Am
Donnerstag, 10. August, war Rainer Vockenroth in
Spitzbergen, zu Gast im tagesschau-Chat in Kooperation mit politik-digital.de.
Er beantwortete Fragen zum globalen Klima, zur Verlangsamung des
Golfstroms und zu den Schreckensszenarien, die Hollywoodfilme zeichnen.

Moderator: Ich begrüße
heute bei uns im Tagesschau-Chat den Klimaexperten Rainer Vockenroth,
Leiter einer deutschen Forschungsstation auf Spitzbergen. Der Chat
wird aus der tagesschau.de-Redaktion in Hamburg moderiert. Ein Hinweis
an die User: Wir werden die Fragen thematisch sortieren. Herr Vockenroth
ist uns nun in Spitzbergen zugeschaltet. Können wir anfangen?

Rainer Vockenroth: Von mir aus können wir
starten.

Moderator: In den vergangenen Wochen gab es viele Medienberichte
über die sommerlichen Hitzerekorde. Sind wir bereits mitten
im Klimawandel?

Rainer Vockenroth: Es gibt Anzeichen für
klimatische Veränderungen. Dass es sich um den Klimawandel
handelt, kann man noch nicht sagen.

manes1: Stimmt es, dass die durchschnittliche
Erwärmung in kälteren Gebieten überdurchschnittlich
stark ansteigen wird?

Rainer Vockenroth: Die Temperaturen in den arktischen
Gebieten sind während der letzten 50 Jahre stärker gestiegen
als im weltweiten Mittel. Die arktischen Regionen sind für
die klimatische Entwicklung auf der Erde von großer Bedeutung.
Aus dem Temperaturgefälle zwischen Äquator und Pol ergibt
sich die Dynamik des Wetters und Klimageschehens. Deshalb sind Veränderungen
in den Polaren Gebieten mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen.

christoph m: Der Golfstrom soll schon 25% an Fahrt
verloren haben. Wie wahrscheinlich ist das komplette Abreißen
und welche Zeiträume sind zu erwarten?

Rainer Vockenroth: Auch dazu gibt es noch keine
exakten Daten der Golfstrom ist ein wichtiger Bestandteil im globalen
Energie-Wärmeaustausch. Temperatur und Flußveränderungen
wurden gemessen. Die Modelle können aber noch nicht vorausberechnen,
ob der Golfstrom zum Erliegen kommt. Etliche Untersuchungen zu diesem
Thema sind noch Gegenstand der aktuellen Forschung.

Holden20: Was halten sie von den Aussagen einiger
Wissenschaftler sowie des Schriftstellers Michael Crichton, dass
die Umweltverschmutzung nicht Schuld sei am Klimawandel, sondern
dass es gar kein Klimawandel gäbe?

Rainer Vockenroth: Nach dem ACIA Arctic Climate
Impact Assessment, einem internationalen Forschungsbericht, sind
die Hinweise darauf, dass menschlicher Einfluss die Erwärmung
verändert, heißt verstärkt, sehr deutlich. Es gibt
einen Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und der Zunahme der Erwärmung.
Ein Teil dieser Erwärmung hat aber immer noch mit dem Ausklingen
der letzten Eiszeit zu tun.

MatthiasBN: Das Thema Klima ist so komplex und
unser blauer Planet ist so riesengroß. Wenn wir heute die
Zeichen eines Klimawandels sehen, ist es nicht schon zu spät
etwas zu tun? Ist das Kind nicht schon in den Brunnen gefallen?

Rainer Vockenroth: Schwierige Frage, da sich unsere
Zukunftssicht aus berechneten Modellen ergibt. Wir arbeiten noch
immer daran, diese Modelle zu verbessern. Dazu sind langfristige
Messreihen von Nöten. Bei einigen Phänomenen, wie z. B.
dem Ozonabbau zeigt sich, dass die Verminderung des FCKW-Ausstoßes
auch zu einer Verlangsamung des Abbauprozesses führt. Wohin
die letztendliche Entwicklung führt, kann man aber nicht sicher
vorhersagen. Im Augenblick zeigen die Modellrechnungen in Richtung
Erwärmung und es wird auch daran gearbeitet, zu berechnen,
was passiert, wenn man erkannte Ursachen abstellt. Dass das Kind
bereits in den Brunnen gefallen ist, würde ich nicht sagen.

Catherine: Gibt es Modellansätze, die die
Frage beantworten, wie weit die Klimaerwärmung fortschreiten
wird ehe sich ein neues Gleichgewicht auf der Erde (CO2-Temperatur)
eingestellt hat, das auf langfristiger (geologischer) Zeitskala
Bestand hat? Wie sehen die Lebensbedingungen für den Menschen
dann aus?

