Länder und Gemeinden, nicht zu wenig ein,
er gibt zu viel aus. Bedenken Sie bitte auch, dass nach der neuesten
Steuerschätzung zwischen 2004 und 2007 das Steueraufkommen – und
jetzt halten Sie sich fest – nicht sinken, sondern um 50 Milliarden
Euro ansteigen wird. Unter dieser Voraussetzung und weiteren Einsparungen
bei Bund, Länder und Gemeinden ist eine große Steuerreform
finanzierbar, ohne dass Herr Eichel mit einem weiteren blauen Brief
aus Brüssel rechnen muss.

Moderator: Kommentar
von:

Rummenigge:
Sollten wir uns nicht einmal an die Reagan’sche Steuerreform erinnern?
Ein voller Erfolg: Wegfall aller Subventionen und einem Spitzensteuersatz
von 28 Prozent!

Karl Heinz Däke:
Die Reagen’sche Steuerreform ist auch heute noch Vorbild für die
Diskussion in Deutschland.

Sommerwind: Zur
Steuerreform: Ist es ihr Ziel, möglichst alle Ausnahmen zu beseitigen
und dementsprechend die Steuersätze zu senken? Dann wären
sie ja ein Liberaler?

Karl Heinz Däke:
Ich bin dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Steuerrecht
verstehen, ihre Steuererklärung so einfach wie möglich ist
und sie vor allem nur die Steuern bezahlen müssen, die dem Staat
auch wirklich zustehen. Wenn Sie das als liberal bezeichnen, warum nicht.

Nordländer:
Sie sprechen von radikalen Veränderungen im Steuerrecht, welche
erst nach der nächsten Bundestagswahl durchführbar erscheinen.
Doch wird eine neue Bundesregierung wirklich die Kraft besitzen, sich
gegen die Übermacht der Lobbyisten (Gewerkschaften, Unternehmerverbände,
u.ä.) mit Subventionsstreichungen durchzusetzen?

Karl Heinz Däke:
Auch die Lobbyisten müssen erkennen, dass man nicht beides haben
kann: Niedrige Steuersätze und Steuervergünstigungen und Steuersubventionen.
Aber ich bin doch zuversichtlich, dass diese Einsicht bei allen einkehrt.

Salinga: Wird
der Bund und werden die Länder überhaupt in der Lage sein,
ihre Schulden ohne eine mittel- bis langfristig höhere Steuerbelastung
der Bürger abbauen zu können? Droht nicht sonst irgendwann
der Kollaps (oder der gesellschaftliche Unfrieden, weil der Staat nicht
mehr in der Lage ist, soziale Leistungen zu erbringen, die eine Gesellschaft
stabilisieren?)

Karl Heinz Däke:
Vorrangiges Ziel muss es zunächst sein, die Neuverschuldung auf
Null zu reduzieren. Der Staat wird auch weiterhin soziale Leistungen
erbringen können, aber es fragt sich, ob das überhaupt in
dem Maße notwendig ist wie heute. Selbst der Bundesfinanzminister
hat ja festgestellt, dass wir über unsere Verhältnisse leben.
Ein Nachtrag: Jährlich werden nach unserer Schätzung 30 Milliarden
Euro an Steuergeldern zum Fenster hinausgeworfen. Würde der Staat
absolut sparsam und wirtschaftlich mit unseren Steuergeldern umgehen,
hätten wir weniger Sorgen.

Moderator: Wie
bereits gesagt, Sie sind ja nicht nur "zuständig" für
Steuern und Steuerreformen, sondern auch für die Verschwendung
von Steuern:

bmilrer:
Thema Verschwendung: Maut-Pleite und Hartz-Verzögerungen, die viel
Geld kosten. Hat die Verschwendung zugenommen? Besonders bei Großprojekten,
wie die Jobbörse des Bundesarbeitsministeriums?

Karl Heinz Däke:
In der letzten Zeit ist in der Tat eine größere Anzahl von
Verschwendungsfällen bekannt geworden, die es in dem Ausmaß
und in der Häufigkeit früher nicht gegeben hat. Denken Sie
z.B. auch an den Lausitzring, die Chipfabrik in Frankfurt/Oder oder
den Cargolifter.

Moderator:
Damit ist unsere Chat-Stunde vorbei, vielen Dank für die zahlreichen
Fragen. Herzlichen Dank, Herr Däke, dass Sie zu uns gekommen sind.
Das Transkript dieses Chats finden Sie wie alle anderen auch auf den
Seiten der Veranstalter. Der nächste Chat findet am Dienstag, 15.
Juni um 12.00 Uhr statt. Chat-Gast ist dann der ARD-Korrespondent in
Kairo, Reinhard Baumgarten. Reinhard Baumgarten ist Experte für
die Region, vor allem auch für den Sudan und Saudi-Arabien, die
zuletzt besuchte. Das tacheles.02-Team wünscht allen Beteiligten
einen schönen Tag.

Karl Heinz Däke:
Vielen Dank für die vielen interessanten Fragen. Mich erreichen
Sie unter info@steuerzahler.de.