Rainer Vockenroth: Es wird zu einer großen
Anzahl von zivilisatorischen Wanderungsbewegungen kommen, da die
Menschen sich in Lebensräume zurückziehen müssen,
an die sie angepasst sind. Wie die Bedingungen genau aussehen kann
ich nicht konkret beantworten.

Glenn Hinze-Tully: Findet Ihrer Meinung nach hier
in Deutschland eine ausreichende Aufklärung der Bevölkerung
seitens der Bundesregierung und der Medien statt, oder sollte aufgrund
der noch oder nicht mehr so unklaren Folgen für unsere Zukunft
und die unserer Kinder nicht ein sofortiges Umdenken gefordert werden,
wobei der Klimaveränderung höhere Priorität im Bundestag
eingeräumt wird und über die Medien eine wirkungsvolle
Aufklärung der Bevölkerung gestartet wird.

Rainer Vockenroth: In Deutschland gibt es bereits
eine sehr hohe Sensibilität für umweltbezogene Fragen.
Jede Form von Maßnahmen, die sich klimarelevant auswirken
sollen, müssen auf globaler Ebene entschieden werden. Mehr
als eine Vorbildfunktion kann ein einzelnes Land nicht leisten.
Die internationalen Diskussionen zu diesen Themen ist im Gange,
gerät aber auch immer wieder ins Stocken. Also, aus meiner
Sicht wird bereits gute Arbeit in Umweltsensibilsierung geleistet.
Internationale Zusammenarbeit kann noch ausgebaut werden.

Moderator: Viele unserer User wollen mehr darüber
wissen, wie Ihr täglicher Arbeitsalltag auf Spitzbergen aussieht?

Rainer Vockenroth: Wir leben hier in einem Dorf
mit ca. 50 kleinen Häusern. Der Ort ist eine ehemalige Bergbausiedlung.
Mittlerweile ist der Ort ganz der Forschung gewidmet. Wir werden
in einer Mensa mit Essen versorgt und haben in den Häusern
und an den Arbeitsplätzen einen Standard, wie wir ihn aus Mitteleuropa
kennen. Im Ort leben dauerhaft ca. 30 Personen. Das heißt
Leute, die über ein ganzes Jahr hier verweilen. Während
der Sommermonate steigt die Bevölkerungsanzahl auf bis zu 130
Personen an. Die Temperaturen, mit denen wir zu tun haben, liegen
zwischen –30 Grad Celsius im Winter und +10 Grad Celsius im
Sommer.

Chris333: Was versuchen Sie in Spitzbergen über
das Klima herauszufinden und vor allem wie?

Rainer Vockenroth: Wir messen den Strahlungshaushalt
der Atmosphäre. Mit Ballon-Sondierungen erhalten wir Daten
über Temperatur, Druck und Feuchte der Luft. Mit anderen Methoden
bestimmen wir den Aerosolgehalt in der Luft. Alle diese meteorologischen
Messungen dienen dazu, die Modelle zum physikalischen und chemischen
Verständnis der Atmosphäre zu verbessern. Auf diese Weise
können Modellrechnungen, die zukünftiges Klimageschehen
vorhersagen können, verbessert werden. Neben der direkten Messung
von meteorologischen Werten wird mit geowissenschaftlichen Methoden
quasi ein indirekter Weg beschritten. Die Untersuchung von den Volumina
von Gletschern z. B. steht im Zusammenhang mit Temperaturveränderungen.
Deshalb versucht man auch solche nicht-meteorologischen Systeme
besser zu verstehen. Auch in der Biologie werden klimatische Veränderungen
sichtbar. Ein Projekt hier vor Ort beschäftigt sich mit der
Verbreitung von Blattläusen und der Frage, ob sich die Verbreitungsgrenzen
sowie die Anzahl der Arten in Abhängigkeit von klimatischen
Faktoren verändert.

mgehling: Hallo, ich bin begeisterter Bergsteiger.
Was kann ich auf den Gletschern in den nächsten Jahren erwarten?

Rainer Vockenroth: Hm, es kommt natürlich
darauf an, welche Gletscher sie besteigen möchten. Hier auf
Spitzbergen werden sie Gletscher finden, die wachsen, aber auch
viele Gletscher, die kleiner werden. (Wachsen heißt hier,
dass die Gesamtmasse des Gletschers zunimmt.) Für das konkrete
Verhalten von Gletschern muss man sehr genau auf die lokalen Besonderheiten
schauen und diese analysieren.

golfstrom: Wenn Sie die Volumina von Gletschern
"vermessen " dann werden Sie ja bestimmt auch etwas ähnliches
mit den Polkappen machen?

Rainer Vockenroth: Das ist richtig. Die Eisbedeckung
des arktischen Ozeans wird untersucht. Am besten lassen sich diese
Werte über Fernerkundungsmethoden beobachten. Leider hat es
dort einen Rückschritt gegeben, da der Start eines Satelliten
fehlschlug. Die Vermessung vom Meer oder Land aus ist sehr aufwendig
und enthält Lücken in der Erfassung. Die Bedeckung in
der Arktis nimmt ab.

Richie Rich: Wann kann man endlich Öl am
Nordpol fördern?

Rainer Vockenroth: Ein genaues Datum kann ich
nicht nennen. Theoretisch könnte man das jetzt schon mit einem
nicht zu rechtfertigenden Aufwand. Ferner ist die Diskussion um
die Nutzungsrechte der zukünftigen Seegebiete noch immer Gegenstand
von diplomatischen Auseinandersetzungen.

LeDude: Öl am Nordpol fördern? Das scheint
mir keine gute Idee – bestehen dort nicht ganz besonders hohe Risiken
für die Umwelt?

Rainer Vockenroth: Genau das ist auch ein Problem,
das es zu berücksichtigen gelte. Ölbohrungen am Pol halte
ich auch erstmal für hypothetisch.

alanfa26: Hat der Klimawandel auch positive Auswirkungen?
Rainer Vockenroth: Es ist schon schwer vorherzusagen welche konkreten
Veränderungen auftreten werden, dann auch noch eine positiv-negativ
Abschätzung zu entwickeln, ist fast unmöglich. Für
kleine Sektoren oder Interessengruppen mögen sich auch Vorteile
ergeben. Ohne Eis am Nordpol würde sich der Seeweg von Europa
nach Asien erheblich verkürzen. Dafür wären aber
auch viele andere Nachteile in Kauf zu nehmen.

MarcBiele: Gestern wurde in der Presse bekannt,
dass sich US-Wissenschaftler Gedanken zur Reduktion von CO2 gemacht
haben. Es wurde berichtet, dass man sich vorstellen kann, das CO2
im Meeresboden in 3000 Meter Tiefe zu lagern. Dort soll es sich
verflüssigen! Was halten Sie von dieser Idee?

Rainer Vockenroth: Es gibt verschiedene Überlegungen,
wie man aktiv eine CO2-Senke erzeugen kann. Eine ist das Verbringen
von CO2 in Gesteinsschichten oder den Meeresboden. Ich persönlich
denke, dass man viele Visionen offen halten sollte und die Machbarkeit
prüfen. Momentan finden diese Überlegungen nur auf dem
Papier statt, ohne Einfluss auf die globale CO2-Bilanz zu haben.

MarcBiele: Wie hoch schätzen Sie das Risiko
ein, dass auf Grund der Speicherung von CO2 in den Weltmeeren irgendwann
ein Grenzwert erreicht wird, der die Marine Lagerstätten für
Methanhydrate destabilisiert und große Mengen davon in die
Atmosphäre gelangen?

Rainer Vockenroth: Die Frage liegt zu weit von
meinem Kenntnissen entfernt, als das ich dazu eine Aussage machen
kann.

Schaefer: Besteht nicht ein sehr großes
Eigeninteresse seitens der Klimawissenschaftler, das Horror-Szenario
Klimawandel aufrechtzuerhalten, um die Zukunft der eigenen Forschungsprogramme
abzusichern?

Rainer Vockenroth: Ohne langfristige Messprogramme,
Analysen und Prognosen hätten wir eine Veränderung im
Klimageschehen gar nicht bemerkt. Wenn man überhaupt eine Chance
haben will, Maßnahmen zu ergreifen, kann man dies nur über
intensive Forschung tun. Dies ist unabhängig von Horrorszenarien.
Forschung ist wichtig für die menschliche Entwicklung.

Dr. Ahna, Mario: Was kann man im Alltag gegen
den Klimawandel tun?
Rainer Vockenroth: Das einfachste ist es, auf die Menge des persönlich
erzeugten CO2s zu achten. Auto oder Bus, Schiff oder Flugzeug als
Beispiele der Sensibilisierung für Energiebilanzen von Produkten
usw.

Moderator: Leider müssen wir nun abbrechen.
Das war der Chat mit Rainer Vockenroth. Vielen Dank an unsere User
für die vielen, sehr interessanten Fragen. Leider konnten wir
nicht alle berücksichtigen, sondern mussten eine Auswahl treffen.
Vielen Dank auch an Sie, Herr Vockenroth, nach Spitzbergen und viel
Glück und Erfolg für Ihre weiteren Forschungsarbeiten
in der Arktis.
Der nächste Tagesschau-Chat findet am 31. August statt, von
13 bis 14 Uhr. Unser Gast wird dann der CSU-Bundestagsabgeordnete
Wolfgang Zöller sein.